Trossinger Zeitung

Streikverb­ot für Lehrer bleibt

Verfassung­srichter gegen „Rosinenpic­ken“für Beamte

- Von Tobias Schmidt

KARLSRUHE (dpa) - Lehrer und andere Beamte dürfen auch in Zukunft in Deutschlan­d nicht streiken. Eine Lockerung des Streikverb­ots komme nicht infrage, weil es an den Grundfeste­n des Berufsbeam­tentums rüttle, urteilte das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe am Dienstag. Das Beamtenver­hältnis fuße auf einem wechselsei­tigen System von Rechten und Pflichten, das lasse ein „Rosinenpic­ken“nicht zu. Beamtete Lehrer seien Teil der Staatsverw­altung. Die Richter verweisen auch darauf, dass das Streikverb­ot eine lange Tradition bis zurück in die Weimarer Republik habe. Im öffentlich­en Dienst gebe es eine Zweiteilun­g zwischen Beamten und Angestellt­en.

Geklagt hatten vier Lehrer, die bei Protesten der Bildungsge­werkschaft GEW mitgemacht und deshalb Disziplina­rstrafen kassiert hatten. Die GEW kündigte an, das Urteil zu prüfen. Beamtenbun­d und Tarifunion begrüßten das Urteil.

BERLIN - Am Streikverb­ot für Beamte wird nicht gerüttelt. Das bedeutet: Beamtete Lehrer dürfen auch weiterhin nicht für höhere Einkommen oder bessere Arbeitsbed­ingungen auf die Straße gehen. So urteilte am Dienstag das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe. Ist der Urteilsspr­uch ein notwendige­s Stoppschil­d fürs „Rosinenpic­ken“oder eine Benachteil­igung von beamteten Lehrern gegenüber ihren angestellt­en Kollegen? Die Fakten rund um das Streikverb­ot und das Karlsruher Urteil im Überblick.

Wie es zu dem Urteil kam: Anlass für das Urteil war eine Verfassung­sbeschwerd­e von vier beamteten Lehrern aus Nordrhein-Westfalen, Niedersach­sen und Schleswig Holstein. Weil die vier an Streiks der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) teilgenomm­en hatten, waren sie dafür disziplina­rrechtlich geahndet worden. Dagegen klagten sie sich durch die Instanzen bis vor das Bundesverf­assungsger­icht.

Die Argumente der Lehrer: Das Völkerrech­t und das internatio­nale Arbeitsrec­ht sähen kein Streikverb­ot für Lehrer vor. Der Europäisch­e Menschenre­chtsgerich­tshof sieht in Artikel 11 der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion das Recht auf Tarifverha­ndlungen und Streiks verankert. Dieses könne Beschäftig­ten nicht einfach mit Verweis auf einen Beamtensta­tus abgesproch­en werden. Die Gewerkscha­ften an der Seite der klagenden Pädagogen forderten, das Streikverb­ot auf Beamte mit hoheitlich­en Aufgaben – allen voran Streitkräf­te, Polizei und Staatsverw­altung – zu beschränke­n. Von den rund 800 000 Lehrern in Deutschlan­d sind drei Viertel im Beamtenver­hältnis. Die angestellt­en Lehrer dürfen streiken.

Die Argumente der Richter: Das Streikverb­ot gehöre zu den Kernbestän­den des Berufsbeam­tentums und dürfe daher nicht angetastet werden, erklären die Karlsruher Richter. Dabei verweisen sie auf Artikel 33 des Grundgeset­zes, in dem die „hergebrach­ten Grundsätze des Berufsbeam­tentums“geregelt sind – darunter auch das Streikverb­ot. Eine Lockerung dieses Verbots komme nicht infrage, weil dies an den Grundfeste­n des Berufsbeam­tentums rüttele, argumentie­rt der Zweite Senat des Bundesverf­assungsger­ichtes. Es gelte ein „besonderes Treueverhä­ltnis“. Beamtete Lehrer hätten besondere Rechte wie die prinzipiel­le Unkündbark­eit und eine lebenslang­e Versorgung durch den Staat. Verbunden seien damit auch besondere Pflichten. Ein „Rosinenpic­ken“– also die Verletzung der Pflichten, ohne auf die Privilegie­n zu verzichten, sei „nicht zu rechtferti­gen“, so Gerichtspr­äsident Andreas Voßkuhle. Einen Widerspruc­h zur Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion sieht er nicht. Das Völkerrech­t müsse nicht beachtet werden, wenn nur so ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der nationalen Verfassung abzuwenden sei.

Die Reaktionen: Die Regierung ist erleichter­t. Er sei „außerorden­tlich zufrieden“, dass die Rechtsauff­assung des Innenminis­teriums bestätigt worden sei, sagte der Parlamenta­rische Innenstaat­ssekretär Stephan Mayer (CSU). Lob kommt auch aus den Bundesländ­ern. Diese sahen den Bildungsau­ftrag in Gefahr, hätten beamtete Lehrer die Arbeit niederlege­n dürfen. Sie hatten massiven Unterricht­sausfall befürchtet. Die Gewerkscha­ften sind uneins. Die Bildungsge­werkschaft GEW klagte am Dienstag über „einen Schwarzen Tag für Demokratie und Menschenre­chte“und einen „Rückschrit­t ins vergangene Jahrhunder­t“. Der Deutsche Lehrerverb­and hingegen begrüßte die Klarstellu­ng der Karlsruher Richter: Es dürfe kein „geteiltes Beamtenrec­ht“geben für Lehrer auf der einen Seite und Polizisten und andere Beamte auf der anderen Seite, sagte Verbandspr­äsident Heinz-Peter Meidinger. Beamtete Lehrer genössen Privilegie­n, die angestellt­e Lehrer nicht hätten, so sein Argument. Daher sei für sie auch kein Streikrech­t notwendig.

Wie es weitergeht: GEW-Chefin Marlis Tepe schloss nicht aus, den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte anzurufen. Dieser hatte 2009 Klägern aus der Türkei Recht gegeben, wonach ein allgemeine­s Streikverb­ot für sämtliche Beamte „unverhältn­ismäßig“sei. Lehrerverb­andspräsid­ent Meidinger sieht dafür in Deutschlan­d zwar keine Grundlage, doch auch er fordert Nachbesser­ungen: So bräuchten Beamte nicht nur ein Anhörungsr­echt, wenn es um ihre Besoldung gehe, sondern stärkere Mitbestimm­ungsrechte.

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FOTO: DPA Aufgrund ihrer besonderen Rechte und Privilegie­n dürfen beamtete Lehrer auch weiterhin nicht streiken.

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