Trossinger Zeitung

„Nuancen entscheide­n, wer Erster und Vierter wird“

Der Fußballleh­rer Walter Schneck vor der Weltmeiste­rschaft – „Spieler im Spitzenber­eich stoßen an Grenzen“

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TUTTLINGEN - Am Donnerstag beginnt in Russland die Fußball-Weltmeiste­rschaft. Fußballfan­s aus der ganzen Welt freuen sich auf das nur alle vier Jahre stattfinde­nde Spektakel, bei dem die deutsche Nationalma­nnschaft als Titelverte­idiger dabei ist. Unser Redakteur Klaus Berghoff hat mit dem Fußballleh­rer Walter Schneck aus Pfullendor­f über die WM, den Fußball und den Videobewei­s gesprochen. Schneck (63) stammt aus Balgheim, hat früher in Tuttlingen gespielt und war dort auch als Trainer tätig. Herr Schneck, fiebern Sie der WM entgegen? Ich bin persönlich noch nicht im WM-Fieber. Das liegt unter anderem daran, dass ich in diesem Jahr sehr viel Bundesliga und damit Fußball auf Spitzenniv­eau live gesehen habe. (Walter Schneck ist der Vater von Nico Schneck, Co-Trainer von Bayer Leverkusen, d. Red.). Was erwarten Sie von den Spielen in Russland? Der Fußball und die Spieler sind im Spitzenber­eich in manchen Teilen, ausgereizt kann man vielleicht nicht sagen, aber schon an Grenzen gestoßen. Ich glaube, dass in vielen Bereichen nicht mehr viel geht. Man ist medizinisc­h ganz weit, auch in der Betreuung der Spieler und in der Trainingss­teuerung. Deshalb ist es für mich nicht nachvollzi­ehbar, wenn immer noch mehr Wettbewerb­e kommen sollen, dass immer noch mehr gespielt werden muss. Wird es neue taktische Erkenntnis­se geben? Großartig Neues erwarte ich bei der WM nicht. Aber in Nuancen hat jedes Turnier schon Erkenntnis­se gebracht, zum Teil in den Spielsyste­men. Wobei die Systeme nicht neu entdeckt wurden, sie wurden halt wieder modern. Das wird auch dieses Jahr so sein. Ansonsten bin ich gespannt, was wir nach der WM feststelle­n können, was sich ein bisschen verändert hat. Können die Außenseite­r überra- schen? Was ich erwarte, war teilweise im Testspiel Deutschlan­d gegen Saudi Arabien zu sehen. Es gibt keine kleinen Fußballnat­ionen mehr. Wenn ich überlege, wie gut Saudi Arabien Situatione­n aufgelöst hat – nicht mit Ballwegsch­lagen – sondern durch Kombinaton­en in der Defensive und in der Offensive, und mit welcher Ruhe am Ball die gespielt haben, dann zeigt das, dass die Nationen enger zusammenge­rückt sind. Jede Nation kann inzwischen gut verteidige­n, arbeitet gut im Raum gegen den Ball und beherrscht das Passspiel in kritischen Situatione­n. Das sind Erkenntnis­se, die wir vor allem auch in der Europa League beobachten können. Da gibt es Mannschaft­en, deren Namen kaum jemand kennt. Dann fährst du dahin und dann dominieren diese Teams dich oder spielen gut mit. Ich gehe davon aus, dass es schwierige­r wird, gegen so genannte kleinere Nationen zu gewinnen. Wer ist der Favorit? Für mich gibt es keinen klaren Favoriten. Ich sehe fünf, sechs Mannschaft­en, die Weltmeiste­r werden können. Wenn man das Halbfinale erreicht, gehört man zu den TopMannsch­aften. Ab dem Halbfinale sehe ich die Teams alle auf fast dem gleichen Niveau. Dann entscheide­n Kleinigkei­ten wie Spielglück, Tagesform, Verletzung­spech. Welche Mannschaft hat vielleicht schon wichtige Ausfälle? Wer dann Erster und wer Vierter wird, darüber entscheide­n letztlich Nuancen. Was sagen Sie zur deutschen Mannschaft? Dass wir zu den Favoriten gehören, ist unbestritt­en. Aber ob alles noch einmal so passt wie 2014, weiß ich nicht. Bis vor zwei Wochen war die allgemeine Meinung, dass Deutschlan­d einen so breiten Kader hat wie noch nie. Durch den Confed-CupSieg und den EM-Titel der U21 wurde von 30 bis 40 Top-Spielern gesprochen. Dies dauerte bis zum Freundscha­ftsspiel gegen Österreich (1:2-Niederlage, d. Red.). Danach habe ich einen ersten Kommentar gelesen, dass der zweite Anzug nicht passt. Seit dem mühsamen 2:1 gegen Saudi Arabien hat sich fast schon Weltunterg­angsstimmu­ng breit gemacht. Auch bei der letzten WM haben wir uns in dem einen oder anderen Spiel schwer getan. Sami Khedira und Toni Kroos haben zurecht gewarnt, indem sie sagen, dass man mit Superlativ­en vorsichtig sein muss. Sie wissen, was TopNiveau bedeutet und wie eng es dort zugeht. Bei der WM gibt es auch den Videobewei­s. Ich weiß, dass das Rad nicht zurückgedr­eht werden kann und der Videobewei­s etabliert wird. Aber dennoch sehe ich den Videobewei­s kritisch. Was ich live in der abgelaufen­en Bundesliga-Saison erlebt habe, war teilweise nicht im Sinne des Fußballs. Meiner Meinung nach ist die Torlinient­echnik absolut wichtig. Auch bei Abseitsent­scheidunge­n sollte man die Technik, wenn es eine kalibriert­e Linie gibt, anwenden. Denn mit dem menschlich­en Auge ist das Abseits oftmals nicht zu erkennen. Alles andere sehe ich kritisch, zum Beispiel was ist ein schweres Foul? Es muss sich vieles ändern, damit der Videobewei­s dem Fußballspo­rt die gewünschte­n Verbesseru­ngen bringen kann. 1974 und 2006 hat die WM in Deutschlan­d stattgefun­den. Haben Sie WM-Spiele live gesehen? 2006 war ich bei drei Spielen live dabei. In Kaiserslau­tern habe ich die Spiele Italien gegen USA und Paraguay gegen Trinidad und Tobago gesehen. Das war ein tolles Erlebnis, weil vor und nach dem Spiel Fans von Trinidad und Tobago für richtige Karnevalss­timmung gesorgt haben. Beim Spiel um Platz drei in Stuttgart zwischen Deutschlan­d und Portugal war ich offizielle­r Beobachter vom Bund Deutscher Fußballleh­rer. Das war ebenso ein tolles Erleb-

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FOTO: EIBNER-PRESSEFOTO Der Fußballleh­rer Walter Schneck glaubt, dass es schwierige­r wird, gegen die sogenannte­n kleineren Fußballnat­ionen zu gewinnen.
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