Nichte kannte Mordpläne wohl seit Wochen
Siebter Prozesstag bringt neue Erkenntnisse über die Tat von Villingendorf
ROTTWEIL - Mindestens sechs Wochen vor dem Familiendrama von Villingendorf soll die Nichte von Drazen D. in dessen konkrete Mordpläne eingeweiht gewesen sein. Sie soll mit ihm auch nach Kroatien gefahren sein, um die Tatwaffe zu besorgen. Das geht aus der Auswertung ihres Handys hervor, wie ein Kriminalbeamter am Dienstag, dem siebten Prozesstag, vor dem Landgericht in Rottweil berichtete.
Gegen die Frau und ihren ExFreund läuft ein Ermittlungsverfahren wegen „Nichtanzeigens einer Straftat“bei der Staatsanwaltschaft Konstanz, wie ein Sprecher am Dienstag auf Anfrage unserer Zeitung erklärte. Es könnte auch auf „Beihilfe zum Mord“hinauslaufen.
Eine weitere Erkenntnis kam am Dienstag im Gerichtssaal ans Tageslicht. Demnach hat Drazen D. bereits seit Ende Februar 2017 regelmäßige Ausspähtouren nach Villingendorf unternommen, wohin seine ExFreundin heimlich mit ihrem neuen Partner, den sie am Arbeitsplatz kennengelernt hatte, gezogen war. Das besagen die Daten seines Navis, das die Polizei ebenfalls ausgewertet hat.
Manchmal war der heute 41-jährige Angeklagte schon morgens um 4 Uhr auf der Suche nach der neuen Adresse unterwegs, manchmal noch nachts nach 22 Uhr. Vom 14. August stammen die ersten Daten aus der Straße, in der der Dreifachmord geschah.
Am 19. August traf er in Begleitung seiner Nichte die Ex-Freundin mit dem gemeinsamen Sohn auf einem Kaufhaus-Parkplatz in Singen. Auch darüber gab es am Dienstag neue Erkenntnisse: Drazen D. habe geschrien, er werde den Sohn umbringen und der Ex-Freundin „die Augen raus nehmen“, damit das ihr letztes Bild sei. Das Kind sei danach voller Ängste und völlig traumatisiert gewesen.
Die Nichte seines Vaters spielte nicht nur eine dubiose Rolle, sie muss auch in dubiosen Kreisen verkehrt haben. Auf ihrem Handy wurde laut Polizei eine Nachricht gefunden, in der sie erklärte, wenn ihr Onkel „die“nicht umbringe, werde sie das tun, weil er nur noch von diesem Gedanken besessen sei.
Wie sehr sich Drazen D. in Tötungsfantasien hineingesteigert haben muss, zeigen Suchbegriffe, die auf seinem Mobiltelefon gespeichert waren: „Vater erschießt sich und Kind“, „Menschen töten live“oder „Klappbares Gewehr M48“. Im Gerichtssaal wurde eine Art Selfie-Video abgespielt, das zeigen soll, wie er seine späteren Opfer beschimpft und bedroht habe.
Eine Kriminalbeamtin, die die Mutter des getöteten Jungen seit der Tat begleitet hat und bis heute Kontakt hält, berichtete, wie die Frau jeden Lebenswillen verloren habe und suizidgefährdet gewesen sei. Die Bilder von der Tat seien „im Kopf und in der Seele eingebrannt“. Sie mache sich Vorwürfe, dass sie ihren Sohn nicht habe schützen können. Nie werde sie vergessen, wie ihr Kind „mit zittrigen Beinchen“am Fenster im Wohnzimmer gestanden und gesehen habe, wie sein Vater auf der Terrasse mit dem Gewehr Menschen erschieße. Die Frau flüchtete, sah noch, wie Drazen D. in die Wohnung ging. Sie dachte, er schieße jetzt ihre Möbel und Bilder zusammen. „Aber zu keinem Zeitpunkt konnte sie sich vorstellen, dass er seinen eigenen Sohn umbringt.“
Doch dann tötete Drazen D. den Sechsjährigen, der am nächsten Tag seinen ersten Schultag gehabt hätte, mit drei Schüssen aus nächster Nähe. Die Mutter habe sich das im Nachhinein so erklärt, sagt die Kriminalbeamtin: „Er war besessen von ihr.“Ohne sie habe er auch das Kind „nicht gebraucht“, so die Beamtin. Die Frau wolle, erklärte die Beamtin, nicht mehr auf ihn angesprochen werden. Sie nenne ihren Ex-Partner „Teufel“. Entsetzen im Gerichtssaal Fünf Tage nach dem Mord habe die Mutter ihren Sohn noch einmal sehen wollen. Sie ging ins Leichenhaus, wo die drei Toten aufgebahrt lagen. „Dort hat sie ihr Kind ein letztes Mal umarmt“, sagte die Beamtin aus, die selbst Mutter ist. Lähmendes Entsetzen im Gerichtssaal. Nur einer schien unbeeindruckt: Drazen D. verfolgte all die Schilderungen stoisch. Der Prozess wird am morgigen Donnerstag um 9 Uhr fortgesetzt.