„Überrascht, dass jetzt die Bagger rollen“
Stadt manövriert Öffentlichkeit in Frage der Sozialwohnungen aus
SPAICHINGEN - Die Nachbarn auf der anderen Straßenseite der Eisenbahnstraße haben sich Anfang der Woche die Augen gerieben, als ein Handwerksbetrieb aus Mühlheim damit begann, erst Rohre zu legen und dann ein Baufeld auszuheben. Sie hatten von der Stadt rein gar nichts mitgeteilt bekommen, was dort plötzlich gebaut wird.
Des Rätsels Lösung: Ohne dass es je eine öffentliche Ratssitzung zu dem Thema gegeben hätte, werden dort 15 Sozialwohnungen gebaut. Diese sollen, so hatten wir bereits von nicht öffentlichen Plänen berichtet, Flüchtlinge und „sozial schwache Personen“aufnehmen. Doch ist das Vorhaben überhaupt rechtlich einwandfrei zustande gekommen? Und wenn es eine Beschlusslage im Gemeinderat gibt, wer hat dafür gestimmt?
Eine Nachfrage bei den Gemeinderatsfraktionen vor allem zu der Frage, ob sie es als Bürgervertreter für korrekt halten, dass der Bau von steuerlich subventionierten Sozialwohnungen komplett nichtöffentlich verhandelt worden ist, hat Folgendes ergeben: Grundstücksverkäufe seien immer nicht öffentlich. Und dass an dieser Stelle Sozialwohnungen entstehen sollen, sei spätestens seit der Bergsitzung bekannt, so Heinrich Staudenmayer für die Freien Wähler. Im übrigen verweise er auf die Nichtöffentlichkeit der Beratungen.
Dasselbe schreibt Ulrich Braun in Vertretung des CDU-Fraktionsvorsitzenden Karsten Frech. Grundsätzlich setze sich die CDU-Fraktion aber für den Grundsatz der Innenverdichtung und Sozialwohnungen ein, habe deshalb auch mehrere Altimmobilien vorgeschlagen zum Ankauf und zur Nutzung. Aber: „Die CDU sieht den Standort Bahnhof/Eisenbahnstraße aus verschiedenen Gründen als nicht ideal und hat diesen seit jeher kritisch begleitet. Daran hat sich nichts geändert und wird sich auch nichts ändern.“Da die Fraktion der Grünen, so deren Vorsitzender Alexander Efinger, und Pro Spaichingen mit Vorsitzendem Holger Merkt, wie sie sagen gegen das Projekt neben dem Notariat sind – ist also gar kein positiver Beschluss dafür gefällt worden, weil auch die CDU dagegen ist?
So kann es nicht gewesen sein. De facto hat der Gemeinderat bei sechs Gegenstimmen bereits Mitte vergangenen Jahres für Sozialwohnnungen in Modularbauweise beim Bahnhof gestimmt. Dagegen waren nach unseren Recherchen Pro Spaichingen, die Grünen und ein CDU-Rat. Eine entsprechende Rückfrage auf das Abstimmungsverhalten der CDU beantwortet Braun mit dem Hinweis auf Nichtöffentlichkeit.
In der Tat hat sich seitdem die Sachlage aber sehr geändert. Der erste Plan lautete, dass die Stadt selbst mit einem Generalunternehmer baut. Dann wurde im Oktober und Dezember eine neue Variante vorgelegt: Das Gelände solle zu 80 Euro je Quadratmeter verkauft werden. „Der Verkauf erfolgt zugleich mit der Maßgabe, dass die Stadt wahlweise ein 20 bzw. 25-jähriges Belegungsrecht an der Immobilie erhält“, bevorzugt 20 Jahre, hieß es in der Vorlage vom Dezember weiter.
Weiter hieß es in der Beschlussvorlage, dass die Verwaltung beauftragt werde, einen Überlassungsvertrag auszuhandeln und dem Gemeinderat zur Genehmigung vorzulegen. Wichtig war den Räten aber vor allem, auch bei örtlichen Unternehmen anfragen zu lassen.
Nach der Sitzung am 4. Dezember sei dann keine Information mehr seitens der Verwaltung gekommen, sagt Holger Merkt (Pro Spaichingen). „Ich war mehr als überrascht, als die Bagger jetzt rollten“, so Merkt. Er könne sich nicht daran erinnern, überhaupt über die Sache in der Dezembersitzung abgestimmt zu haben. Grundtenor sei gewesen, dass man das Fehlen weiterer Angebote kritisiert und dies zur Bedingung für Weiteres gemacht habe. Frank Stoffel habe nun diese Woche nachgefragt, was mit dieser Bedingung des Gemeinderats geschehen sei – und man habe ihm die Auskunft im Rathaus gegeben, dass es keine positiven Antworten seitens Spaichinger Unternehmern gegeben habe. Keine schriftliche Information, keine weitere Sitzung.
Weder habe der Rat genaue Pläne gesehen, noch sei irgendetwas konkret beschlossen, noch ein Vertrag zur Belegung vorgelegt worden, so Merkt. Dass man nun im Schweinsgalopp die Sache durchziehen wolle, sei ein Skandal. „So werden wir das nicht stehen lassen.“Er habe zudem mehrmals in den Vorberatungen den Antrag gestellt, dass die Angelegenheit öffentlich behandelt werde und finde es unglaublich, dass die Anwohner über nichts seitens der Stadt informiert wurden.
Auch Alexander Efinger ist sich sicher, dass er für die Grünen mehrfach die Öffentlichkeit der Verhandlungen in der Sache beantragt habe. Auch er sagt, er habe nicht für den Grundstücksverkauf und die damit zusammenhängenden Vorhaben gestimmt.
In der entsprechenden Sitzung war es öffentlich und nichtöffentlich hoch her gegangen, weil ihr für die Haushaltsberatungen die so genannte „Geheimsitzung“von vier Fraktionen zusammen mit der Verwaltungsspitze unter Ausschluss zweier Fraktionen im Rathaus am Sonntag zuvor vorausgegangen war.
Doch was ist nun Fakt? Offenbar der Beschluss des Grundstücksverkaufs, den Freie Wähler, SPD und FDP auf unsere Anfrage bestätigen. Dieser sei immer nichtöffentlich und müsse auch nicht ausgeschrieben werden, so Leo Grimm für die FDP und Walter Thesz für die SPD. Thesz bestätigt aber den politischen Willen der SPD-Fraktion, dass beabsichtigte Geschäft – der Unternehmer baut auf eigene Kosten und die Stadt mietet zurück – zu unterstützen.
Thesz schreibt: „Falls es der Stadt gelingt, diese Wohnungen als gesamtes längerfristig anmieten zu können und die Stadt das alleinige Belegungsrecht erhält, findet dies Zustimmung der SPD-Fraktion.“Dies habe die SPD im Übrigen schon in der Bergsitzung als tragbar angekündigt.