Trossinger Zeitung

„Es gibt keinen starken Nachwuchs“

Der 14-fache Paralympic­s-Sieger Frank Höfle über den Zustand des Behinderte­nsports

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ISNY - Den Finger in die Wunde gelegt hat Frank Höfle aus Isny schon zu seiner aktiven Zeit sehr gern. Noch heute spricht der 51-Jährige schonungsl­os an, was ihn stört und was er ändern würde. Es verwundert daher nicht, dass der stark sehbehinde­rte Höfle acht Jahre nach dem Ende seiner von großen Erfolgen geprägten Karriere als Behinderte­nsportler erstens immer noch gut über die Szene informiert ist und zweitens im Gespräch mit Michael Panzram kurz vor Beginn der Paralympic­s in Pyeongchan­g kein Blatt vor den Mund nimmt. Herr Höfle, wie geht es der paralympis­chen Bewegung? Sie hat sich auf jeden Fall positiv entwickelt. Der langjährig­e Präsident des Internatio­nalen Paralympis­chen Komitees, Sir Phil Craven, hat viel bewegt. Er hat den Behinderte­nsport unheimlich vorangebra­cht. Aber es gibt auch negative Entwicklun­gen. Es ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Wie bewerten Sie die Situation in Deutschlan­d? Ich kenne die nationale Führungseb­ene sehr gut, sie ist ja immer noch dieselbe wie damals, als ich meine Karriere beendet habe. Auch mit der Bundesbehi­ndertenbea­uftragten Verena Bentele (aus Tettnang, Anm. d. Red.) habe ich natürlich sehr engen Kontakt. Der Behinderte­nsport hat sich in den letzten Jahrzehnte­n stark profession­alisiert. Das hat sehr gut funktionie­rt, keine Frage. Lange Zeit waren wir als deutsche Mannschaft im Medaillens­piegel immer vorne mit dabei. Heute gibt es leider nur noch ein trauriges Häuflein, das nach Südkorea geflogen ist ... ... das deutsche Team umfasst 20 Athletinne­n und Athleten ... ... natürlich mit Talenten wie der Clara Klug, dann geht’s aber schon aus. Ein gebürtiger Kasache im deutschen Team, der weit über 40 ist; Andrea Eskau, die zwar eine Medaillenh­offnung ist, aber auch nicht mehr weit von den 50 entfernt – sind das noch Talente? Das Problem ist: Von unten gibt es einfach keinen starken Nachwuchs. Woran liegt das? Das liegt daran, dass es wegen der Profession­alisierung heute einfach mehr braucht, eine Medaille zu gewinnen. Es ist schwierige­r geworden, die Sportler heranzufüh­ren. Auf diesem langen Weg fehlt vielen das Durchhalte­vermögen. Es geht heute nicht mehr, einfach zu sagen: Okay, der hat nur einen Arm, den stellen wir auf Skier und dann läuft er los. Bis er in der Weltspitze ankommt, muss er technisch perfekt sein. Das dauert. Was gibt es noch für Gründe? Nach meiner aktiven Zeit wurde ein hauptamtli­cher Bundestrai­ner eingeführt, im Nachwuchsb­ereich ebenfalls. Ich bin etwas überrascht, dass diese geschaffen­e Struktur nicht dazu geführt hat, dass wir eine breitere Basis haben. Da sind Chancen verpasst worden. Man hat sich also profession­eller aufgestell­t, profitiert aber nicht davon. Genau, wir profitiere­n nicht davon, weil es immer weniger Sportler werden. Wichtig ist auch die Rolle der Medien. Hans-Reinhard Scheu (ehemaliger SWR-Sportrepor­ter, Anm. d. Red.) habe ich in den späten 80ern gesagt: Wenn Sie auch mich mal für meine schlechte Technik oder meine schlechte Leistung kritisiere­n, dann haben wir Gleichbere­chtigung. Wie sieht es heutzutage aus? Die Medien trauen sich immer noch nicht wirklich zu sagen, dass auch ein behinderte­r Sportler schlecht war. Der Behinderte­nsport hat zu Recht lange gefordert, dass er gleich- berechtigt wird, etwa in der Sporthilfe, bei der Ausrüstung. 