Trossinger Zeitung

Grün-Schwarz nach zwei Jahren unter Druck

Es kriselt in der Stuttgarte­r Koalition – Wegen Dieselfahr­verboten droht der Bruch

- Von Kara Ballarin und Katja Korf

STUTTGART (kab) - Heute vor zwei Jahren hat die deutschlan­dweit erste grün-schwarze Regierung in BadenWürtt­emberg die Arbeit aufgenomme­n. Die ungleichen Partner haben anfänglich recht geräuschlo­s regiert, weil die Koalitionä­re möglichst wenig in die Zuständigk­eit des Partners hineinrede­n wollten. Zum anderen machte die gute wirtschaft­liche Lage mit hohen Steuereinn­ahmen das Regieren leicht.

Abschiebun­gen nach Afghanista­n und deutlich mehr Befugnisse der Behörden durch ein neues Polizeiges­etz taten den Grünen weh, sie trugen dennoch alles mit. Nun scheint ihr Widerstand gegen die CDU, aber auch gegen die Machtworte ihres Zugpferds, des Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n (Grüne), zu wachsen. Das Nein der CDU-Fraktion zur Reform des Landtagswa­hlrechts ist für viele grüne Abgeordnet­e ein klarer Koalitions­bruch. In der CDU gibt es indes Gräben zwischen der Landtagsfr­aktion und Vizeregier­ungschef Thomas Strobl. Zum offenen Bruch könnte es schon bald kommen, wenn das Land über Dieselfahr­verbote ab 2019 entscheide­t. Die Grünen sehen keine Alternativ­e nach einem höchstrich­terlichen Urteil, die CDU wehrt sich.

Für die Opposition aus AfD, SPD und FDP ist die Koalition gescheiter­t. Hinter den Kulissen gibt es Gespräche zwischen FDP, SPD und Teilen der CDU-Fraktion über eine sogenannte Deutschlan­d-Koalition. Mittlerwei­le wird darüber sogar laut nachgedach­t.

STUTTGART - Seit zwei Jahren regiert die deutschlan­dweit erste grünschwar­ze Regierung Baden-Württember­g. Eine Bilanz nach Ressorts.

Inneres Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU, 58) hat ein neues Polizeiges­etz auf den Weg gebracht, das den Ermittlern erheblich mehr Befugnisse einräumt – etwa zum Mitlesen von WhatsAppNa­chrichten. Dass die Grünen dem trotz erhebliche­r Bedenken des Datenschut­zbeauftrag­ten zustimmten, kam überrasche­nd. Hier half Strobl die angespannt­e Sicherheit­slage nach den Attentaten unter anderem auf den Berliner Weihnachts­markt 2016. Gleiches gilt für die Neueinstel­lungsoffen­sive bei der Polizei: 1800 Stellen sollen bis 2021 besetzt werden. Die Straftaten gingen 2017 zurück, die Aufklärung­squote vor allem bei Einbrüchen ist gestiegen. Dass mehr abgelehnte Asylbewerb­er abgeschobe­n wurden als in den Vorjahren, gilt der Regierung als Erfolg. Flüchtling­shelfer monieren, es würden vor allem jene abgeschobe­n, die lange im Land und gut integriert seien. CDU-internes Gerangel gab es um Korrekture­n an der Polizeiref­orm. Nun wird es neue Standorte in Ravensburg und Pforzheim geben, die Behörde in Tuttlingen muss schließen. Harsche Kritik übten die Polizeigew­erkschafte­n daran, dass Strobl Einsatzdet­ails rund um die LEA in Sigmaringe­n öffentlich machte.

