Trossinger Zeitung

Bei der Wahl im Irak redet Iran ein Wörtchen mit

Premiermin­ister Haider al-Abadi gilt als verlässlic­her Partner des Westens

- Von Thomas Seibert

WASHINGTON - Wenn die rund 25 Millionen Wähler im Irak an diesem Samstag zu den Urnen gerufen werden, geht es nicht nur um 329 Parlaments­sitze und eine neue Regierung für die nächsten vier Jahre. Mit der Wahl steht noch eine weitere wichtige Frage zur Debatte: die nach dem Einfluss des östlichen Nachbarn Iran. Mehrere teherantre­ue Gruppen bewerben sich um einen Einzug ins Parlament. Die Hoffnungen pro-iranischer Akteure erhielten kurz vor der Wahl jedoch einen Dämpfer. Der einflussre­iche Groß-Ayatollah Ali alSistani, das geistliche Oberhaupt der irakischen Schiiten, ging auf Distanz zu Iran und stärkte damit die Position von Ministerpr­äsident Haider alAbadi, der als verlässlic­her Partner des Westens gilt.

Seit dem Abzug der US-Truppen aus dem Irak zu Beginn des Jahrzehnts hat die schiitisch­e Regionalma­cht Iran ihren Einfluss im ebenfalls mehrheitli­ch schiitisch­en Irak systematis­ch ausgebaut. Teheran ist der wichtigste Handelspar­tner der Iraker und wirkte im vergangene­n Jahr beim Sieg über den „Islamische­n Staat“(IS) mit, der weite Teile des irakischen Staatsgebi­etes unter seine Kontrolle gebracht hatte. Doch nicht alle Schiiten im Irak hören auf die Kommandos aus Teheran. Die Wahl am Samstag wird deshalb Aufschluss über die Reichweite des iranischen Einflusses geben.

Mehrere schiitisch­e Akteure kämpfen um die Macht. Die pro-iranischen Kämpfer der schiitisch­en Volks mobili sie rungs einheiten (PMU) wollen ihre Erfolge gegen denIS und ihre Opferberei­tschaft auf den Schlachtfe­ldern in politische Macht ummünzen und bieten 700 Parlaments kandidaten auf. Die Milizionär­e wollen ihren Chef, den früheren Verkehrs mini st erHadialAm­iri, im Ministerpr­äsidenten amt sehen.

Auch Ex-Premier Nuri al-Maliki, ein schiitisch­er Hardliner mit engen Kontakten zu Iran, tritt wieder an. Al-Maliki hat allerdings ein Problem. Ihm werden Korruption­sexzesse und die Verantwort­ung für die militärisc­hen Niederlage­n gegen den IS im Jahr 2014 angelastet. Damals liefen Einheiten der irakischen Armee vor den vorrückend­en Extremiste­n davon. Al-Abadi riss das Steuer schließlic­h herum. Als Ayatollah alSistani jetzt die Iraker aufrief, sie sollten allen Politikern eine Absage erteilen, die „korrupt sind und versagt haben“, zielte er damit auf alMaliki. Nutznießer könnte al-Abadi sein. Gegengewic­ht zu Teheran Das sehen offenbar auch die Iraner so. Laut Medienberi­chten haben sie schiitisch­e und kurdische Gruppen aufgerufen, sie sollten al-Abadis Wiederwahl verhindern. Dagegen setzen die USA auf al-Abadi als politische­s Gegengewic­ht zu Teheran. Ob der Premier die Erwartunge­n der Amerikaner erfüllen kann, ist aber ungewiss. Auch al-Abadi paktiere hin und wieder mit pro-iranischen Kräften, schrieb Ranj Alaaldin von der amerikanis­chen Brookings Institutio­n in einer Analyse.

Gleich wie die Wahl ausgehen wird: Der Sieger steht vor immensen Herausford­erungen. Auch 15 Jahre nach dem Sturz von Saddam Hussein versagt das ölreiche Land bei grundlegen­den Dienstleis­tungen wie einer verlässlic­hen Stromverso­rgung für seine Bürger. Der Gesamtfina­nzbedarf für den Aufbau zerstörter Institutio­nen und Infraktruk­tur wird auf rund 90 Milliarden Dollar beziffert.

Zudem leiden die Iraker nach wie vor unter Gewalt. Insbesonde­re unter al-Malikis Regierung vertieften sich die Gräben zwischen Schiiten und Sunniten, was zu einem wichtigen Faktor beim Aufstieg des radikalsun­nitischen IS wurde. Der Wiederaufb­au sunnitisch­er Regionen sei deshalb von besonderer Bedeutung, sagt der Nahost-Experte Charles Dunne vom Middle East Institute in Washington. „Die Regierung muss die Rechte der Sunnis respektier­en“, mahnt Dunne. Sonst drohe eine neue Eskalation.

Auch ist der Kampf gegen den IS noch nicht völlig ausgestand­en. Die Dschihadis­ten drohen mit Anschlägen gegen irakische Wahllokale und rufen die Sunniten im Land zum Boykott des Urnengangs auf. Laut Behördenan­gaben erschossen IS-Mitglieder am Montag südlich von Mossul einen Parlaments­kandidaten. Am Wochenende hatten irakische Kampfflugz­euge zudem im benachbart­en Syrien ein Gebäude angegriffe­n, in dem sich führende IS-Mitglieder getroffen haben sollen. Weitere Militärsch­läge könnten folgen, erklärten die Sicherheit­sbehörden.

Trotz aller Probleme ist das Wichtigste, dass sie überhaupt stattfinde­t und dass sich die Wähler zwischen mehreren politische­n und personelle­n Alternativ­en entscheide­n können: Das ist im Nahen Osten keine Selbstvers­tändlichke­it.

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FOTO: DPA Haider al-Abadi

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