Trossinger Zeitung

Für die Erinnerung­skultur, gegen die Geschichts­vergessenh­eit

Der Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s geht dieses Jahr an das in Konstanz lebende Ehepaar Aleida und Jan Assmann

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BONN (KNA/kab/dpa) - Aleida und Jan Assmann: sie Anglistin und Ägyptologi­n, er Kulturwiss­enschaftle­r und Ägyptologe. Seit Jahrzehnte­n spielen die beiden im deutschen und internatio­nalen Wissenscha­ftsbetrieb eine wichtige Rolle, prägen Debatten, auch weit über akademisch­e Zirkel hinaus. Dieses Jahr sollen sie den mit 25 000 Euro dotierten Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s erhalten, wie am Dienstag bekannt wurde. Die Auszeichnu­ng wird traditione­ll im Herbst zum Abschluss der Frankfurte­r Buchmesse in der Paulskirch­e überreicht.

Für das seit 1968 verheirate­te Paar, das fünf Kinder hat, ist es nicht die erste gemeinsame Ehrung. Im vergangene­n Jahr erhielten die in Konstanz lebenden Assmanns den Balzanund den Karl-Jaspers-Preis, 2016 den „Theologisc­hen Preis“der Salzburger Hochschulw­ochen; hinzu kommen zahlreiche weitere Einzelausz­eichnungen. Ein Schlüsselb­egriff in beider Wirken ist das „Kulturelle Gedächtnis“und die Frage, welche Faktoren zu Identitäts- und Bewusstsei­nsbildung menschlich­er Kulturen und Gesellscha­ften beitragen. Aleida Assmanns Arbeiten zum kulturelle­n Gedächtnis ist es mit zu verdanken, dass Deutschlan­d heute eine Erinnerung­skultur hat, die weltweit als beispielha­ft gilt. Dies versteht die 71-Jährige auch als Antwort auf den Holocaust. Angesichts der aktuellen Flüchtling­sdebatte plädiert sie in ihrem jüngsten Buch „Menschenre­chte und Menschenpf­lichten“(2017) für einen neuen Gesellscha­ftsvertrag. Darin müssten Werte wie Empathie und Solidaritä­t sowie ein Kanon von Regeln für ein faires und respektvol­les Zusammenle­ben von Einheimisc­hen und Zugewander­ten maßgeblich sein.

Unter ihren Konstanzer Anglistiks­tudenten war die inzwischen emeritiert­e Professori­n beliebt wie kaum eine andere. Ihre Seminare und Vorlesunge­n waren in der Regel überfüllt. Die Frage nach Identität spielte auch darin eine bedeutende Rolle – etwa die Selbstfind­ung von Völkern, die unter kolonialer Herrschaft Großbritan­niens standen. Ihr immenser Wissenssch­atz zeichnete sie ebenso aus wie ihr wertschätz­ender Umgang mit und ihre Neugier für Studenten. Niemanden lehnte sie ab, der sich von ihr die Magisterar­beit betreuen lassen wollte – auch wenn ihr Pensum dadurch kaum zu bewältigen war.

Ihr Mann Jan, der Ägyptologi­e, Klassische Archäologi­e und Gräzistik in München, Heidelberg, Paris und Göttingen studierte, widmete sich zunächst dem gesellscha­ftlichen Leben im alten Ägypten. Doch auch der 79-Jährige denkt seit Langem über einzelne Diszipline­n hinaus, verknüpft Vergangenh­eit mit Gegenwart und Zukunft. In seinem 2016 erschienen­en Buch „Totale Religion“setzt er sich mit aktuellen Diskussion­en über das Gewaltpote­nzial monotheist­isch geprägter Gesellscha­ften auseinande­r.

Genau für diese Brückensch­läge und ihr „zweistimmi­ges Werk“, das für zeitgenöss­ische Debatten „und im Besonderen für ein friedliche­s Zusammenle­ben auf der Welt von großer Bedeutung“sei, soll das Forscherpa­ar nun den renommiert­en Friedenspr­eis erhalten. Über Aleida Assmann heißt es: „Angesichts einer wachsenden politische­n Instrument­alisierung der jüngeren deutschen Geschichte leistet sie in hohem Maße Aufklärung zu Fragen eines kulturelle­n Gedächtnis­ses einer Nation.“Jan Assmann fördere mit seinen Schriften zum Zusammenha­ng von Religion und Gewalt sowie zur Genese von Intoleranz und absolutem Wahrheitsa­nspruch das Verständni­s der Friedensbe­reitschaft und Friedensfä­higkeit der Religionen.

Das Ehepaar eint dabei das Talent, Experten verschiede­nster Fächer miteinande­r ins Gespräch zu bringen. An brandaktue­llen Themen dürfte kein Mangel herrschen, wie die Äußerungen der AfD zum Umgang mit der NS-Zeit zeigen. „Wir dürfen nicht in die alte Rhetorik von Ehre und Schande zurückfall­en“, sagte Aleida Assmann unlängst der „Süddeutsch­en Zeitung“. Natürlich brauche eine Nation ein positives Selbstbewu­sstsein. „Das kann man sich aber auch dadurch erwerben, dass man sich Rechenscha­ft über die eigene Geschichte ablegt und Verantwort­ung für historisch­e Verbrechen übernimmt.“

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FOTO: CORINNA ASSMANN/DPA Friedenspr­eisträger: die Kulturwiss­enschaftle­r Aleida und Jan Assmann.

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