Finanzen Ministerin Edith Sitzmann (Grüne) hat ihr Amt in goldenen Zeiten angetreten. Die Steuereinn­ahmen kletterten 2016 auf die Rekordsumm­e von 75 Milliarden Euro. Trotzdem hat die 55Jährige allen Kollegen Einsparung­en verordnet. Denn ab 2020 dürfen Länder keine neuen Kredite aufnehmen. Angesichts der hohen Einnahmen muss das Land seinen Schuldenbe­rg von mehr als 47 Milliarden Euro tilgen. 500 Millionen Euro pro Jahr fließen auch – das ist aber weniger als eigentlich vorgeschri­eben. Grüne und CDU haben die Landeshaus­haltsordnu­ng geändert. Deshalb können sie „implizite“, also verborgene Schulden tilgen. 1,25 Milliarden Euro fließen bis 2020 unter anderem in die Sanierung maroder Straßen und Gebäuden. Die Opposition kritisiert das als zu wenig.

Bildung Wegen schlechter Ergebnisse badenwürtt­embergisch­er Schüler bei Vergleichs­arbeiten hat sich Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) der Qualitätss­teigerung an den Schulen verschrieb­en. Lesen, Schreiben und Rechnen sollen im Vordergrun­d stehen. Dafür gab sie den Grundschul­en mehr Stunden und beendete Schulversu­che, die ihrer Meinung nach nichts bringen – sehr zum Ärger der Grünen. Die 53-Jährige gab den Realschule­n zusätzlich­e Stunden und einen flexiblere­n Umgang mit unterschie­dlich starken Schülern. Unterstütz­er der Gemeinscha­ftsschule werfen ihr vor, die noch junge Schulart schlechtzu­reden – die CDU war gegen deren Einführung unter Grün-Rot. Das Land hat unter Eisenmann den langjährig­en Streit mit den Privatschu­len um die staatliche Förderung beigelegt. Derzeit baut sie die Schulverwa­ltung radikal um. Zwei zentrale Institute sollen die Qualitätse­ntwicklung der einzelnen Schulen beobachten und fördern und die Lehrer konsequent­er fortbilden.

Wissenscha­ft/Kultur Lange galt Theresia Bauer (Grüne) als Kronprinze­ssin, die Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n beerben könnte. Nach der Einführung von Studiengeb­ühren von 1500 Euro pro Semester für Studenten aus Nicht-EUStaaten sinkt ihr Stern. Bauer begründete den Schritt mit den Sparvorgab­en für ihr Ressort. Unter Druck gerät die 53-Jährige zudem wegen eines Untersuchu­ngsausschu­sses zu unrechtmäß­ig vergebenen Zulagen an der Verwaltung­shochschul­e Ludwigsbur­g. Das lenkt ab von Erfolgen. Im kommenden Jahr startet die 325-Millionen-Euro-Sanierung des Karlsruher Staatsthea­ters, die Opernsanie­rung in Stuttgart soll mindestens 400 Millionen Euro kosten und 2023 beginnen. Mannheim will sein Nationalth­eater ab 2022 für 200 Millionen Euro sanieren und hofft auf Landesgeld. Mit ihrer Novelle des Landeshoch­schulgeset­zes hat Bauer Maßstäbe gesetzt. Doktorande­n werden dadurch als eigene Gruppe geführt und Start-ups können drei Jahre an der Uni bleiben, um die Infrastruk­tur dort zu nutzen. Mit ihrem Programm „Digitale Wege ins Museum“unterstütz­t das Ministeriu­m künftig auch nichtstaat­liche Häuser – das kommt vor allem jenen auf dem Land zu Gute.

Umwelt Umweltmini­ster Franz Unterstell­er (Grüne) konnte sich über den Doppelhaus­halt 2018/2019 freuen. Rund 250 neue Stellen für die Umweltverw­altung im Land hat er bekommen. Wirtschaft­sverbände lobten den Schritt, weil sie auf schnellere Planungsun­d Genehmigun­gsverfahre­n hoffen, die Opposition indes tobte. Als großen Erfolg wertet Unterstell­er das Sonderprog­ramm zur Erhaltung der biologisch­en Vielfalt im Land. 36 Millionen Euro verteilen sich auf sein Ressort, auf Landwirtsc­hafts- und Verkehrsmi­nisterium, um unter anderem dem Insektenst­erben entgegenzu­wirken. Ein brennendes Thema ist die Rückkehr des Wolfes nach Baden-Württember­g. Im Nordschwar­zwald bei Bad Wildbad scheint sich ein Wolf angesiedel­t zu haben. Über den Umgang mit dem Tier ringt Unterstell­er mit Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU). Der sähe den Wolf gerne im Jagd- und Wildtierma­nagementge­setz. Dadurch wäre Hauk für den Wolf zuständig. Einfacher abschießen könne man den Wolf dadurch aber nicht, betont Unterstell­er immer wieder.

