Viel Lärm um nix
Am Ende doch keine Hakenkreuze bei Somuncus Inszenierung von Taboris „Mein Kampf“
KONSTANZ - Eine Premiere ausgerechnet an Adolf Hitlers Geburtstag, bizarre Einlassbedingungen und ein weltweites Medienecho: Serdar Somuncus Inszenierung von George Taboris Farce „Mein Kampf“am Konstanzer Theater versprach einen veritablen Skandal. Am Ende blieben vor allem offene Fragen.
So viel Trubel hatte das Konstanzer Theater wohl lange nicht erlebt. Kamerateams von ZDF bis Russia Today tummelten sich schon Stunden vor der angesetzten Premiere vor dem Gebäude, Polizisten in kugelsicheren Westen bewachten den Eingang und schaulustige Konstanzer rieben sich angesichts der ungewohnten Aufmerksamkeit für ihr kleines Schauspielhaus verwundert die Augen. Am Ende des anderthalb Stunden langen Stücks war die Verwunderung dann bei beinah allen Beteiligten groß: War das alles? War das so geplant? Und: Was sollte das Ganze überhaupt?
Von der groß angekündigten Verteilung von Hakenkreuzbinden und Davidsternen war nämlich nichts geblieben. Keine Binden, kein Skandal, keine Naziaufmärsche. Ein PR-Gag also? Oder doch ein Rückzieher von Somuncu und Intendant Christoph Nix in letzter Minute? Schließlich hatte sich im Vorfeld unter anderem die Konstanzer Synagogengemeinde in einem offenen Brandbrief zu Wort gemeldet. Die Schoa sei kein Rollenspiel, sondern systematischer Völkermord, hieß es darin.
Doch zum Stück: Das ist eigentlich schnell erzählt. In George Taboris 1987 inszenierter Farce trifft ein junger Adolf Hitler in einem Wiener Männerwohnheim auf den Juden Schlomo Herzl und den Koch Lobkowitz, der sich für Gott hält. Herzl, der eigentlich damit beschäftigt ist, ein Buch mit dem Titel „Mein Kampf “zu schreiben, nimmt sich des jungen Mannes an und tröstet ihn, als er von der Wiener Kunstakademie abgewiesen wird. Mit seiner Fürsorge ebnet der unbedarfte Herzl allerdings den Weg für den späteren Aufstieg Hitlers. Taboris Stück sprüht schon in der Originalfassung vor beißendem Witz und drastischer Sprache. Klar, dass einer wie Somuncu, der für provokante Aktionen bekannt ist, noch mindestens eine Schippe drauflegen möchte. „Ausländer raus“-Rufe Das gelingt zu Anfang des Stücks ziemlich gut. Kurz nachdem sich die Türen zum Saal schließen, dringen von draußen laute „Ausländer raus“Rufe herein. Ist das Teil der Inszenierung? Oder haben sich wieder einmal Neonazis eingefunden, um einen Somuncu-Abend zu stören? Mit einem Krachen fliegen die Türen auf, Männer mit nackten Oberkörpern und Baseballschlägern stürmen herein und zerren einen Mann aus der ersten Reihe auf die Bühne. Unter Gebrüll rechter Parolen verprügeln sie ihr Opfer. Schnell wird klar: Das gehört zur Inszenierung. Aufblasbare Baseballschläger zählen dann doch nicht zu den typischen Nazi-Utensilien. Und doch bleibt ein beklemmendes Gefühl, das bei allem folgenden Klamauk auf der Bühne bis zum Schluss nachwirkt.
Die Inszenierung bleibt in vielen Teilen nah an der Vorlage. Die Dialoge stammen teils eins zu eins von Tabori. An anderer Stelle setzt sich Somuncu aber deutlich über dessen Szenen und Regieanweisungen hinweg. All das in dem Bemühen, dem alten Stoff einen neuen Anstrich zu verpassen und noch mehr Provokation einzubauen. Das klappt mal hervorragend, wenn zum Beispiel der Koch mit Gotteskomplex durch rote Krawatte und blonde Mähne frappierend an Donald Trump erinnert. Weniger, wenn der zum Transvestiten mutierte Hitler Helene Fischers „Atemlos durch die Nacht“in einen großen schwarzen Dildo singt und dabei einen Striptease hinlegt. Ja, mit einem parodierten Hitler allein lässt sich heute kein Blumentopf mehr gewinnen, aber das wird der satirischen Vorlage dann doch nicht gerecht.
Gut funktionieren die Anspielungen auf die aktuelle Politik. So wird in einem Gespräch die bei Tabori erwähnte Geschichtslehrerin Hitlers zum Lehrer „Bernd“Höcke. Das Huhn Mizzi wird zum schwarzen Flüchtlingsjungen Ali, der am Ende von Hitlers Assistenten Himmlischst fachmännisch-grausam zerlegt wird – zynisch kommentiert mit Anspielungen auf die europäische Asylpolitik. Da wird etwas von der oft gehaltvollen Gesellschaftskritik Somuncus sichtbar. Im Gegensatz zur missglückten Aktion im Vorfeld wirkt die hier nicht platt, sondern hinterlässt ein mulmiges Gefühl. Hervorragende Schauspieler Einen durchweg positiven Eindruck hinterlassen die Schauspieler des Konstanzer Ensembles. Allen voran Thomas Fritz Jung als Schlomo Herzl und Peter Posniak als Hitler. Beeindruckend, wie der das sperrige Deutsch Hitlers – vom echten „Mein Kampf“inspiriert – herunterleiern kann, nur um im nächsten Moment in das bekannte herrische Schnarren oder in ein unsicheres Winseln zu verfallen.
Am Schluss kommt dann doch noch eine kleine Reminiszenz an den versprochenen Skandal: Nach einem Schuss rieseln Papierschnipsel zerrissener Hakenkreuze und gelbe Davidstern-Sticker auf die Zuschauer herunter. Ein mittelmäßiger Effekt, der damit allerdings zum schwächelnden Ende des Stücks passt. Gegen den selbstauferlegten Schatten der emotional aufgeladenen Symbole Hakenkreuz und Davidstern kommt diese Inszenierung leider nicht an. Ein Video über die Konstanzer Inszenierung von „Mein Kampf“unter www.schwäbische.de/meinkampf