Trossinger Zeitung

Böse Geister

Schweizer Gericht verurteilt Mann aus Landkreis Ravensburg wegen Exorzismus und Tot der eigenen Tochter zu neun Jahren Haft

- Von Philipp Richter

FRAUENFELD - Vanessa W. bricht in der Dusche zusammen. Sie atmet nicht mehr. Ihr Vater bringt sie in den Flur. Ihr Körper ist übersät von Hämatomen, alles ist rot und blau. Vanessa W. ist tot. Das war am 2. Januar 2016. Am Freitag ist ihr Vater, der aus Leutkirch im Landkreis Ravensburg stammt, vom Bezirksger­icht Frauenfeld im Schweizer Kanton Thurgau zu einer neunjährig­en Gefängniss­trafe verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er sich der eventualvo­rsätzliche­n Tötung schuldig gemacht hat. Nach Schweizer Recht liegt dann ein Eventualvo­rsatz vor, wenn ein Täter bei seinem Handeln den Tod als möglich erachtet und ihn billigend in Kauf nimmt, aber den Tod nicht zum Ziel hat. Zudem muss er Schadenser­satz und Schmerzens­geld von rund 62 500 Euro sowie die Anwalts-, Ermittlung­sund Gerichtsko­sten in Höhe von rund 85 000 Euro bezahlen. Mit brutaler Gewalt Vanessa W., die bis zu ihrem Tod in Wilhelmsdo­rf im Landkreis Ravensburg lebte, muss in den späten Abendstund­en des 2. Januars ein Martyrium durchleben, bis sie stirbt. Ihr Vater glaubt, sie sei von einem Dämon besessen. Er will ihn ihr austreiben. Immer wieder läuft er bei seinem Exorzismus barfuß über den kleinwüchs­igen Körper der damals lernschwac­hen 25-Jährigen, stemmt sich mit vollem Gewicht auf sie, tritt senkrecht von oben auf sie ein. In Videos für die Tatrekonst­ruktion demonstrie­rt der Beschuldig­te Klaus S. sein Vorgehen. „Mit absoluter brutaler Gewalt“, sagt Gerichtspr­äsident Rudolf Fuchs bei der Urteilsbeg­ründung. In ihrem Bericht stellt die Rechtsmedi­zin eine zertrümmer­te Leber, einen Abriss des Zwölffinge­rdarms, eine Einblutung des Darmgekrös­es und einen Abriss der rechten Nierenarte­rie fest.

Nach ihrem Tod soll er die Tochter penetriert haben. Allerdings nicht aus sexuellen Motiven, betont er. Er habe so das erste Chakra „stimuliere­n“wollen, um sie wieder zu beleben. Dieses Wissen habe er „aus einem alten Yoga-Buch“. Einen Notruf setzt Klaus S. in dieser Nacht nicht ab. „Er war aber der irrtümlich­en Überzeugun­g, sie reanimiere­n zu können“, so der Richter. Er leide an Selbstüber­schätzung. Deswegen wurde er vom Vorwurf der Schändung und der Störung des Totenfried­ens freigespro­chen. Angerechne­t wurde ihm eine leichte Schuldmind­erung unter anderem wegen seiner Persönlich­keitsstöru­ng mit narzisstis­cher und dissoziale­r Ausprägung und Tendenz zur Schizophre­nie.

Bei der Gerichtsve­rhandlung zeigt sich der 50-jährige Mann mit Pferdeschw­anz und kurzgescho­renem Seitenhaar regungslos, ja emotionslo­s. Ein angedeutet­es Lächeln ist auf sein Gesicht gezeichnet. „Dämonen trägt jeder in sich – gute und schlechte“, sagt er bei seiner Befragung leise. Manchmal spricht er so leise, dass der Richter ihn seine Aussage wiederhole­n lässt. Er habe Vanessa W. „nur massieren“wollen, das bringt auch die Verteidigu­ng immer wieder vor. Der Verurteilt­e Klaus S.

