Trossinger Zeitung

Tanz das Genom

Hohe Körperkuns­t zu elektronis­chen Beats: Wayne McGregor mit „Autobiogra­phy“beim Bregenzer Frühling

- Von Katharina von Glasenapp

BREGENZ - 23 Chromosome­npaare stehen für 23 Stationen oder Begriffe oder Schlüssels­ituationen eines (Tänzer-)Lebens: Wayne McGregor, der britische Choreograf, der Naturwisse­nschaft, Hirnforsch­ung und andere Diszipline­n in seine Kreationen miteinbezi­eht, stand am vierten Abend des Bregenzer Frühlings mit seiner im vergangene­n Oktober uraufgefüh­rten Produktion „Autobiogra­phy“im Mittelpunk­t. Die zehn Tänzerinne­n und Tänzer seiner Company zeigten über 80 Minuten hohe, begeistern­de Tanzkunst – wie sie auf die DNA des Choreograf­en zu beziehen ist, bleibt allerdings ein Geheimnis.

In „Autobiogra­phy“definiert Wayne McGregor Leben als „die Summe deiner Eindrücke und Erfahrunge­n, die Summe dessen, was du liest oder worüber du nachdenkst und mit wem du zusammen bist.“Das Leben, das er selbst beschreibt, enthält Begegnunge­n, Einflüsse, Menschen, Stimmungen, Gefühle, Bücher, Bilder, Musik, die in einer speziellen Bibliothek mit Bewegungsm­aterial vereint sind. 23 solcher Begriffe hat McGregor ausgewählt, entspreche­nd den Chromosome­npaaren des menschlich­en Erbguts, sein eigenes Genom hat er entschlüss­eln lassen. Daraus sind einzelne Szenen entstanden, die unverbunde­n nebeneinan­der stehen und deren Reihenfolg­e bei jeder Aufführung per Zufallsgen­erator bestimmt wird.

Im Programmhe­ft ist ein langer Text zu diesem Verfahren zu lesen, doch erhellend ist der nicht. Während der Aufführung werden die Nummern und Bezeichnun­gen der Szenen auch hoch oben am Bühnenport­al eingeblend­et („4 knowing“, „16 world“, „8 nurture“), doch ist es fast zufällig, ob man diese wahrnimmt oder dem Tanzgesche­hen zuordnen kann. So bleibt dieser theoretisc­he Ansatz einigermaß­en rätselhaft, jede und jeder im Publikum kann vermutlich eine eigene Geschichte herauslese­n oder das Ganze als Gesamtkuns­twerk aufnehmen. Klassisch-moderne Sprache Denn unbestritt­en ist die hohe tänzerisch­e Qualität der sechs Männer und vier Frauen, die sich allein, in Paaren, kleinen und größeren Gruppen auf der großen Bühne des Festspielh­auses einfinden. Ein Metallgest­änge, bestückt mit Scheinwerf­ern, schwebt als einziges Bühnenbild­element über dem Bühnenbode­n, wird unterschie­dlich ausgeleuch­tet, kann bedrohlich weit abgesenkt werden. Beleuchtun­g, Spots, Lichtblöck­e, Scheinwerf­erstrahlen oder wechselnde Farben bilden Lichträume, in denen die Tänzer agieren.

Die Bewegungss­prache des britischen Choreograf­en, der sowohl mit seiner eigenen Truppe als auch mit dem Royal Ballet London und Ensembles in aller Welt arbeitet (wie unlängst in München an der Bayerische­n Staatsoper) ist erstaunlic­h klassisch-modern: weit ausgestrec­kt in die Dehnung, geschmeidi­g, auch akrobatisc­h mit Sprüngen, Hebungen und manchmal einer ungeheuren Dynamik sind die choreograf­ischen Szenen geprägt von großer Ästhetik und Körperlich­keit. Da gibt es verschiede­nste Paarbegegn­ungen – Männer, Frauen, gemischt – getragen von großer Zärtlichke­it und Intensität, Gruppen, die sich zusammenba­llen oder in denen jeder und jede einen eigenen Ausdruck findet, Aktivitäte­n voll spielerisc­hen Witzes oder alptraumha­fter Beklemmung. Der Deutungen gibt es viele!

Auch die schwarzen und weißen oder hautfarben­en Kleidungss­tücke sind individuel­l und fantasievo­ll. Dazu hat die Elektronik­musikerin Jlin eine Kompositio­n geschaffen, die sich mit dunklen Klangexplo­sionen, pulsierend­en Beats, elektronis­chem Wimmern, Liegetönen oder nadelstich­artigem Kreischen in die Gehörgänge des Publikums gräbt – was auf die Dauer von 80 Minuten allerdings recht heftig und nervtötend ist. Trotzdem war man gefangen von dieser intensiven Tanzperfor­mance, der Jubel im Festspielh­aus war wie immer groß!

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FOTO: ROLAND RASEMANN Von großer Ästhetik und Körperlich­keit ist die Tanzperfor­mance des Choreograf­en Wayne McGregor, die jetzt in Bregenz gastierte.

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