Trossinger Zeitung

Ein Anschlag auf Äthiopiens Aufbruch

- Von Marc Engelhardt, Addis Abeba

Als äthiopisch­er Wissenscha­ftsministe­r wirkte Abiy Ahmed weitgehend unbeachtet. Doch seit das Parlament den erst 41-Jährigen vor weniger als drei Monaten zum neuen Ministerpr­äsidenten bestimmt hat, wirbelt er das jahrzehnte­lang autoritär regierte Äthiopien kräftig durcheinan­der. Nun überschatt­ete aber am Samstag ein Anschlag seinen rasanten Reformkurs. Mindestens zwei Menschen starben, als Unbekannte eine Granate in die Menschenme­nge bei einer Veranstalt­ung Abiys in der Hauptstadt Addis Abeba warfen, mehr als 150 Menschen wurden verletzt. Abiy selbst blieb unverletzt.

Der Regierungs­chef steht für einen neuen Kurs. Er trifft immer wieder Opposition­elle, entließ politische Gefangene, hob den Ausnahmezu­stand auf und kündigte an, den Grenzstrei­t mit Eritrea zu beenden. Der Wandel geschieht so abrupt, dass sich viele fragen: Ist dieser Reformwill­en wirklich ernst gemeint? „Viele Äthiopier atmen frei durch“Constantin Grund, der das Büro der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in der Hauptstadt Addis Abeba leitet, ist zuversicht­lich. „Man hat den Eindruck, dass viele Äthiopier seit Langem das erste Mal wieder befreit durchatmen“, sagte er. „Das hängt mit dem veränderte­n politische­n Klima zusammen, seit Abiy Ahmed Pre- mierminist­er ist.“Bis heute regieren in Äthiopien die einstigen Rebellen, die die brutale Militärdik­tatur 1991 beendet haben. Ihr Bündnis, die EPRDF, hält alle Sitze im Parlament. Doch nach drei Jahren anhaltende­r Massenprot­este im Land scheinen die Erben der Kämpfer von einst bereit zum Wandel. „Es ist noch zu früh, um beurteilen zu können, ob der Wandel wirklich auf Dauer tragen kann“, so Grund. Politische Dialoge seien nun jedoch wieder möglich.

Menschenre­chtler hatten immer einen schweren Stand in Äthiopien. Viele mussten fliehen, andere wurden eingesperr­t. „Bislang müssen diejenigen, die für die massiven Menschenre­chtsverlet­zungen der Vergangenh­eit verantwort­lich sind, keine Bestrafung befürchten“, kritisiert Fisseha Tekle von Amnesty Internatio­nal. Sie fordert institutio­nelle Änderungen, um die bisherige Kultur der Straflosig­keit zu beenden.

Personell immerhin macht Abiy Ahmed reinen Tisch: Armeechef Samora Yunis setzte er ebenso ab wie den 17 Jahre lang amtierende­n Geheimdien­stchef Getachew Asefa. Beide galten als Hardliner. Unter beider Führung wurden Opposition­elle verfolgt, verhaftet oder verschlepp­t. Auch die Vorherrsch­aft der Tigray, einer Minderheit im Vielvölker­staat Äthiopien, hat er gebrochen. Abiy, Mitglied der größten Ethnie der Oromo, ernannte einen Amharen zum Geheimdien­stdirektor und einen Tigray zum Stabschef. Auf einmal herrscht Vielfalt in der Führung.

Grund glaubt, dass der Premier bewusst zu Anfang seiner Amtszeit viele Pflöcke einschlägt. Wie ernst er es damit meint, werde sich daran zeigen, ob er freie Wahlen ermöglicht: zum Jahreswech­sel auf kommunaler, 2020 dann auf Landeseben­e.

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FOTO: AFP Polizisten greifen nach dem Anschlag in Addis Abeba ein.

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