Ein Anschlag auf Äthiopiens Aufbruch
Als äthiopischer Wissenschaftsminister wirkte Abiy Ahmed weitgehend unbeachtet. Doch seit das Parlament den erst 41-Jährigen vor weniger als drei Monaten zum neuen Ministerpräsidenten bestimmt hat, wirbelt er das jahrzehntelang autoritär regierte Äthiopien kräftig durcheinander. Nun überschattete aber am Samstag ein Anschlag seinen rasanten Reformkurs. Mindestens zwei Menschen starben, als Unbekannte eine Granate in die Menschenmenge bei einer Veranstaltung Abiys in der Hauptstadt Addis Abeba warfen, mehr als 150 Menschen wurden verletzt. Abiy selbst blieb unverletzt.
Der Regierungschef steht für einen neuen Kurs. Er trifft immer wieder Oppositionelle, entließ politische Gefangene, hob den Ausnahmezustand auf und kündigte an, den Grenzstreit mit Eritrea zu beenden. Der Wandel geschieht so abrupt, dass sich viele fragen: Ist dieser Reformwillen wirklich ernst gemeint? „Viele Äthiopier atmen frei durch“Constantin Grund, der das Büro der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in der Hauptstadt Addis Abeba leitet, ist zuversichtlich. „Man hat den Eindruck, dass viele Äthiopier seit Langem das erste Mal wieder befreit durchatmen“, sagte er. „Das hängt mit dem veränderten politischen Klima zusammen, seit Abiy Ahmed Pre- mierminister ist.“Bis heute regieren in Äthiopien die einstigen Rebellen, die die brutale Militärdiktatur 1991 beendet haben. Ihr Bündnis, die EPRDF, hält alle Sitze im Parlament. Doch nach drei Jahren anhaltender Massenproteste im Land scheinen die Erben der Kämpfer von einst bereit zum Wandel. „Es ist noch zu früh, um beurteilen zu können, ob der Wandel wirklich auf Dauer tragen kann“, so Grund. Politische Dialoge seien nun jedoch wieder möglich.
Menschenrechtler hatten immer einen schweren Stand in Äthiopien. Viele mussten fliehen, andere wurden eingesperrt. „Bislang müssen diejenigen, die für die massiven Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit verantwortlich sind, keine Bestrafung befürchten“, kritisiert Fisseha Tekle von Amnesty International. Sie fordert institutionelle Änderungen, um die bisherige Kultur der Straflosigkeit zu beenden.
Personell immerhin macht Abiy Ahmed reinen Tisch: Armeechef Samora Yunis setzte er ebenso ab wie den 17 Jahre lang amtierenden Geheimdienstchef Getachew Asefa. Beide galten als Hardliner. Unter beider Führung wurden Oppositionelle verfolgt, verhaftet oder verschleppt. Auch die Vorherrschaft der Tigray, einer Minderheit im Vielvölkerstaat Äthiopien, hat er gebrochen. Abiy, Mitglied der größten Ethnie der Oromo, ernannte einen Amharen zum Geheimdienstdirektor und einen Tigray zum Stabschef. Auf einmal herrscht Vielfalt in der Führung.
Grund glaubt, dass der Premier bewusst zu Anfang seiner Amtszeit viele Pflöcke einschlägt. Wie ernst er es damit meint, werde sich daran zeigen, ob er freie Wahlen ermöglicht: zum Jahreswechsel auf kommunaler, 2020 dann auf Landesebene.