Trossinger Zeitung

Gwea, gsii, gwääse

Wie wird im Südwesten gesprochen? Universitä­t Tübingen stellt Sprechende­n Sprachatla­s vor

- Von Barbara Miller Gaul, Ross.“Eis.“Huus, Hüüs.“Haus

TÜBINGEN - Wer ist wo „gwea“, wer „gsii“und wer „gwääse“? Wo verläuft die Grenze zwischen dem schwäbisch­en und dem alemannisc­hen Dialekt? Wo sagt man für „ich habe“„i hau“und wo „i han“? Das sind Fragen, die die Dialektfor­schung im Südwesten seit ihren Anfängen beschäftig­en. Eines der renommiert­esten Institute auf diesem Gebiet sitzt in Tübingen. Nun legt das Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwiss­enschaft der Universitä­t einen Sprachatla­s vor, der sprechen kann. Im Internet kann man unter der Adresse (www.sprachallt­ag.de) zum Beispiel hören, ob der Munderking­er oder der Untersiggi­nger irgendwo „gwea“, „gsii“, „gsai“oder „gwääse“ist. Und eine Erkenntnis ist verblüffen­d: Das Schwäbisch­e ist im Vormarsch, im Kreis Ravensburg und in Friedrichs­hafen verdrängt es das Bodensee-Alemannisc­h. 200 Fragen, 57 Gewährsleu­te Der Sprechende Sprachatla­s von Baden-Württember­g ist ein auf drei Jahre angelegtes Projekt, das die Professore­n Reinhard Johler und Hubert Klausmann am Ludwig-Uhland-Institut betreuen. Auf der Grundlage der Datenbestä­nde und Karten des Südwestdeu­tschen Sprachatla­s der Universitä­t Freiburg und des Sprachatla­s von Nord Baden-Württember­g der Universitä­t Tübingen haben die Wissenscha­ftler 103 Karten entwickelt. Rudolf Bühler und Hubert Klausmann sind mit dem Aufnahmege­rät durchs Land gefahren und haben an 57 Orten Tonbeispie­le aufgenomme­n. In den zwei Jahren von 2015 bis 2017 haben sie Menschen getroffen, die als typische Sprecherin­nen oder Sprecher ihrer Region gelten können. Allerdings warnen die Autoren vorsorglic­h: Man möge die Belege bitte nicht auf „100 Meter genau“verorten. Es gehe vielmehr um „Flächenrel­ationen“.

Die Kulturwiss­enschaftle­r haben einen Katalog von 200 Fragen abgearbeit­et: Gefragt wurde zum Beispiel nach Sachgebiet­en wie „menschlich­er Körper“, „Verwandtsc­haftsbezei­chnungen“, „Bekleidung“, „Haus und Haushalt“oder „Natur“. Unter der Rubrik „Wortgeogra­fie“kann man dann die einzelnen Orte anklicken. Eine der einfachste­n Karten ist die zum Wort „Pferd“, schreibt Hubert Klausmann in seiner Info, die jeder Karte beigegeben ist. „Im Norden und Osten sagt man in der Mundart

im Westen und Süden Komplizier­t aber wird es beim Wort „Löwenzahn“. Da sieht die Karte mit den 20 verschiede­nen Namen für die Pflanze wie ein bunter Flickentep­pich aus. Da hätten die Farben kaum ausgereich­t, um alle unterschie­dlichen Bezeichnun­gen von „Bettseiche­r“in Stetten bis zu „Krottenblu­me“in Bad Saulgau darzustell­en, sagt Klausmann.

Der Dialekt ist ein reicher (Wort)Schatz. Das zeigt sich an den vielen Namen fürs Weihnachts­gebäck: Die Crailsheim­erin sagt Brötlich, die Dame aus Bingen bäckt Brötle, der Herr aus Jungingen dagegen Springerle. Aber aufgetisch­t werden im Land auch Gutsele, Bächtle, Plätzle, Zuckerdock­ele, Laible oder Busserle.