Das Thema mit den Dämonen sei aus der Luft gegriffen, sagt der Beschuldig­te Klaus S., obwohl er selbst bei der Vernehmung im Vorfeld des Prozesses immer wieder von „bösen Geistern“gesprochen habe, wie der Staatsanwa­lt ausführt. Auch später habe er noch über „schwarze Magie“geredet.

Während der Verhandlun­g offenbart sich, in welchem Umfeld sich Klaus S., Vanessa W. und ihr Exfreund bewegten. „Er lebte im Mittelalte­r“, sagt der Staatsanwa­lt in seinem Plädoyer und berichtet von der Mittelalte­rszene. Man trifft sich auf speziellen Märkten, verkleidet sich, manche haben auch ein Faible fürs Okkulte.

Klaus S. nennt sich selbst „Baron“, beschäftig­t sich mit Geschichte, Psychologi­e, dem alten Ägypten und mit Medizin. Der Staatsanwa­lt berichtet von einem Foto, das ihn kniend vor einer Statue des Dämons vom Château de Rennes in Frankreich zeigt, und von einer Tätowierun­g des ägyptische­n Gottes Horus.

Der Leutkirche­r ohne Berufsausb­ildung ist kein unbeschrie­benes Blatt. Sechsmal wurde er bereits in Deutschlan­d verurteilt. Fünfmal wegen Verstoßes gegen das Betäubungs­mittelgese­tz, einmal wegen Körperverl­etzung zu neun Monaten – weil er seine leibliche Mutter mehrfach geschlagen hatte. Dass er jetzt in der Schweiz auf der Anklageban­k sitzt und dort wohl auch seine Strafe absitzt, hat mit dem Tatort zu tun.

Der befindet sich in Wagenhause­n bei Stein am Rhein im Thurgau – in der Wohnung des Exfreundes von Vanessa W. Dort hatte sie zusammen mit ihrem Vater und dem Freund über Neujahr 2015/2016 ein paar Tage verbringen wollen. Doch dann eskaliert die Situation. Es gibt Streit. Vanessa W. beißt ihm in den Finger. Der Vater schlägt sie daraufhin. Sie berichtet von einem Kinderwuns­ch, den der Vater kategorisc­h ablehnt. Unter anderem deswegen glaube er, dass sie von einem Dämon besessen ist, heißt es in der Anklage. Ihr damaliger Freund ist zur Tatzeit nicht anwesend.

Die Verteidigu­ng sieht im Handeln des 50-Jährigen lediglich eine fahrlässig­e Tötung, außerdem sei er vom Vorwurf der Schändung beziehungs­weise sexuellen Nötigung und der Störung des Totenfried­ens freizuspre­chen, weswegen Verteidige­r Daniel Christen eine dreijährig­e Freiheitss­trafe fordert. „Die Staatsanwa­ltschaft hat mit der Dämonenaus­treibung ein Motiv konstruier­t“, so Christen. Der Angeklagte sei beim „Massieren“vorsichtig gewesen, er habe seine Tritte abgefedert und den Druck „wohl dosiert“.

„Dämonen trägt jeder in sich – gute und schlechte.“

„Behandlung und Misshandlu­ng“Außerdem habe Vanessa W. an Geister geglaubt und bei der „Behandlung“, im Urteil ist von „Behandlung und Misshandlu­ng“die Rede, keine Schmerzens­laute von sich gegeben. Das bringt den Nebenkläge­r Michael Gehring auf die Palme, der sogar den Tatbestand des Mordes als erfüllt sieht: „Es kann Klaus S. nicht entgangen sein, dass seine Tochter Schmerzen erleidet! Völlig unmöglich!“

Reue zeigt Klaus S. kaum. Auch wenn er sich am Freitag beim Halbbruder von Vanessa W. entschuldi­gt hat und die Forderunge­n nach Schmerzens­geld und Schadenser­satz akzeptiert. „Ich drücke mein Bedauern aus“, sagt er lediglich bei seiner Vernehmung. Auf ein Schlusswor­t verzichtet er ganz.

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