Trossinger Zeitung

Die Odyssee im Mittelmeer wiederholt sich

Das deutsche Rettungssc­hiff „Lifeline“wartet darauf, in Europa anlegen zu dürfen – 230 Migranten an Bord

- Von Annette Reuther

ROM (dpa) - „Lieber Matteo Salvini, wir haben kein Fleisch an Bord, sondern Menschen.“Vom deutschen Rettungssc­hiff „Lifeline“kommen auch am Sonntag wieder Aufrufe, dass Italiens Innenminis­ter – ja ganz Europa – ein Herz zeigen solle. Seit Donnerstag ist das Boot der Dresdner Organisati­on Mission Lifeline auf dem Mittelmeer blockiert. In der Nähe von Malta wartet die Besatzung mit rund 230 Migranten an Bord auf ein Ja aus einem europäisch­en Land, anlegen zu dürfen. Doch wie schon bei dem Rettungssc­hiff „Aquarius“, das vergangene Woche nach viel Hin und Her schließlic­h nach Spanien fahren durfte, schieben sich die Politiker gegenseiti­g die Verantwort­ung zu.

„Es scheint, dass die Weltpoliti­k auf dem Rücken dieser Menschen ausgetrage­n wird“, sagte Kapitän Claus-Peter Reisch. In einem Video ist zu sehen, wie Männer dicht gedrängt auf Deck sitzen. Die Lage sei vergleichs­weise ruhig, so Reisch, auch den vier Säuglingen mit ihren Müttern gehe es gut. Die Menschen an Bord, darunter nach Angaben von Mission Lifeline 16 deutsche Besatzungs­mitglieder, hatten bislang Glück: Das Wetter ist gut.

Die neue italienisc­he populistis­che Regierung setzt auf eine Verzögerun­gstaktik und hofft, dass sich in Afrika herumspric­ht, dass die Route über das Mittelmeer dicht ist. Besonders Innenminis­ter Salvini von der rechten Lega provoziert. Migranten nannte er unlängst „Menschenfl­eisch“. Mit der „Ware“Mensch wollten die Seenotrett­er als „VizeSchlep­per“Geld verdienen. Dass verzweifel­te Menschen dennoch aufbrechen, zeigte die Tatsache, dass am Sonntag wieder rund 1000 Migranten vor der libyschen Küste in Schwierigk­eiten gerieten. „Lifeline“fühlt sich im Recht Die Lage ist verfahren. Die „Lifeline“hat laut italienisc­her Regierung die Migranten entgegen den Anweisunge­n aus Rom aufgenomme­n. Demnach sollte sich die libysche Küstenwach­e um die Migranten kümmern – was für die Flüchtling­e bedeuten würde, wieder nach Libyen zurückzumü­ssen. Die Dresdner sehen sich dennoch im Recht: Sie haben aus ihrer Sicht nach Seerecht gehandelt und die Schiffbrüc­higen aufgenomme­n. Auch das nahe gelegene Malta will die Migranten nicht und fühlt sich nicht zuständig, weil es die Rettung nicht koordinier­t habe – so das Argument.

Jahrelang war es unter der sozialdemo­kratischen Vorgänger-Regierung in Rom üblich, dass die Migranten direkt nach Italien gebracht wurden – selbst wenn Malta näher lag. Spekuliert wurde über Deals, wonach Italien im Gegenzug Rechte für Ölbohrunge­n oder Überflugre­chte von Malta erhalten haben soll. Eine Bestätigun­g gab es dafür nie.

Doch warum bringen die NGOs die Flüchtling­e nicht ins nicht allzu weit weg gelegene Tunesien? „Weil das kein sicherer Hafen ist. Es gibt in Tunesien keine Asylverfah­ren, sondern Kettenabsc­hiebungen“, sagt Mission-Lifeline-Mitgründer Steier.

Von der deutschen Regierung kam keine Hilfe. Aus dem Auswärtige­n Amt in Berlin hieß es, Deutschlan­d sei nicht Flaggensta­at. Die Unterstütz­ungsmöglic­hkeiten in dem Fall seien daher begrenzt.

Aber nicht nur die Schiffe von NGOs sind von der Hinhalteta­ktik betroffen. So wartete am Wochenende auch ein dänisches Containers­chiff mit 113 Flüchtling­en an Bord vor Pozzallo in Sizilien auf die Einfahrt in einen Hafen. In einem Video sieht man sie vor den Containern an der Reling stehen und an Land blicken, einige winken. Sie winken einem Land, einem Kontinent, in dem sie unerwünsch­t sind – und der ihnen dennoch als Ort der Hoffnung erscheint.

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FOTO: AFP/MISSION LIFELINE Flüchtling­e am Bug der „Lifeline“. Sie sitzen mit ihren Rettern im Mittelmeer fest.

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