Trossinger Zeitung

In der Türkei droht eine Eiszeit

- Von Susanne Güsten

Nach der Wahl vom Sonntag wird in der Türkei noch mehr als bisher das Wort eines einzigen Mannes gelten: Präsident Recep Tayyip Erdogan hat sein politische­s Lebensziel erreicht – er kann sein Land mit vielen Vollmachte­n und wenig Kontrolle durch andere Staatsorga­ne regieren. Künftig wird Erdogan lediglich auf die Nationalis­ten im Parlament Rücksicht nehmen müssen. Das wird die Linie der Regierung in Ankara noch mehr verhärten als bisher.

Neue Ansätze für eine politische Lösung des Kurdenkonf­liktes rücken in weite Ferne. Auch eine Wiederannä­herung an Europa und die Europäisch­e Union wird es so bald nicht geben. Stattdesse­n wird die Türkei noch mehr als bisher auf Stärke setzen – und sie wird in Kritik von außen noch mehr als bisher eine Verschwöru­ng feindliche­r Kräfte sehen. Dass Erdogan und seine rechten Partner, die nationalis­tische MHP, die nötigen marktwirts­chaftliche­n Reformen angehen werden, ist kaum zu erwarten.

Das Wahlergebn­is bedeutet auch einen neuen Tiefpunkt für die türkische Opposition. Selbst nach einer Mobilisier­ung von Hunderttau­senden Erdogan-Gegnern ist es ihr nicht gelungen, den Präsidente­n an der Wahlurne zu besiegen. Manche in den Reihen der Opposition­sparteien werden sich jetzt auf eine neue Eiszeit einstellen, die es durchzuste­hen gilt und die möglicherw­eise mehrere Jahre dauern wird. Wenn Erdogan in der neuen Phase angreifbar ist, dann von seinen nationalis­tischen Partnern, nicht von seinen Gegnern im Parlament.

In den kommenden Tagen wird es zunächst um die Legitimitä­t der Wahl gehen. Die Opposition­spartei CHP will das Ergebnis nicht anerkennen. Der Krach zeigt das Ausmaß der gesellscha­ftlichen Polarisier­ung im Land: Erdogan-Anhänger und seine Gegner stehen sich unversöhnl­ich gegenüber. Ein Dialog über diese Gräben hinweg erscheint kaum noch möglich. Viele Kritiker werden sich jetzt in die innere oder äußere Emigration zurückzieh­en. Erdogan hat die Wahl gewonnen – und viele Türken wohl für immer verloren. politik@schwaebisc­he.de

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