Der Dichter und seine Muse
Salome Kammer und Rudi Spring beleuchten eindringlich Rilkes Liebe zu Russland
SALEM - Lou Andreas-Salomé, Rainer Maria Rilke, Marina Zwetajewa: Leben und Denken dreier außergewöhnlicher Menschen wurden im kühlen Bibliothekssaal von Schloss Salem ausgebreitet, als die Sängerin Salome Kammer und der Pianist Rudi Spring sich im Rahmen des Bodenseefestivals mit Briefen, Tagebucheintragungen und Vertonungen von Gedichten Rilkes auf die Spuren von „Rilke und Russland“begaben.
Rilke hatte Lou Andreas-Salomé, die in Petersburg geborene DeutschRussin, die 15 Jahre älter war als er, in München kennengelernt. Sie war zwar verheiratet, hatte sich aber von ihrem Ehemann alle Freiheiten ausbedungen. Der 22-jährige psychisch labile Dichter, der noch kaum etwas veröffentlicht hatte, wird gleichsam von ihr geformt. Auf ihr Anraten ändert er seinen Vornamen René in Rainer, sie führt ihn in die russische Literatur ein. Gemeinsam leben sie im Süden von München bei Wolfratshausen, im April 1899 brechen sie zum ersten Mal zu dritt nach Russland auf. Rilke fühlt sich zu Hause in der russischen Kultur, den Kirchen, bei einem Besuch in der Osternacht bei Tolstoi oder bei einer vierwöchigen Reise auf der Wolga. Rilkes Stil ändert sich durch all diese Eindrücke, er reift zum Dichter, doch Lou kann seine Abhängigkeit von ihr nicht ertragen und trennt sich 1901 von ihm. Nach drei Jahren ohne Kontakt sind die beiden bis zum Tod Rilkes im Jahr 1926 freundschaftlich verbunden. In Briefen und Gedichten führte Salome Kammer diese sicher problematische Beziehung eindringlich vor Augen.
Im Todesjahr – Rilke starb am 29. Dezember in der Schweiz an Leukämie – beginnt Marina Zwetajewa, die 17 Jahre jüngere russische Lyrikerin, einen intensiven, höchst poetischen, zärtlichen Briefwechsel mit dem Dichter. Sie hat ihn nie persönlich kennengelernt und sieht in ihm ihren Seelenverwandten und Schutzengel. Außergewöhnlich sind diese Texte, Lyrik in Briefform, und Salome Kammer, die Schauspielerin („Heimat“von Edgar Reitz) und Sängerin, kriecht förmlich flüsternd in sie hinein. Besonders der „Neujahrsbrief“, den Zwetajewa dem Toten in die „andere Welt“schreibt, geht unter die Haut.
Dazu gelingt ihr der Spagat, immer wieder vom Sprechen zum Singen zu wechseln, denn sie und Rudi Spring haben rund um die Texte ein ungemein schlüssiges und vielseitiges Programm mit Vertonungen von Rilke-Gedichten entwickelt. Die Komponisten Philipp Jarnach, Winfried Zillig, Ernst Toch oder Hans Krasa sind sicher den wenigsten bekannt: Auf unterschiedlichste Weise spüren sie in Sprechgesang, humoristischem Staccato nach der Art eines Abzählreims oder zart innig den Sprachbildern Rilkes nach. Sängerin und Pianist gestalten die teils etwas spröden Lieder farbenreich und im intensiven Austausch, mit großen Ausbrüchen oder leise verhauchend. Klavierstücke von Skrjabin und von Schostakowitsch runden den facettenreichen, dramaturgisch geschlossenen Abend ab.