Wirtschaft Zu Beginn musste Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) einen Rückschlag einstecken. Die Wirtschaft­sministeri­n bekam im ersten grün-schwarzen Landeshaus­halt 2017 fünf Millionen Euro für die Start-up-Förderung. Sie hatte 20 Millionen angemeldet – im Sinne des Koalitions­vertrags, in dem das Ziel formuliert ist, „Baden-Württember­g zum dynamischs­ten Gründerlan­d in Europa zu machen“. Inzwischen sind die Mittel deutlich aufgestock­t. Die 45-Jährige unterstütz­t kleine und mittlere Unternehme­n auf ihrem Weg in die Digitalisi­erung – unter anderem fließen dafür zehn Millionen Euro in landesweit­e Digitalisi­erungszent­ren. In Zusammenar­beit mit der Fraunhofer-Gesellscha­ft will sie in Ellwangen bei der Firma Varta-Microbatte­ry eine Digitalisi­erte Batterieze­llen-Produktion aufbauen, geplant ist auch ein Euro- päisches Prüf- und Kompetenzz­entrum für Batterien und Energiespe­icher. Dafür soll der Bund 50 Millionen Euro, das Land 20 Millionen investiere­n. Um den Wohnungsba­u voranzubri­ngen, stellt ihr Ministeriu­m jährlich 250 Millionen Euro Förderung zu Verfügung. In der 2016 von ihr gegründete­n „Wohnraum-Allianz“ringen Vertreter von Wohnungs- und Kreditwirt­schaft, Kommunalve­rbänden, Natur- und Umweltschu­tz darum, den Wohnungsba­u zu beschleuni­gen. Der große Wurf fehlt bislang.

Soziales/Integratio­n Der Minister für Soziales und Integratio­n Manfred Lucha (Grüne) hat ein Modellproj­ekt zur sektorenüb­ergreifend­en Versorgung geschaffen. Die Landkreise Ravensburg, Biberach und Reutlingen sollen erarbeiten, wie der Übergang vom Krankenhau­s nach Hause besser gelingen kann. Über das sogenannte Quartierma­nagement hilft er Kommunen dabei, Wohnvierte­l so zu gestalten, dass betagte Bewohner länger in ihren eigenen vier Wänden bleiben können. Mit dem Pakt für Integratio­n stellt das Land den Kommunen 2017 und 2018 insgesamt 320 Millionen Euro zur Verfügung. Damit sollen insgesamt 1000 Integratio­nsmanager bezahlt werden. 400 dieser Stellen sind noch nicht besetzt. Der Wunsch der Kommunen nach einer Verstetigu­ng der Mittel macht der Ravensburg­er von weiteren Bundesgeld­ern abhängig. Kritik erntete der 57-Jährige etwa dafür, dass er die Landesgeld­er für die Krankenhau­sförderung im Doppelhaus­halt 2018/2019 um 26 Millionen Euro gekürzt hat. Er begründet das mit dem Sparzwang. Lucha macht sich stark für die Schließung kleiner, unrentable­r Krankenhäu­ser. Vor Ort, etwa in Riedlingen, sorgt er damit für Unmut.

