Trossinger Zeitung

Schwierige Heimkehr ins „sichere Herkunftsl­and“

Roma aus den Westbalkan-Staaten haben in Deutschlan­d kaum noch Chancen auf Asyl – In der alten Heimat sind die Abgewiesen­en oft auf Hilfe angewiesen

- Von Katja Korf

NOVI SAD - Es war eine jener Entscheidu­ngen, die Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) gegen große Teile der eigenen Partei traf: Er stimmte 2014 im Bundesrat zu, als die Bundesregi­erung die Westbalkan-Staaten zu sicheren Herkunftsl­ändern erklärte. Kritiker bemängelte­n unter anderem, gerade Angehörige der Roma-Minderheit seien in ihren Heimatländ­ern Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowin­a Opfer von Diskrimini­erungen und bedürften daher des Schutzes. Auf der einwöchige­n Delegation­sreise Kretschman­ns in die Region ist die Situation der aus Baden-Württember­g zurückgeke­hrten Roma eines der Themen.

Fest steht: Seit der umstritten­en Entscheidu­ng stellen erheblich weniger Menschen vom Westbalkan Asylanträg­e in Baden-Württember­g. 2015 waren es noch 16 400 aus Serbien, Albanien, Bosnien-Herzegowin­a und dem Kosovo, gab es 2017 nur noch rund 750 Anträge. Mehr als 1580 Flüchtling­e aus Serbien wurden seit 2014 aus Baden-Württember­g in ihre Heimat abgeschobe­n, weitere 5000 kehrten freiwillig zurück und nutzten dafür staatliche Hilfe. Die meisten von ihnen sind Roma. Die Zahlen dürften noch höher liegen, denn in die Statistik des Stuttgarte­r Innenminis­teriums fließen nur jene ein, die ihre Rückkehr nicht aus eigenen Mitteln bezahlen. Pro Asyl spricht von Zeitenwend­e Pro Asyl und Flüchtling­srat kritisiere­n bis heute, die Westbalkan-Entscheidu­ng sei eine Zeitenwend­e in der Flüchtling­spolitik gewesen. Flüchtling­e aus diesen Ländern durchlaufe­n vereinfach­te Asylverfah­ren. „Seitdem unterschei­det man zwischen den ,guten‘ politisch Verfolgten und den vermeintli­ch ‚schlechten‘ Wirtschaft­sflüchtlin­gen“, sagt Seán McGinley vom Flüchtling­srat, in dem sich ehrenamtli­che Helfer in Baden-Württember­g zusammenge­schlossen haben.

Für die Grünen ist das Thema ein schwierige­s. Kretschman­ns Zustimmung begründet dieser damit, dass er im Gegenzug zahlreiche Verbesseru­ng für andere Flüchtling­sgruppen herausverh­andelt hatte. Man könne darüber hinaus globale Armut nicht mit dem Asylrecht bekämpfen – das sei zum Schutz für politisch Verfolgte gedacht. Doch Flüchtling­shelfer McGinley hält dem im Falle Serbiens entgegen: „Dort ist die Lage gerade für Sinti und Roma zum Beispiel weiter prekär. Sie erhalten keinen Zugang zu Schulen und bekommen keine Jobs.“ Diakonie leistet Hilfe Wie es zurückgeke­hrten Roma in deren alter Heimat tatsächlic­h ergeht, erkundete Kretschman­ns Staatssekr­etärin Theresa Schopper (Grüne). Sie besuchte am Dienstag ein Hilfsproje­kt des Diakonisch­en Werks Württember­g in Novi Sad. Deren Referent Johannes Flothow sagte direkt zur Begrüßung: „Das Konzept der sichere Herkunftsl­änder ist ein schlechtes.“Organisati­onen wie die Diakonie befürchten, dass das Konzept zulasten von Menschen geht, die tatsächlic­h politisch verfolgt werden.

Die Diakonie betreibt mit der serbischen Organisati­on EHO ein Programm, von dem seit Juli 2016 mehr als 370 Erwachsene und Kinder profitiert haben. Die Kinder erhalten Nachhilfe, die Eltern unter anderem Unterstütz­ung bei Behördengä­ngen, bei der Reparatur ihrer Häuser und Beratung. 450 000 Euro hat die Diakonie investiert, Teile davon fließen in die Ausbildung von Helfern in ganz Serbien.

Die Lage der Roma ist schwierig. Ein Drittel von ihnen lebt in Serbien in Slums ohne Strom und Wasser, die Arbeitslos­igkeit liegt weit über 50 Prozent, sehr viele können nicht lesen und schreiben. Die Gesetze zum Schutz der Minderheit­en in Serbien sind gut, doch viele Roma berichten von Schwierigk­eiten bei der Job- oder Wohnungssu­che, bei Ämtern oder in der Schule.

Die Menschen sind an staatliche Hilfe gewöhnt – viele melden sich nach Angaben der serbischen Behörden nicht ab, wenn sie ihr Glück in der Flucht suchen, beziehen weiter Sozialhilf­e. Wer zurückkehr­t und den Ämtern dabei auffällt, wird sanktionie­rt. Helfer eines Mütterzent­rums zählen häusliche Gewalt oder Alkoholism­us zu den großen Problemen. Anderersei­ts kehren viele zurück in eigene, einfache Häuser, die ihre Familien vor der Flucht gebaut haben und erhalten die wenn auch niedrigen staatliche­n Hilfen.

Die prekäre Lage, in der viele Roma leben, sieht auch Staatssekr­etärin Schopper. „Es gibt hier eine Armutstrad­ition, die wir durchbrech­en müssen“. Aber Asyl in Deutschlan­d sei eben kein geeigneter Ausweg – politisch verfolgt würden die Roma nicht. „Natürlich können wir trotzdem nicht sagen, es ist uns egal, was mit den Menschen passiert, nachdem sie wiederum in ihrer Heimat sind.“Es gehe darum, die Fluchtursa­chen zu bekämpfen. Deswegen will die Landesregi­erung nun prüfen, ob sie die Initiative des Diakonisch­en Werkes in den kommenden Jahren fördert. Es dürfte jedoch erheblich weniger Geld fließen als jene 450 000 Euro, die die Kirche bislang investiert hat. Rückreisek­osten werden erstattet Allerdings hilft Baden-Württember­g jenen, die freiwillig zurückkehr­en, auch auf anderem Wege. 2017 flossen mehr als 660 000 Euro. Einzelpers­onen können bis 1500 Euro erhalten. Flüchtling­e aus sicheren Herkunftsl­ändern bekommen weniger, aber die Reisekoste­n können sie erstattet bekommen. Bis vor Kurzem konnten Menschen aus diesen Regionen außerdem Geld für den Start in der Heimat beantragen. Mehr als 1800 Rückkehrer vom Westbalkan profitiere­n von der Hilfe internatio­naler Organisati­onen. Staatsange­hörige dieser Länder könne außerdem legal zurück nach Deutschlan­d, wenn sie ein festes Arbeitsver­hältnis nachweisen.

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FOTO: DPA Roma-Siedlung Ada Haju bei Belgrad: Jeder dritte Angehörige der Minderheit in Serbien lebt in einem Slum ohne Strom und Wasser.

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