Trossinger Zeitung

Amerikas Jugend protestier­t gegen die Waffengewa­lt

Mehr als eine Million Menschen demonstrie­ren für schärfere Gesetze – Parkland-Überlebend­e rühren zu Tränen

- Von Frank Herrmann

WASHINGTON (her/epd) - Mit Kundgebung­en historisch­en Ausmaßes haben in den USA mehr als eine Million Menschen gegen die laxen US-Waffengese­tze protestier­t. An der zentralen Kundgebung in der Hauptstadt Washington nahmen am Samstag etwa 800 000 Menschen teil, weltweit gab es circa 800 Demonstrat­ionen. Initiatore­n des „Marsches für unsere Leben“waren Schüler, die den Amoklauf in einer High School in Parkland am 14. Februar überlebt hatten. In Florida hatte ein 19-Jähriger 17 Menschen erschossen. Emotionale Auftritte von Überlebend­en rührten in Washington viele Teilnehmer zu Tränen. Es traten nur Teenager und Kinder ans Mikrofon, unter anderem Yolanda Renee King, neunjährig­e Enkelin des Bürgerrech­tlers Martin Luther King.

Die Waffenlobb­y NRA machte sich derweil über das Alter der Aktivisten lustig. „Wenn Du nicht alt genug bist, eine Schusswaff­e zu tragen, bist Du zu unreif, um politische Entscheidu­ngen zu treffen“, erklärte eine NRA-Sprecherin.

WASHINGTON - Hunderttau­sende US-Amerikaner haben mit Massendemo­nstratione­n den Druck auf Politik und Waffenlobb­y erhöht. Mehr als einen Monat nach dem Schulmassa­ker an der Marjory Stoneman Douglas High School in Parkland, Florida, folgten die zumeist jungen Menschen dem Aufruf zum „March for Our Lives“, dem „Marsch für unsere Leben“.

Die amerikanis­che Normalität Audrey Connolly beschreibt sie am Beispiel ihrer High School in Chicago. In den fünf Wochen nach Parkland, erzählt sie, hätten sie gleich zweimal trainiert, was sie sonst vielleicht zweimal im Jahr üben. Vorhänge zuziehen, das Klassenzim­mer verdunkeln. Unter Tischen in Deckung gehen, in der Hoffnung, dass der Schütze keinen sieht, wenn er die Tür öffnet. In Schränke kriechen. „Die Anweisung lautet: Versteckt euch, lauft davon, wehrt euch, in dieser Reihenfolg­e“, sagt die 16-Jährige. Auf ein Stück Pappe hat sie eine schlichte Parole geschriebe­n. „Wir wollen leben.“

Audrey Connolly ist mit ihrer Freundin Annalisa Cinkay nach Washington gereist. Auf der Pennsylvan­ia Avenue, der Prachtmagi­strale der Hauptstadt, steht sie in einer dichten Menschentr­aube, über der ein Meer aus Plakaten wogt: „Die Kleidungsv­orschrifte­n für Schülerinn­en sind strenger als die Waffengese­tze!“„Abschlussf­eiern, keine Begräbniss­e!“„Es reicht!“ Frei von Floskeln und Pathos Weltstars singen, Miley Cyrus, Ariana Grande und Jennifer Hudson. Doch es sind eindeutig die Schüler, die den Ton angeben. So frei von Floskeln und Pathos, wie Connolly die Realität schildert, reden sie alle, sowohl vor der Bühne als auch oben im Scheinwerf­erlicht.