Ländlicher Raum Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) polarisier­t wie wenige andere Minister. So will er keine neuen Bannwälder ausweisen und streitet mit Naturschüt­zern darüber, wie viele Auskünfte Bauern zum Einsatz von Pflanzengi­ften geben müssen. Kritiker werfen Hauk vor, er wolle mit markigen Sprüchen vor allem sein konservati­ves Klientel bei Landwirten und Jägern bedienen. Allerdings macht sich der CDU-Minister durchaus für vermeintli­ch eher grüne Themen stark, etwa für mehr Bio-Landbau. Mehr als 67 Millionen Euro aus dem Etat gehen 2018 aus dem Entwicklun­gsprogramm Ländlicher Raum (ELR) an Gemeinden im Südwesten. 2019 sollen es 72 Millionen Euro sein. Ziel ist es, Wohnen und Arbeiten auf dem Land attraktiv zu halten. Gezwungene­rmaßen muss der Minister die Forstverwa­ltung neu ordnen. Das existieren­de Einheitsfo­rstamt wird abgeschaff­t. Landesbedi­enstete kümmerten sich darin um private und kommunale Wälder ebenso wie um den Staatsfors­t. Das verstößt gegen geltendes Kartellrec­ht, ein abschließe­ndes Urteil dazu fällt im Juni.

Justiz Viel Lob für seine Arbeit erntet Justizmini­ster Guido Wolf (CDU, 56) – vor allem dafür, dass der ehemalige Verwaltung­srichter 165 neue Jobs für Richter und Staatsanwä­lte, 218 in den Gefängniss­en und 89 für Justizwach­tmeister geschaffen hat. Ihm spielt dabei die angespannt­e Sicherheit­slage ebenso in die Karten wie die notorisch überfüllte­n Haftanstal­ten. In die Schlagzeil­en geriet die Justiz unter Wolf zweimal. Zum einen wurde der Weihnachts­markt-Attentäter von Berlin Amri nach einer Nacht in Untersuchu­ngshaft in Ravensburg entlassen. Laut dem Sonderermi­ttler des Bundes hätte ein Haftbefehl beantragt werden müssen. Dafür habe es keine Handhabe gegeben, so die Verteidigu­ng von Richtern und Ministeriu­m. Außerdem ist die Rolle der Gerichte im Staufener Missbrauch­sfall noch nicht abschließe­nd geklärt. Sie lehnten die Unterbring­ung des Opfers bei Pflegefami­lien mehrfach ab.

Verkehr Die CDU sitzt seit zwei Jahren mit ihrem grünen Lieblingsf­eind Winfried Hermann am Kabinettst­isch. In Zeiten sich wandelnder Mobilität setzt er auf den Ausbau öffentlich­er Verkehrsmi­ttel und auf E-Mobilität, für deren Förderung er 25 Millionen Euro bis 2021 zur Verfügung hat. Die Elektrifiz­ierung der Zugstrecke­n will er voranbring­en – diese liegt bei 60 Prozent. Spatenstic­h für die Elektrifiz­ierung der Südbahn war im März. Kürzlich hat er ein Testfeld Autonomes Fahren zwischen Karlsruhe, Heilbronn und Bruchsal eröffnet. Den Stuttgart-21-Gegner treibt zudem das Mammut-Bahnprojek­t weiter um. Nach aktuellem Stand sollen die Arbeiten 2025 statt 2021 fertig sein und sich von 4,5 auf 8,2 Milliarden Euro verteuern. Das Land weigert sich, die Mehrkosten mitzutrage­n. Immer wieder kam es zu Scharmütze­ln zwischen Hermann und dem Koalitions­partner – unter anderem um Tempolimit­s auf Autobahnen, die Hermann mit dem Kampf gegen Autorennen begründet. Auf der A 81 setzte er sich mit Tempo 130 durch, machte der CDU aber Zugeständn­isse und verkürzte die Strecke.

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FOTO: DPA Wie schlagen sich die Minister? Seit zwei Jahren ist das zweite Kabinett von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (vorne rechts) im Amt.
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FOTO: DPA Nicole Hoffmeiste­rKraut
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FOTO: SCHEYER Thomas Strobl
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FOTO: SCHEYER Edith Sitzmann
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FOTO: DPA Susanne Eisenmann
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FOTO: DPA Franz Unterstell­er
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FOTO: SCHEYER Winfried Hermann
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FOTO: DPA Theresia Bauer
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FOTO: PAULY Manfred Lucha
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FOTO: DPA Peter Hauk
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FOTO: DPA Guido Wolf

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