Deutschland spioniert in Österreich
Berichten zufolge hat der Bundesnachrichtendienst das Nachbarland bespitzelt – Kontrollgremium des Bundestags prüft die Vorwürfe
WIEN - Mit Empörung, aber diplomatischer Zurückhaltung reagiert Österreich auf den umfassenden Lauschangriff des Bundesnachrichtendienstes (BND). Die Regierung in Wien fordert von Deutschland rasche Aufklärung und volle Kooperation.
„Das Ausspähen unter befreundeten Staaten ist nicht nur unüblich und unerwünscht, es ist auch nicht akzeptabel“, sagte Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu den Berichten über die Spitzelaktivitäten des BND in Österreich. Vor der BND-Affäre hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Oktober 2013 mit Blick auf die NSA-Spionage in Deutschland noch gesagt: „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht.“
Dass der BND benachbarte Staaten überwacht, ist in Wien seit Jahren bekannt. Überraschend ist das Ausmaß. Bundeskanzler Sebastian Kurz bezeichnete es als „enorm“. So wurde der Tageszeitung „Der Standard“und dem Wochenmagazin „Profil“von einer unbekannten, deutschen Quelle eine Liste von 2000 abgehörten Zieladressen (E-Mail, Telefon, Mobiltelefon, Fax) zugespielt, die eine systematische Überwachung vermuten lässt. Im Visier des BND standen demnach vor allem 75 Botschaften in Wien – da- runter jene der USA, Russlands, Israels, Irans, Iraks und Nordkoreas.
Auch internationale Organisationen mit Sitz in Wien wie die Atomenergiebehörde IAEA oder die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa finden sich auf der Liste, darüber hinaus das österreichische Bundeskanzleramt, die Ministerien für Äußeres und Finanzen; islamische Einrichtungen, Banken und Universitäten, Niederlassungen internationaler Konzerne sowie heimische Rüstungsproduzenten wie die Firma Glock, Steyr-Mannlicher (Gewehre) und Hirtenberger (Munition). Auch Medien wurden angezapft, so die Austria Presse Agentur (APA).
Die abgefangenen Informationen wurden mit anderen Geheimdiensten, allen voran der US-amerikanischen NSA, geteilt. Vorwurf der Wirtschaftsspionage Die Wiener Regierung berief nach Bekanntwerden der Vorwürfe umgehend eine Krisensitzung ein. Bei der anschließenden Pressekonferenz waren Bundespräsident Van der Bellen und Bundeskanzler Kurz trotz der Empörung um diplomatische Zurückhaltung bemüht. Beide forderten eine „rasche und volle Aufklärung“sowie volle Kooperation der deutschen Regierung. Im Raum steht auch der Vorwurf der Wirtschaftsspionage. Die Frage, wie sehr die Spionage des BND die Beziehungen der befreundeten Nachbarn belaste, beantwortete Van der Bellen mit sichtlichem Unbehagen: „Jetzt warten wir erst einmal ab, wie die deutschen Behörden reagieren, dann sehen wir weiter.“Er gehe davon aus, dass Berlin zu einer „vollständigen Klärung bereit“sei.
Die BND-Lauschoperation beschränkt sich auf den Zeitraum zwischen 1999 bis 2006. Bislang habe man keine Erkenntnisse, so Kanzler Kurz, „dass die Überwachungen danach fortgesetzt wurden“. In Deutschland würden mittlerweile schärfere Regeln für den BND gelten. Das Ausspähen befreundeter Staaten sei aber „auch vor zehn Jahren nicht richtig gewesen“, sagte er. Bekannt sind der Wiener Regierung die Lauschaktivitäten des BND erst seit 2015 durch einen Bericht des „Spiegel“.
Das Innenministerium schaltete damals die Wiener Staatsanwaltschaft ein, die aber inzwischen die Ermittlungen „gegen Unbekannt“wieder eingestellt hat. Begründung: man- gelnde Kooperation der deutschen Behörden. Das Parlamentarische Kontrollgremium der Geheimdienste (PKG) des deutschen Bundestags ist bereits aktiv geworden. „Wir prüfen, ob die Vorwürfe neu sind oder ob sie Teil der schon 2015 bekannt gewordenen Vorwürfe sind“, sagte der PKGVorsitzende Armin Schuster (CDU) der Funke Mediengruppe. Schuster kündigte erste Erkenntnisse bis Ende der kommenden Woche an. Eventuell werde das Gremium in der übernächsten Woche zu einer Sondersitzung zusammenkommen.
Der CDU-Politiker bekräftigte, dass es „oft weder verhältnismäßig, noch in der Sache erklärbar“gewesen sei, dass der BND andere europäische Staaten bespitzelt habe. Der BND ist dem Kanzleramt unterstellt und wird vom Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages überwacht. Die rund 6500 Mitarbeiter dürfen nicht im Inland tätig werden.
Die österreichische Opposition wirft dem Verfassungsschutz „totales Versagen“vor und fordert einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. „Diese Art der Massenüberwachung durch ausländische Geheimdienste ist unhaltbar. Zu lange schon war Österreich hier zu lax“, sagte Stephanie Krisper, Sicherheitssprecherin der wirtschaftsliberalen Partei Neos.