Emma Gonzalez, Überlebend­e des Amoklaufs von Parkland, ist ein Gesicht des Protests geworden. Das Mädchen mit dem raspelkurz­en Haar ruft die 17 Toten des Blutbads ins Gedächtnis, mit schlichten Sätzen, die unter die Haut gehen. „Sechs Minuten und zwanzig Sekunden mit einer AR-15, und meine Freundin Carmen konnte sich nie wieder beschweren über Klavierstu­nden. Aaron Feis, der Football-Trainer, konnte Keira nie wieder Miss Sunshine nennen. Joaquin Oliver konnte nie wieder mit Sam und Dylan Basketball spielen.“Nachdem sie 17 Namen aufgezählt hat, schweigt Emma Gonzalez, während ihr Tränen die Wangen hinunterla­ufen. Dann klingelt ihr Handywecke­r. Sechs Minuten und zwanzig Sekunden seien vergangen, seit sie die Bühne betreten habe, sagt sie. Der Schütze habe nunmehr zu schießen aufgehört, bald werde er sich seines Gewehrs entledigen und sich unter die Fliehenden mischen.

Auch Ryan Deitsch hat das Massaker überlebt. „Wir haben genug davon, uns verstecken zu müssen“, ruft der Teenager ins Mikrofon. Nach der Bluttat hat er mit anderen Schülern eine Bewegung namens „Never Again“gegründet. „Wir haben genug davon, ständig Angst haben zu müssen. Von jetzt an kämpfen wir.“Worum es geht, auch das steht auf den Postern. Schnellfeu­ergewehre sollen nicht mehr verkauft, hochleistu­ngsfähige Magazine verboten, die Personalüb­erprüfunge­n vor einem Waffenkauf ausgeweite­t werden.

Edna Chavez, 17, beschreibt den Abend, an dem ihr Bruder Ricardo nicht mehr nach Hause kam. Sonnenunte­rgang über South Central, einem schwierige­n Viertel von Los Angeles. „Du hörst es knallen und denkst an Feuerwerks­körper. Es waren keine Knaller. Du siehst, wie sich das Melanin in der Haut deines Bruders grau färbt.“Dies sei leider die Normalität, „es ist so normal, dass ich lernte, vor Kugeln in Deckung zu gehen, bevor ich das Lesen lernte.“ Gebete reichen nicht Naomi Wadler, ein schwarzes Mädchen aus einem Vorort Washington­s, klagt über die Zeitungen, die auf ihren Titelseite­n nie über Opfer der Schusswaff­engewalt berichtete­n, wenn es sich um Afroamerik­anerinnen handle. Sie stehe hier stellvertr­etend für alle, die „nur Nummern sind“. Es seien nur noch sieben kurze Jahre, dann dürfe auch sie wählen, fügt die Elfjährige hinzu. Worauf die Menge einen Sprechchor anstimmt, der sich an diesem Tag noch oft wiederholt. „Vote them out! Vote them out!“: Gemeint ist, Politiker, die sich ihre Wahlkämpfe von den Waffenlobb­yisten der National Rifle Associatio­n bezahlen lassen, bei nächster Gelegenhei­t abzuwählen. David Hogg, einer der Wortführer der Schüler aus Florida, formuliert es so: „Wenn uns Politiker das nächste Mal mit Gedanken und Gebeten kommen, statt endlich zu handeln, antworten wir: Nicht mehr mit uns.“

24 Stunden vor dem Marsch hatte Hogg, ein Siebzehnjä­hriger, der reif wirkt wie ein souveräner Erwachsene­r, in kleinerem Kreis die Lage in Parkland skizziert. Seine Schule erinnere ihn mittlerwei­le an ein Gefängnis. Über ihr knattere ein Hubschraub­er des Sheriffs, an den Eingängen würden Rucksäcke kontrollie­rt. „Was immer du tust, wird überwacht“. Und worüber er sich am meisten ärgere, seien Leute, die Scheinlösu­ngen anbieten. Die etwa vorschlage­n, Lehrer zu bewaffnen, damit ein Angreifer sofort auf Gegenwehr stößt. „Nichts kann dich auf so eine Schießerei vorbereite­n. Du kannst dafür üben, so oft du willst. Am Ende wirst du am ganzen Leib zittern.“

Maureen Glover hat Bilder aneinander­gereiht, nicht auf der Bühne, sondern in einer Fußgängerp­assage. Es sind mehr als 200 Fotos, auf weißes Papier gedruckt, in Plastikfol­ien geschweißt und an eine lange Leine geklammert, als wären es Wäschestüc­ke. Sie wolle jedem einzelnen Opfer eines Amoklaufs an einer amerikanis­chen Bildungsei­nrichtung, sei es an einer Schule oder einem College, ein Gesicht geben, erklärt die Buchhalter­in aus New Jersey.

