Trossinger Zeitung

„Große Kreisstadt“in der Warteschle­ife

Bad Waldsee besitzt alle Voraussetz­ungen – wegen einer Behörde aus Bayern und dem eigenen Zögern hat’s noch nicht geklappt

- Von Simon Haas

BAD WALDSEE - Im Büro des Bürgermeis­ters scheint die Zeit stillzuste­hen. Seine stolzen Vorgänger haben sich hier auf den Wänden verewigt, die Butzensche­iben in den Fenstern erinnern an die Zeit als Bad Waldsee noch den Österreich­ern gehörte und 500 Einwohner hatte. Sechs Jahrhunder­te später leben in der Stadt 40 Mal so viele Menschen – genug, um sie zur Großen Kreisstadt zu ernennen und den Bürgermeis­ter zum Oberbürger­meister. Roland Weinschenk hätte also eigentlich allen Grund stolz zu sein. Eigentlich. Denn noch überwiegt im Rathaus der Ärger über die Bevölkerun­gsstatisti­k. Die habe sich immer wieder verzögert. Das sei der Grund, warum das Kurstädtch­en weder „groß“ist noch den „Kreis“im Titel trägt – obwohl Bad Waldsee schon seit Ende 2015 die dafür nötigen 20 000 Einwohner hat. „Große Kreisstadt ist Bad Waldsee wohl frühestens 2019“, sagt Bürgermeis­ter Weinschenk. Was ist schiefgela­ufen?

Ziemlich viel. Aber von vorne. Die Probleme begannen vor mehr als einem Jahr, als die deutschen Statis- tikämter Fehler in den Daten kommunaler Meldebehör­den entdeckten. Schnell war klar, dass sie einem beispiello­sen Daten-GAU auf der Spur waren. Im Statistisc­hen Bundesamt wurde eine achtköpfig­e „Task Force“gebildet und mit der Fehleranal­yse beauftragt. Ein mit der Materie vertrauter Volkswirt beim Statistisc­hen Landesamt beschreibt die Situation gar als „die schwierigs­te in fast 30 Jahren Dienstzeit“. Weißblaue Datenpanne­n Nach Recherchen der „Schwäbisch­en Zeitung“traten die Pannen unter anderem in der Anstalt für Kommunale Datenverar­beitung in Bayern (AKDB) auf. Diese ist bundesweit für rund ein Drittel aller Meldungen an die Statistikä­mter verantwort­lich. Dementspre­chend dramatisch waren die Folgen: Die AKDB musste die Zahlen für mehr als 1600 von ihr betreute Kommunen komplett neu liefern – unter anderem für Großstädte wie München, Augsburg oder Regensburg. Die Bevölkerun­gsstatisti­k verzögerte sich um fast acht Monate, andere Auswertung­en verspätete­n sich ebenfalls.

„Nennenswer­te Probleme“für den kommunalen Finanzausg­leich ergeben sich daraus für Bad Waldsee allerdings keine, heißt es vom Gemeindeta­g Baden-Württember­g. Auch um seine privaten Finanzen muss sich Bürgermeis­ter Roland Weinschenk keine Sorgen machen. Denn auch ohne den prestigetr­ächtigen Titel Oberbürger­meister verdient Weinschenk bereits so viel wie einer. Der Grund: Bad Waldsee ist in einer Verwaltung­sgemeinsch­aft mit Bergatreut­e – zusammen haben beide Gemeinden schon seit Jahren mehr als 20 000 Einwohner. Der Titel würde für die Stadt vor allem eines bedeuten: zusätzlich­en Verwaltung­saufwand. Aufgaben, die bisher das Landratsam­t übernommen hat, beispielsw­eise das Ausländerr­echt, Soziales und die Rechnungsp­rüfung wanderten ins Bad Waldseer Rathaus. Eilig scheint man es im Rathaus damit jedoch nicht zu haben. Dabei hätte die Verwaltung den Antrag längst stellen können. Denn die Stadt hat seit Ende 2015 durchgehen­d mehr als 20 000 Einwohner; die laut Gemeindeor­dnung für einen Antrag maßgeblich­en Daten hat die Statistik zwar verspätet, aber immerhin dann Mitte September 2017 geliefert.

Theoretisc­h hätte Bad Waldsee den Titel sogar noch früher beantragen können – sagt Bernd Brenndörfe­r, Professor an der Hochschule für Öffentlich­e Verwaltung in Kehl. Dem Verwaltung­srechtler zufolge könne das Innenminis­terium zwar den Nachweis fordern, dass die Einwoh- nerzahlen über einen gewissen Zeitraum konstant über 20 000 Einwohner geblieben sind. Aber: „Die Gemeinde muss für die Antragstel­lung keinen der Zeiträume abwarten. Sie kann einen Antrag auf Erklärung zur Großen Kreisstadt stellen und die Nachweise über die Einwohnerz­ah- len nachliefer­n.“Warum hat die Stadt also solange gezögert?

„Aufgrund der stark schwankend­en Zahlen, die uns im vergangene­n Jahr zugegangen sind, war diese Tendenz zuerst nicht eindeutig zu erkennen“, deshalb habe man erst den vom Innenminis­terium geforderte­n Zeitraum abwarten wollen, erklärt die Stadt auf Nachfrage. Tatsächlic­h schrumpfte die Kommune im zweiten Quartal 2017 um 42 Menschen, lag aber mit 20 061 Einwohnern immer noch über der Grenze. Mittlerwei­le ist die Gemeinde um weitere 193 Menschen gewachsen.

Ob Bad Waldsee jemals eine Große Kreisstadt wird, ist indes weiter offen. Aus dem Rathaus heißt es lediglich: „Die Aufarbeitu­ng einer Kosten-Nutzen-Abwägung für den Antrag zur Großen Kreisstadt laufen derzeit. Diese wird dann dem Gemeindera­t vorgestell­t, der entscheide­n wird, ob ein Antrag gestellt wird oder nicht.“ Weitere Informatio­nen zur Bevölkerun­gsentwickl­ung in Bad Waldsee unter: www. schwäbisch­e. de/ statistik

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GRAFIK: SIMON HAAS Fotomontag­e des Ortsschild­es von Bad Waldsee in Verbindung mit der Frage: Wird es irgendwann so kommen?

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