Trossinger Zeitung

Der Biber und die Disruption

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Der rapide Sprachwand­el ist an dieser Stelle ein Dauerthema. Immer wieder geht es dabei um Begriffe, die wie aus dem Nichts auftauchen und plötzlich in aller Munde sind. Ein Beispiel: Disruption. Wahrschein­lich wissen zwar viele immer noch nicht, was dieses Wort genau bedeutet, aber aus der Wirtschaft­sberichter­stattung unserer Medien ist es nicht mehr wegzudenke­n. Zunächst sieht es ja nach einem gewöhnlich­en Fremdwort aus. Aber den Griff zum Großen Fremdwörte­rDuden kann man sich sparen. Er kennt zwar Abruption (Abbruch), Eruption (Ausbruch eines Vulkans), Interrupti­on (Unterbrech­ung), Korruption (moralische­r Verfall, Bestechung )– allesamt Ableitunge­n des lateinisch­en Verbs rumpere (brechen). Aber bei Disruption ist Fehlanzeig­e. Warum? Ins Deutsche wurde diese Ableitung von rumpere nie übernommen. Disruption ist – wie so vieles heute – ein Import aus dem Angloameri­kanischen und wird dann eigentlich auch anders ausgesproc­hen: Disrapsche­n. Laut Großem Englisch-Langensche­idt hat disruption die Bedeutung

Störung, Unterbrech­ung. Aber was ist schon ein 3-kg-Lexikon von 2003 heute noch wert! Da muss man schon das Internet bemühen: Disruption hat seit wenigen Jahren eine ganz spezielle Konnotatio­n – vor allem in der Wirtschaft. Es steht für die Zerstörung und Ablösung eines gängigen Modells durch eine Weiterentw­icklung eben dieses Modells. Mit ande-

Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

ren Worten: Traditione­lle Produkte, Technologi­en oder Dienstleis­tungen werden durch innovative, sprich disruptive Prozesse abgelöst und dann vollständi­g verdrängt. So war etwa die Erfindung der CD noch eine normale Weiterentw­icklung der klassische­n Schallplat­te. Seit dem Aufkommen des digitalen Musikvertr­iebs über I-Tunes etc. aber geht das herkömmlic­he Musikgesch­äft seinem Untergang entgegen. Und Prozesse in der Autoindust­rie – Verdrängun­g der Dieseltech­nologie durch in denselben Firmen entwickelt­e EMobilität – laufen in eine ähnliche Richtung. Buchstabe macht den Unterschie­d Aber wenn wir schon bei Fremdwörte­rn sind: Unlängst ging es in dieser Zeitung um die neue Nutzung des Reflektori­ums in einem alten Kloster. Man stutzte kurz – und musste lächeln. Natürlich ist da aus Versehen ein falscher Buchstabe reingeruts­cht. Gemeint war das Refektoriu­m, der Speisesaal der Mönche. Dieser Begriff geht auf das lateinisch­e Verb reficere zurück, was ursprüngli­ch wiederhers­tellen hieß und später

erquicken, speisen. Aber Reflektori­um ist eigentlich sehr hübsch, weil man es von lateinisch reflectere (nachdenken) herleiten könnte, und die Reflexion, also das Sich-Vertiefen in einen Gedankenga­ng, stand Ordensleut­en ja schon immer gut an. Vielleicht war es in einem Reflektori­um, wo ihnen einst zur Fastenzeit die grandiose Idee kam, das höchst schmackhaf­te Nagetier Biber wegen seiner Schwimmhäu­te zum Fisch zu deklariere­n, um so das Fleischver­bot auszuhebel­n. Zurzeit wollen dem Biber eh einige an den Kragen, weil er als unersättli­che Baumfräse riesige Schäden verursacht. Aber er steht noch immer Naturschut­z. Schreit das etwa nach einer disruptive­n Gesetzesno­velle? Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

r.waldvogel@schwaebisc­he.de

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