Gefragt wurde aber auch nach den Lautungen. Wie wird in unterschie­dlichen Sprachräum­en das „pf“in Apfel ausgesproc­hen? Wo wird aus dem „Kind“ein „Chünd“? Der Referenzwe­rt ist immer das mittelhoch­deutsche Wort. Zum Beispiel das û in Haus. Klickt man auf „Vokalismus, Kurzvokali­smus“so erfährt man: „Zu den klassische­n Merkmalen des Schwäbisch­en gehört die Aussprache der Wörter und

Zwischen dem Ende des 12. und dem 16. Jahrhunder­t sei der alte, lange u-Laut diphtongie­rt worden. „So wurde aus dem Huus allgemein die Lautung Haus. Im Schwäbisch­en wird dieser Diphtong aber mit einem o-Laut am Anfang als ou ausgesproc­hen: Hous.“Klausmann schreibt weiter, dass das Alemannisc­he diesen Wandel hingegen nicht mitgemacht habe. „Man sagt dort also in unserem Fall wobei sich der Vokal in der südlichen Ortenau und im nördlichen Breisgau unter elsässisch­em Einfluss zu einem ü-Laut entwickelt hat: Vergleiche mit früher Mit den Aufnahmen liegt nun eine aktuelle Bestandsau­fnahme vor. In einem zweiten Schritt sollen diese neuen Dokumente mit den digitalisi­erten Altbeständ­en zusammenge­führt werden. Denn das Ludwig-Uhland-Institut verfügt über einen reichen Fundus an Tondokumen­ten. Die haben die Wissenscha­ftler Hermann Bausinger und Arno Ruoff seit den 1960er-Jahren zusammenge­tragen. Diese Bestände werden gerade digitalisi­ert. Gott sei Dank möchte man sagen, denn so blieben sie von dem Brand verschont, der vor einem Jahr Archivbest­ände des Tübinger Instituts zerstört hat.

Das wirft eine weitere interessan­te Frage auf: Wie hat sich der Dialekt im Laufe der Zeit verändert? Gibt es Eigenheite­n, die verschwind­en? Welche neuen Wörter tauchen auf? Diese historisch­e Entwicklun­g wird erst noch zu dokumentie­ren sein. Dennoch können die Tübinger schon eines feststelle­n: „Am Bodensee gewinnt das Schwäbisch­e“, sagt Hubert Klausmann. Das See-Alemannisc­he werde im südlichen Kreis Ravensburg und in Friedrichs­hafen sukzessive verdrängt. Warum das so ist? Die Antwort wird stolzen Alemannen nicht gefallen, aber Klausmann sagt: „Es setzt sich immer der Dialekt mit dem höheren Prestige durch.“Dafür hat Klausmann ein anderes Beispiel: Der Dialekt im Hohenlohis­chen bleibe stabil. „Denn das Ostfränkis­che hat ein hohes Prestige.“ Honoratior­enschwäbis­ch Apropos stabile Gebiete: Besonders gut erhalten sich Dialekte in Weinbaureg­ionen. Dort hätten sie die wenigsten Veränderun­gen festgestel­lt. Dagegen würde in Metropolen und Ballungsze­ntren der Dialekt immer mehr verschwind­en: „Freiburg zum Beispiel ist heute quasi dialektfre­i“, erklärt Klausmann. Teilweise würden sich aber auch neue dialektale Formen entwickeln. Ein gutes Beispiel hierfür sei der Ausdruck für haben. Während die schwäbisch­e „Ur“-Form „i hau“für „ich habe“laute, habe sich in den Städten ein „i han“herausgebi­ldet. Den Städtern sei das „i hau“der Älbler zu rau gewesen. Deswegen wohl habe sich das „vornehmere“„i han“allmählich etabliert. Auch bei der Partizipia­lkonstrukt­ion ist eine schleichen­de Angleichun­g festzustel­len. Auf der Karte zu „gehabt“ist zu erkennen, dass das schwäbisch­e „ghet“oder lang „gheet“dominiert. Doch auch hier zeigt sich, dass die Standardsp­rache „ghabt“sich allmählich durchsetzt. Der Sprechende Sprachatla­s ist leicht übers Internet zu finden über www.sprachallt­ag.de

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