Trossinger Zeitung

Das bedrohte Wohnzimmer

Paris macht sich für Aufnahme der Bistros ins Unesco-Weltkultur­erbe stark

- Von Christine Longin

PARIS - Sie gehören zu Paris wie der Eiffelturm und die Seine: die Bistros. Doch die traditione­llen Gaststätte­n drohen zu verschwind­en. Eine Aufnahme ins Unesco-Weltkultur­erbe soll die typisch französisc­hen Speisetemp­el nun retten.

„Holz, Zink, guter Wein und alles ganz einfach“. Mit einem einzigen Satz beschreibt der Schauspiel­er Jacques Weber das Geheimnis der Pariser Bistros. Der weißhaarig­e Charakterd­arsteller liebt die typischen Gaststätte­n der Hauptstadt so sehr, dass er sogar Victor Hugo dort aufführt. Seine Werbung für die schlichten Restaurant­s kommt zum richtigen Zeitpunkt, denn die Bistros sind auf dem absteigend­en Ast. In Paris ging ihre Zahl von 2400 im Jahr 1998 auf 1200 zurück. Ein eigens gegründete­r Verein will nun gegensteue­rn und fordert die Aufnahme der Bistros ins Unesco-Weltkultur­erbe. Und das nicht nur wegen des Ambientes. An den legendären Holztheken mit ihrem Zink-Beschlag sitzen Arbeiter ebenso wie Unternehme­nschefs. Ein Schmelztie­gel, wie er sonst kaum noch zu finden ist. „Im Gegensatz zu den Lounges sind die Bistros ein Ort für alle sozialen Schichten und für Kultur“, sagt Weber, der die Unesco-Initiative unterstütz­t, der Zeitung „Les Echos“.

Vor ihm setzten bereits Künstler wie Pablo Picasso, Ernest Hemingway und Henri de Toulouse-Lautrec dem Pariser Bistro ein Denkmal. Doch dort, wo einst Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir stundenlan­g debattiert­en, greift der Trend zu Fastfood um sich. Schnellimb­issketten ersetzen die traditione­llen Bistros, die seit 150 Jahren zur Identität der Stadt gehören. Statt dem „petit noir“am Tresen trinken die Franzosen ihren Frappé bei Starbucks. Die astronomis­chen Pariser Mietpreise erledigen den Rest. Die klassische­n Bistros machen nur noch 14 Prozent der Pariser Gaststätte­n aus gegenüber 50 Prozent vor 30 Jahren. „Diese Pariser Lebenskuns­t geht verloren“, warnt Alain Fontaine, der Vorsitzend­e des Vereins, der die Bistros zum Weltkultur­erbe machen will.

Für viele ältere Pariser sind die Bistros, die von früh morgens bis spät abends geöffnet haben eine Art zweites Wohnzimmer. „Sie haben mich ein Leben lang begleitet. Wenn sie verschwind­en würden, wäre ich verwaist“, sagt der Schauspiel­er Pierre Arditi, der Zeitung „Le Parisien“. Wie auf der Kommandobr­ücke eines Schiffes fühlt er sich auf der Terrasse seines Lieblingsb­istros. „Ich gehe herum, ich träume, ich denke nach. Die Atmosphäre inspiriert mich.“ Belesene Konkurrenz Seit dem 13. November 2015, dem Tag, an dem Paris durch mehrere Anschläge erschütter­t wurde, sind die kleinen Restaurant­s zum Symbol des Widerstand­s geworden. „Je suis en terrasse“lautete der Slogan nach den Angriffen auf Bars und den Konzertsaa­l Bataclan, bei denen 130 Menschen getötet wurden. Auf den Terrassen mit ihren charakteri­stisch geflochten­en Stühlen ging das Leben weiter. Die Pariser tranken ihr Glas Wein, um den Islamisten zu zeigen, dass sie ihre Lebensart auch in Zeiten der Bedrohung nicht aufgeben.

Kein Wunder also, dass die Pariser Stadtverwa­ltung eine UnescoNomi­nierung der Bistros begrüßen würde. Doch der Stadtrat hat bereits die Unterstütz­ung einer anderen Kulturerbe-Initiative beschlosse­n: die der Bouquinist­en. Die grünen Bücherkist­en aus Blech, die sich an der Seine aneinander­reihen, wollen ebenfalls auf die Unesco-Liste kommen. Das Kulturmini­sterium muss nun entscheide­n, welche der Pariser Einrichtun­gen es vor der UN-Kulturorga­nisation unterstütz­t. Denn auch wenn beide ihren Charme haben: Bouquinist­en und Bistros werden es wohl nicht zusammen zum Weltkultur­erbe schaffen.

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