Gefahr durch Zeckenbisse wird unterschätzt
Fast ganz Süddeutschland ist inzwischen Risikogebiet für die FSME-Erkrankung
MÜNCHEN - Baden-Württemberg und Bayern gehören zu den FSMERisikogebieten. Das Virus wird durch Zeckenbisse übertragen. Teils schwer verlaufende Hirnhautentzündungen können die Folge sein. Besonders häufig fangen sich Kinder die Blutsauger ein. Doch ausgerechnet bei ihnen klafft eine enorme Impflücke.
Sie sind klein, gefährlich und werden trotzdem noch immer unterschätzt: Zecken. Fast ganz Süddeutschland ist inzwischen Risikogebiet für die von den Blutsaugern übertragene Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). Im vergangenen Jahr erkrankten so viele Menschen wie noch nie in Baden-Württemberg und im Freistaat an der schlimmstenfalls tödlich verlaufenden Hirnhautentzündung. Von den knapp 500 in Deutschland gemeldeten Fällen kamen fast 240 aus Bayern. Und auch im Südwesten war die Zahl der FSME-Erkrankungen mit knapp 190 Fällen hoch. Doch obwohl ein Piks schützen könnte, stagniert nach Angaben des Robert Koch-Instituts die Impfquote seit Jahren. Experten schlagen Alarm. Denn mit steigenden Temperaturen werden auch die Parasiten wieder aktiv.
„Unser Ziel muss eine Durchimpfungsrate für FSME von deutlich mehr als 50 Prozent sein“, sagt Markus Frühwein, Vorstandsmitglied der Bayerischen Gesellschaft für Immun-, Tropenmedizin und Impfwesen. Erst dann könne überhaupt eine Wirkung auf die Erkrankungszahlen bemerkt werden. Davon ist man im Freistaat noch weit entfernt. „Aktuell ist in Bayern nur etwa ein Drittel der Schulanfänger gegen FSME geimpft. Gerade Kinder zwischen fünf und neun Jahren sind aber besonders häufig betroffen“, sagt Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU). Bei Erwachsenen sieht es nicht besser aus.
Noch schlechter ist die Lage in Baden-Württemberg. Hier wurden die Impfquoten von Kindern zwischen vier und sechs Jahren im Rahmen von Einschulungsuntersuchungen ermittelt. Kinder mit mindestens drei FSME-Impfungen kommen von 2013 bis 2017 auf eine Quote von 21 bis 22 Prozent. Das Robert Koch-Institut geht davon aus, das der Impfschutz von älteren Personen noch darunterliegt. Bei ihnen ist das Risiko, schwer zu erkranken und bleibende Komplikationen zu erleiden, aber deutlich höher. Zum Vergleich: In Österreich sind 80 Prozent der Bevölkerung geimpft.
Die von einem Virus verursachte Hirnhautentzündung kann schlimme Folgen nach sich ziehen. „Zu den schweren Krankheitsverläufen gehören Lähmungen, Koma, Krampfanfälle, Defektheilungen und vereinzelt auch Todesfälle“, warnte der Münchner Mediziner Gerhard Dobler, Leiter des Deutschen Konsiliarlabors für FSME jüngst auf dem Süddeutschen Zeckenkongress in Hohenheim.
Aber woher rührt die Impfmüdigkeit? „Wir haben in Deutschland eine gewisse Vorsorgemüdigkeit“, sagt Frühwein. Wenn ein Patient nach langer Zeit mal zum Arzt gehe, falle die FSME-Impfung häufig unter den Tisch. „Da steht dann eher die Auffrischung der Tetanus-Impfung im Vordergrund“, sagt Frühwein. Hinzu komme, dass Ärzte fürs Impfen schlecht bezahlt würden. „Für Privatpatienten bekommen wir 4,66 Euro – inklusive Aufklärung über Risiken und Nebenwirkungen“, sagt der 36-Jährige.
Doch auch die Skepsis der Patienten sei nicht zu unterschätzen. „Im Netz existieren unglaublich viele Verschwörungstheorien und Halbwahrheiten. Die schwirren den Leuten im Kopf herum. Darum lassen sie sich und ihre Kinder nur gegen das Nötigste impfen“, sagt der 36-Jährige. Dabei sei der Impfstoff gut verträglich. „In der U-Bahn ist das Immunsystem deutlich mehr Erregern ausgesetzt“, sagt Frühwein. Für einen kompletten Schutz sind drei Impfungen innerhalb eines Jahres erforderlich. Die Kosten dafür werden von den Krankenkassen übernommen. „Ganz Baden-Württemberg ist FSME-Risikogebiet. Ich rate allen Bürgerinnen und Bürgern, die sich häufig in der freien Natur und naturnahen Gärten aufhalten, sich dringend impfen zu lassen. Die gut verträgliche Schutzimpfung ist die wirksamste Vorbeugung gegen eine Ansteckung“, so Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha (Grüne). Lucha mahnt Meldepflicht an Dass Zecken nur in Wald und Wiese auf ihre Opfer lauern, ist übrigens ein Trugschluss. Auch in den Büschen von Stadtparks oder den Gräsern von Grünanlagen fühlen sich die Krabbeltiere wohl. „Letztes Jahr hatten wir in München sechs FSME-Fälle“, weiß Frühwein.
Neben FSME kann auch die Infektionskrankheit Lyme-Borreliose durch einen Zeckenbiss übertragen werden. Sie kommt deutlich häufiger vor und kann auch Wochen nach dem Stich noch zu schmerzhaften Nervenentzündungen führen. Im vergangenen Jahr registrierte das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit 3535 Fälle in Bayern. In Baden-Württemberg ist eine generelle Meldepflicht für Borreliose zwar von Gesundheitsminister Manfred Lucha angemahnt, aber noch nicht umgesetzt worden.
„Gegen Borreliose schützt keine Impfung, sie kann aber gut mit Antibiotika therapiert werden“, sagt Frühwein. Natürlich helfe lange, helle Kleidung davor, sich eine Zecke einzufangen. „Die Frage ist nur, wie praktikabel das ist.“Er rät deswegen dazu, abends beim Duschen den Körper nach Zecken abzusuchen – insbesondere Achselhöhlen, Haaransatz und Leistenbeugen, da Zecken warme, weiche Hautstellen bevorzugen.
Wer sie sauber entferne, senke das Risiko einer Erkrankung drastisch. Bei FSME hilft weder der Einsatz einer Pinzette noch Antibiotika. „Nur die Impfung allein bietet Schutz.“