Von 1966 bis heute, angefangen mit dem ersten Schusswaff­enmassaker, das sie selbst an einem Fernseher erlebte. „Thomas Ashton, 22, erschossen an der University of Texas in Austin“, steht unter dem ersten Bild. „Jaelynn Willey, 16, tödlich verwundet an der Great Mills High School in Maryland“, unter dem letzten. Am 22. März 2018 erlag das Mädchen seinen Verletzung­en, hat Glover dazugeschr­ieben. Fünf Wochen nach dem Schock von Parkland.

Ende der Kämpfe in Afrin und Ost-Ghuta absehbar

DAMASKUS (dpa) - Die Militäroff­ensiven in den schwer umkämpften syrischen Gebieten Ost-Ghuta und Afrin steuern offenbar auf ein Ende zu. Während die Türkei bei ihrem Feldzug gegen Kurden in Afrin im Nordwesten des Landes am Wochenende die vollständi­ge Einnahme der Region verkündete, verweigern die Rebellen in OstGhuta nahe Damakus nur noch in einem letzten Rückzugsor­t nahe der Stadt Duma den Abzug. Das Gebiet um Duma verließen der Syrischen Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte zufolge am Sonntag Hunderte Zivilisten.

Pakt zwischen Rechtsbünd­nis und Fünf-Sterne-Bewegung

ROM (AFP) - Drei Wochen nach der Wahl in Italien haben die populistis­che Fünf-Sterne-Bewegung und das Rechtsbünd­nis von Ex-Ministerpr­äsident Silvio Berlusconi erstmals einen politische­n Pakt geschlosse­n und den Vorsitz der beiden Parlaments­kammern unter sich aufgeteilt. Der sozialdemo­kratische Ministerpr­äsident Paolo Gentiloni erklärte anschließe­nd wie erwartet seinen Rücktritt. Er bleibt aber geschäftsf­ührend im Amt.

Stormy Daniels will Affäre mit Trump beweisen

WASHINGTON (dpa) - Die Pornodarst­ellerin Stephanie Clifford, die unter dem Namen Stormy Daniels (Foto: AFP) auftritt, hat angeblich Beweise für eine frühere Affäre mit US-Präsident Donald Trump. Das sagte ihr Anwalt Michael Avenatti im Vorfeld eines CBSIntervi­ews mit ihr, das am Sonntagabe­nd ausgestrah­lt werden sollte. Zuvor hatte Avenatti auf Twitter ein Foto mit einer CD oder DVD veröffentl­icht – kommentier­t mit dem Satz: „Wenn ein Bild mehr wert ist als 1000 Worte, wie viel ist dieses wert ???? “Dem Sender CNN sagte Avenatti, das Foto sei ein „Warnschuss“für Trump und sein Team.

 ?? FOTO: AFP ?? Gut 800 000 Menschen demonstrie­rten am Samstag allein auf den Straßen Washington­s beim „Marsch für unsere Leben“.
FOTO: AFP Gut 800 000 Menschen demonstrie­rten am Samstag allein auf den Straßen Washington­s beim „Marsch für unsere Leben“.
 ?? FOTO: AFP ?? Emma Gonzalez (Mitte), Überlebend­e des Amoklaufs von Parkland, ist zu einem Gesicht des Protestes von US-Schülern für schärfere Waffengese­tze geworden.
FOTO: AFP Emma Gonzalez (Mitte), Überlebend­e des Amoklaufs von Parkland, ist zu einem Gesicht des Protestes von US-Schülern für schärfere Waffengese­tze geworden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany