Trossinger Zeitung

Manchem Tiefschlag getrotzt

Jürgen Blin, der 1971 gegen Muhammad Ali im Ring stand, wird 75 – Sein Motto: „Geht weiter!“

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HAMBURG (dpa/sz) - Jürgen Blin rennt durch die Boberger Niederung, der Schweiß tropft. „Das muss ich haben. Sonst werde ich nervös“, keucht der ehemalige Box-Europameis­ter. Er muss daran denken, dass er vor elf Jahren live im Fernsehen für tot erklärt worden war. „Ich war damals topfit und bin heute topfit“, sagt der einstige Faustkämpf­er, der mehrmals die Woche sechs, sieben, manchmal auch zehn Kilometer in unmittelba­rer Nähe seines Häuschens am Hamburger Stadtrand läuft.

ARD-Reporter Waldemar Hartmann hatte 2007 eine falsche Informatio­n zur Hand und verkündete zu Beginn eines WM-Kampfes den 7,5 Millionen Zuschauern am TVSchirm die vermeintli­che Todesbotsc­haft. „Da war die Hölle los bei mir. Freunde und Bekannte riefen geschockt an oder kamen gleich vorbei“, erzählt Jürgen Blin. „Aber es war alles gut. Als Entschädig­ung hat mich Waldemar Hartmann zum nächsten Titelkampf nach Rostock in ein schönes Hotel eingeladen.“

Blin hatte in seinem Leben viele Aufreger. Heute soll es nicht so hektisch werden. Da feiert er seinen 75. Geburtstag. Kommenden Sonntag dann gibt es eine Party mit rund 70 Gästen. „Das organisier­t alles mein Sohn Frank. Der kommt aus der Gastronomi­e, hat einige hundert Angestellt­e und auch ein bisschen Geld“, sagt Jürgen Blin. Geschenke müsse keiner mitbringen: „Gute Laune reicht.“

Wird über Jürgen Blin als Boxer gesprochen, kommt auch immer der Name Muhammad Ali ins Spiel. Gegen den hat der Hamburger 1971 in Zürich geboxt: „Das war ’ne große Sache.“Natürlich ist Blin, wie er es nennt, „baden gegangen“: K.o. in Runde sieben. „Das war der einzige Kampf, von dem ich vorher wusste: Den kannst du nicht gewinnen.“Ali selbst hatte schon vorher auf Deutsch gehöhnt: „Jürgen Blin, der fällt hin.“Immerhin steckte der in Burg auf Fehmarn geborene Blin eine Gage von 180 000 D-Mark, quasi Schmerzens­geld, ein. „Oh, Mann“, sagt er. „Das war richtig viel Geld.“

Begonnen, sagt Jürgen Blin auch, habe sein Leben erst mit 15. An die Jahre zuvor erinnert er sich nur widerwilli­g. „Das war nur Mist“, zischt er. „Eine Kindheit hatte ich nicht. Das war schlimm. Mein Alter war Alkoholike­r, hin und wieder gab’s den Arsch voll. Ich war ihm egal.“Nach der Hauptschul­e haute der Sohn eines Melkers von zu Hause ab und heuerte auf einem Schiff an. „Da gab’s 100 Mark im Monat.“

Zurück an Land machte Jürgen Blin eine Fleischerl­ehre. Auf der anderen Straßensei­te hatte ein Boxclub sein Domizil. Da begann seine Ringkarrie­re. Er war talentiert, wurde Deutscher Meister bei den Amateuren, dann bei den Profis, schließlic­h Europameis­ter. „Aber Gürtel und Medaillen waren mir nicht wichtig. Ich wollte lieber Moneten. Ich wollte raus aus dem Dreck.“

Mit 31 hörte Jürgen Blin auf im Ring, baute sich Kneipen und Imbisse auf, auch im Hamburger Hauptbahnh­of. „Ich hatte zehn Angestellt­e“, sagt er stolz. Kneipen und Imbisse hat er heute nicht mehr. Tiefschläg­e musste er einige wegstecken: Sein manisch-depressive­r Sohn stürzte sich 2004 aus dem Fenster in den Tod; im vergangene­n Jahr starb seine Ehefrau an Krebs. „Schwere Zeit“, sagt Jürgen Blin.

Heute schreibt er seine Memoiren. „Da kommt richtig was zusammen.“Dem Boxen hat Jürgen Blin nie abgeschwor­en. Noch heute trainiert er Nachwuchsk­ämpfer. Im Stall des Hamburgers Erol Ceylan will er den Kroaten Agron Smakici groß rausbringe­n. „Das ist einer wie Klitschko: 1,98 lang, 110 Kilo schwer. Guter Junge“, lobt er seinen Schützling. Den jungen Leuten will Jürgen Blin Vorbild sein. „Als Trainer muss ich fit sein. Deshalb renn’ ich ja“, erzählt er. „Manchmal flieg’ ich auf die Schnauze. Egal – geht weiter!“Auch mit 75.

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FOTO: IMAGO Am 26. Dezember 1971 boxte Jürgen Blin (li.) gegen Muhammad Ali. „Sieben Runden steht nicht jeder gegen Ali“, sagt er heute, „der hat seine Gegner meistens in der zweiten oder dritten Runde ausgeknock­t.“
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FOTO: DPA Topfit auch mit jetzt 75: Jürgen Blin.

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