Merkel muss weiter nach Lösungen suchen
Minigipfel in Brüssel zur Flüchtlingspolitik bringt Annäherung, aber keine Einigkeit
BRÜSSEL - Man brauche praktische Lösungen statt großer Worte – so haben am Sonntag die Teilnehmer des Brüsseler Minigipfels begründet, dass es keine Schlusserklärung gab. Europas Außengrenzen müssten „sicherer“, also undurchlässiger werden. Ankerzentren außerhalb der Europäischen Union seien ebenso eine Option wie Erstaufnahmelager auf europäischem Boden. Die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Drittländern müsse verstärkt, die dafür nötigen Mittel von der EU bereitgestellt werden. „Wo immer möglich wollen wir europäische Lösungen finden“, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach dem Treffen. Das Abkommen mit der Türkei sei beispielhaft, man wolle weitere Abkommen dieser Art entwickeln und sich dabei die Arbeit aufteilen.
Zur Forderung von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), die sogenannte Binnenmigration von den Ersteinreiseländern nach Deutschland zu stoppen, äußerte sich Merkel nur vage: „Man kann die Ankunftsländer nicht allein lassen, aber andererseits können auch nicht Schlepper und Flüchtlinge darüber entscheiden, wo der Asylantrag gestellt wird“, sagte die Kanzlerin.
Das sehen Länder wie Italien und Malta, wo die meisten Flüchtlinge ankommen, natürlich anders. Italiens neuer Regierungschef Giuseppe Conte hatte einen Zehn-PunktePlan zu dem Treffen mitgebracht, der der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt. Darin heißt es: „Wer in Italien landet, landet in Europa.“Das bestehende Dublin-System, nach dem das Erstaufnahmeland für den Asylantrag zuständig ist, müsse komplett abgeschafft werden. Es könne nicht sein, dass diejenigen Länder, die Flüchtlinge aus Seenot retteten, automatisch für deren weitere Versorgung zuständig seien. Conte wollte erst nicht kommen Conte hatte sich nach Lektüre eines Vorbereitungspapiers von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zunächst geweigert, nach Brüssel zu reisen. Juncker hatte ganz im Sinne Seehofers vorgeschlagen, die Binnenmigration von bereits registrierten Asylbewerbern in ein anderes EULand „deutlich zu reduzieren“. Erst als Merkel dem Italiener zusicherte, das Papier sei vom Tisch, akzeptierte er die Einladung nach Brüssel.
Obwohl die Migrationsfrage Europa zu zerreißen droht, betonten fast alle Teilnehmer, die sich überhaupt öffentlich äußerten, dass nur gesamteuropäisches Handeln Ergebnisse bringen könne. Dänemark hat wie Deutschland und Österreich in der Vergangenheit mehrfach die Schengen-Regeln ausgesetzt, um die Weiterwanderung von Migranten aus dem Süden zu blockieren. Dennoch räumte der dänische Premier Lars Lokke Rasmussen ein, dass erst der auf europäischer Ebene geschlossene Pakt mit der Türkei dazu geführt habe, die Asylbewerberzahlen in Dänemark deutlich zu senken. Nicht physisch anwesend, aber doch in allen Überlegungen präsent waren die Chefs der vier VisegradStaaten – Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn. Sie weigern sich kategorisch, überhaupt Flüchtlinge aufzunehmen und ignorieren sogar entsprechende Urteile des Europäischen Gerichtshofs. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz war beim Visegrad-Gipfel vergangene Woche zu Gast und besuchte auch das Brüsseler Treffen. Er gefiel sich sichtlich in der Rolle dessen, der schon 2015 vor ungezügelter Zuwanderung warnte und nun zwischen Ost und West zu vermitteln versucht.
Beim EU-Gipfel am Donnerstag werde man wohl zu keiner Lösung des Problems kommen, prognostizierte Kurz. Wohl aber sei eine Einigung unter österreichischem Ratsvorsitz beim nächsten Gipfel am 30. September in Salzburg denkbar. Das käme für Angela Merkels innenpolitische Probleme definitiv zu spät.