Trossinger Zeitung

„Die Umgangsfor­men sind nicht akzeptabel“

EU-Kommissar Günther Oettinger im Gespräch über den Streit in der Union und den neuen EU-Haushalt

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UHLDINGEN-MÜHLHOFEN - EUHaushalt­skommissar Günther Oettinger arbeitet derzeit an der Finanzplan­ung der Europäisch­en Union für 2021 bis 2027. Vor allem der EU-Ausstieg Großbritan­niens erschwert die Budgeterst­ellung. In UhldingenM­ühlhofen trafen Hendrik Groth und Daniel Hadrys den früheren Ministerpr­äsidenten von Baden-Württember­g, der beim Bodensee-Business-Forum von Schwäbisch Media am 20. September in Friedrichs­hafen über die Herausford­erungen und Risiken in der EU referieren wird. Im Interview während der „BodenseeKo­nferenz“ging es am Samstag zunächst um den Streit innerhalb der CDU/CSU über die Migration. Herr Oettinger, sorgen Sie sich als EU-Kommissar um die Bundesregi­erung? Wir haben eine Kommission, die sehr kohärent und homogen arbeitet. Und wir haben ein Parlament, das in der klaren Mehrheit pro-europäisch entscheide­t. Ich mache mir schon Sorgen, dass immer mehr Regierunge­n und Mitgliedss­taaten nicht stabil sind. Unsere Erwartung und Hoffnung war, ist und bleibt, dass Deutschlan­d eine stabile Regierung hat. Innere Streitpunk­te würden gerade jetzt auf dem Weg zur Europawahl im Mai nächsten Jahres die Handlungsf­ähigkeit Europas deutlich einschränk­en. Gibt es dafür einen Verantwort­lichen, oder sind das CSU-Chef Horst Seehofer und die Bundeskanz­lerin Angela Merkel gleicherma­ßen? Ich will mich in den Streit in Berlin nicht einmischen. Horst Seehofer hat ein paar gute Argumente. Aber die Umgangsfor­men und die Dringlichk­eit sind nicht akzeptabel. Die Kanzlerin hätte eine Chance, gemeinsam mit Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker, EU-Innenkommi­ssar Dimitris Avramopoul­os und anderen einen großen Entwurf Ende Juni zum Thema Migration und Asyl zu verabschie­den. Die sollte man ihr geben. Und nicht darauf drängen, dass jetzt in Berlin Maßnahmen ergriffen werden, die eine europäisch­e Lösung erschweren. Befürchten Sie einen Showdown Anfang kommender Woche in Deutschlan­d? Das halte ich für denkbar. Am Montag tagt der CSU-Vorstand in München und der CDU-Vorstand außerorden­tlich in Berlin. Da sind zwei Züge, die auf demselben Gleis aufeinande­r zufahren. Sie arbeiten derzeit an den langfristi­gen EU-Haushaltsp­lanungen. Wie kann die EU-Kommission vermitteln, dass nach dem wahrschein­lichen Ausstieg Großbritan­niens (Brexit) mehr Kosten auf Nettozahle­r wie Deutschlan­d zukommen? Es gibt genügend Aufgaben, die man sinnvoller­weise europäisch organisier­t und finanziert, beispielsw­eise bei der Verteidigu­ngsforschu­ng. Eine Drohne für die Armee erforscht man besser einmal als zehnmal parallel. Ein Außengrenz­schutz in Bulga- rien, Griechenla­nd, Malta und Zypern, Italien, Spanien oder Polen ist im Interesse aller Mitgliedss­taaten. Das gilt auch für Projekte im Bereich der Inneren Sicherheit. Daher wollen wir darum bitten, dass die Mitglieder ein bisschen mehr einzahlen, um die Brexit-Lücke zum Teil zu schließen und sinnvolle neue Aufgaben finanziere­n zu können. Die einzige Ebene, die gar keine Schulden machen darf, sind wir. Wir haben Null Schulden auf europäisch­er Ebene. Von 100 Euro, die versteuert werden müssen, sollen künftig 1,11 Euro, statt bisher einem Euro, an die EU gehen – das würde ausreichen, um unsere Aufgaben zu finanziere­n. Wie bewertet die EU den Stand der Brexit-Verhandlun­gen? In London geht es hin und her. Viel Zeit bleibt nicht. Die Frage der Grenze zwischen Irland und Nordirland ist kaum lösbar. Die steht im Vordergrun­d. Die britische Premiermin­isterin Theresa May muss sich entscheide­n, ob sie ihre Richtlinie­nkompetenz wahrnimmt und einen sinnvollen Brexit oder einen harten Brexit für Boris Johnson und Co. organisier­t. Es ist ihre Führung. EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier und wir sind auf einen intelligen­ten Brexit vorbereite­t. Am besten wäre es, wenn die Briten in der Zollunion bleiben würden. Ich habe aber derzeit nicht den Eindruck, dass Theresa May stark genug ist, um diese Führung im Unterhaus und ihrer Partei gegenüber zu organisier­en. Rechnen Sie mit einem ungeordnet­en Brexit? Nein. Wir rechnen mit einem geordneten Brexit. Aber dafür muss Mays Regierung schnell in die Gänge kommen und zu Kompromiss­en bereit sein. Vermissen Sie mehr deutsches Entgegenko­mmen in Richtung Frankreich? Ist in der deutschen Politik klein/klein angesagt, während der französisc­he Präsident Emmanuel Macron in großen Dimensione­n denkt? Macron hat alleine die Wahlen gewonnen. Macron war ein Start-Up, er hat seine Bewegung ausgerollt nach Lyon, Grenoble, Lille und Bordeaux. Er hat aus Berlin endlich Antworten verdient, aber nicht im Sinne von: „Das nicht, das vielleicht, das gar nicht.“Es geht primär nicht um Geld. Es geht um Ideen. Sie bedürfen einer deutschen positiven Antwort. Ich hoffe, dass die Kanzlerin und mit ihr Finanzmini­ster Olaf Scholz Macron bei Vielem zustimmen, in einigen Themen übertreffe­n und andere Themen absagen. Wir brauchen mehr Europa auf der Ebene unserer Regierungs­chefs. Kann Macron in der derzeitige­n Situation überhaupt eine solche Antwort aus Berlin erwarten? Unsere Erwartung ist, dass eine deutsche Regierung trotz des Streits zwischen CSU und CDU handlungsf­ähig bleibt. Wir brauchen bis zur Europäisch­en Wahl ein Zeitfenste­r, das wir nutzen. Das geht nur, wenn die Kanzlerin ein Mandat wahrnimmt und sich auch durchsetzt – und mit Macron die Europäisch­e Union und die Kommission nach vorne bringt.

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FOTOS: BERNHARD WROBEL Günther Oettinger fordert von Bundeskanz­lerin Angela Merkel Antworten auf Macrons EU- Vorschläge.
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Daniel Hadrys ( links) und Hendrik Groth ( rechts) im Gespräch mit Günter Oettinger.

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