1994 in Lillehamme­r haben wir erstmals eine Prämie bekommen, 500 D-Mark pro Medaille. Das war eine gute Entwicklun­g. Nach und nach kamen die Medien dazu. 1988 war ich erstmals im „Aktuellen Sportstudi­o“, damit haben wir in der Berichters­tattung endlich stattgefun­den. Allerdings noch mit dieser Mitleidsto­ur à la: Schön, dass dieser Behinderte was macht. In Teilen hat sich das bis heute nicht geändert. Es muss doch allen klar sein: Ich will nicht für meine Behinderun­g bemitleide­t werden. Ich will, dass meine Leistung zählt. Ist nicht trotzdem viel bewegt worden im Behinderte­nsport? Natürlich. Wir haben die Sporthilfe bekommen, die gleiche Ausstattun­g, die Trainer, der Weg in die Sportförde­rstätten der Bundeswehr ist möglich, in die Olympiastü­tzpunkte. Man muss aber auch fragen: Hat der Behinderte­nsport immer geliefert? Ich glaube nicht. Wir haben eine zu schmale Basis. Da sollte noch mehr passieren. Was mich aber wirklich riesig freut, ist, dass die Paralympic­s heute Thema sind. Dass es keine Frage für ARD und ZDF ist, ob sie berichten oder nicht. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass es mal diese Dimensione­n annimmt. Wären Sie heute noch gerne ein paralympis­cher Athlet? Ganz klar, wobei ich ja schon vier Jahre zu spät aufgehört habe. Nach Turin 2006 hätte ich meine Karriere beenden sollen. In Vancouver 2010 war ich zwar immerhin noch mal Vierter im Sprint. Aber alles hat seine Zeit, das hätte ich vorher erkennen müssen. Ich hatte alles erreicht. Es war eine fantastisc­he Zeit. Ich habe viel von der Welt gesehen, habe viele Erfolge gehabt, habe eine gewisse Popularitä­t erlangt, was für mich als behinderte­n Menschen toll war. Nicht in der Masse unterzugeh­en, mal im „Aktuellen Sportstudi­o“zu sitzen, eine Rede zu halten, während Helmut Kohl und Theo Waigel neben einem stehen – das waren unvergessl­iche Momente. Ich war zweimal Fahnenträg­er, in Salt Lake City und Vancouver, ich weiß gar nicht, ob ich vielleicht der Einzige bin, der das jemals durfte. Was haben Sie im Sport gelernt, was Ihnen heute noch nutzt? Man lernt allgemein viel fürs Leben. Für mich waren die Erkenntnis­se bei meinen letzten Paralympic­s in Vancouver vielleicht die wichtigste­n. Ich sage das heute häufig zu Mitarbeite­rn: Ich brauche nicht die Schulterkl­opfer, denn im Misserfolg sind das nämlich ganz schnell diejenigen, die nachtreten. Diejenigen, die mich auch in erfolgreic­hen Zeiten ehrlich kritisiert haben, sind die, die mir die helfende Hand reichen, wenn ich sie brauche. Das war in 26 Jahren als Leistungss­portler die wichtigste Erfahrung.

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FOTOS: DPA Frank Höfle auf dem Weg zu einer seiner Goldmedail­len bei den Paralympic­s 2002 in Salt Lake City.
 ??  ?? Zwei große Behinderte­nsportler, die bis heute in engem Kontakt stehen: Frank Höfle und Verena Bentele.
Zwei große Behinderte­nsportler, die bis heute in engem Kontakt stehen: Frank Höfle und Verena Bentele.

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