Schöner feiern im Süden
Friedliche Geburtstagsparty zum 20. Southside Festival mit 60 000 Fans
NEUHAUSEN OB ECK - Kinder, wie die Zeit vergeht: Bei der 20. Auflage des Southside Festivals haben am Wochenende 60 000 Musikbegeisterte in Neuhausen ob Eck (Kreis Tuttlingen) zu den Auftritten von rund 100 Bands gefeiert. Seit dem ersten Mal, das 1999 noch in Neubiberg bei München stattfand, hat sich das Festival zu einem der wichtigsten Open Airs Deutschlands entwickelt. Der Erfolg hat mehrere Faktoren. Drei Erkenntnisse des Konzertwochenendes. Nostalgie und Zukunft Das Festival von diesem Sommer ist die Erinnerung des kommenden Jahres. Für Festivalgänger geht es an diesem Konzertwochenende um mehr als um Musik. Viele Cliquen reisen gemeinsam hin, campen zusammen und erleben ein paar Tage Ausbruch aus den starren Konventionen des Alltags. Hier werden Geschichten geschrieben, die man später immer wieder erzählt, vom fiesesten Sonnenbrand des Jahres, dem legendären Junggesellenabschied oder den skurrilen Begegnungen mit anderen Festivalgängern. An erster Stelle steht aber die Musik. Und auch die ist zeitlichen Strömungen unterworfen. So zeigte sich etwa am Samstag bei den US-Punkrockern The Offspring, wie nostalgisch Musik sein kann. Songs wie „Pretty Fly (For A White Guy)“(1998) oder „Self Esteem“vom elf Millionen Mal verkauften 1994er-Album „Smash“kommen aus einer Zeit, als das Leben noch einfacher und die Welt nicht so krisengeschüttelt scheint wie derzeit. Die Truppe um Sänger Dexter Holland und Gitarrist Noodles schickt ihre Fans auf einen hemmungslosen Retro-Trip und erntet euphorischen Beifall. Den Blick in die Zukunft gerichtet haben hingegen die kanadischen Indierocker von Arcade Fire. Mit ihrem jüngsten Album „Everything Now“haben die Musiker um ihr Fronter-Ehepaar Win Butler und Régine Chassagne einen weiteren Schritt weg von den folkigen und orchestralen Klängen der ersten beiden Alben „Funeral“(2004) und „Neon Bible“(2007) gemacht und sich tanzbareren, poppigeren und elektronischeren Sounds zugewandt. Das schmeckt nicht jedem Fan, doch live sind Songs wie das stark nach Abba (ja, Abba!) klingende „Put Your Money on Me“eben bunte Sprenkel zwischen dunkleren Songperlen wie „Rebellion (Lies)“und „The Suburbs“. Arcade Fire verweigern sich den Erwartungen und blicken zugleich kritisch auf Dinge wie soziale Medien und Technologiegläubigkeit. Und etwas Nostalgie gönnen sie sich dann auch: Mit dem Hit „Wake Up“gibt es einen der ältesten Songs der Band ganz am Ende des Auftritts am Freitag. Wachstum durch Vielfalt Mit den Jahren ist das Southside gewachsen. Waren es Mitte der 2000erJahre noch rund 40 000 Besucher, wurden seit 2013 jedes Jahr etwa 60 000 Festivalgänger gezählt. Dieses Plus an Zuschauern ging mit einem Stilwandel einher. War das Festival in früheren Jahren noch eher von Gitarrenmusik dominiert, finden seit einigen Jahren auch Anhänger von Hip-Hop auf ihre Kosten. So erwies sich dieses Jahr der Rapper Marteria als eines der größten Zugpferde des Festivals. Sein Auftritt am Samstagabend zog Tausende aufs Konzertgelände, und Hits wie „Lila Wolken“oder „Kids“wurden frenetisch bejubelt. Am Sonntag stand die Blue Stage ganz im Zeichen des Sprechgesangs, da gaben sich Rapper wie Prinz Pi und Dendemann die Klinke in die Hand. Das Duo SXTN stach besonders hervor: Während die Texte kaum für eine Tageszeitung zitierfähig sind, erreichen die beiden Frauen mit ihrer vulgären Gossensprache ein Publikum, das auf Appelle zur sexuellen Selbstbestimmung wohl mit Gähnen reagieren würde, wenn sie moralisierend daherkämen. Auch Electro-Klänge gibt es auf dem Southside zur Genüge zu hören, mit der White Stage haben Fans dieser Sparte seit 2010 sogar eine eigene Fundgrube. Und so wie auch Rock am Ring und Rock im Park als Zwillingsfestivals mehr Gewicht haben, wenn es darum geht, große Bands an Land zu ziehen, hat auch Veranstalter FKP Scorpio zwei Festivals am Start: das Hurricane Festival in Niedersachsen und eben das Southside als südliches Pendant. Friedlicher als jedes Dorffest Studien über Lebensqualität in Deutschland ergeben in schöner Regelmäßigkeit, dass im Süden die zufriedensten Menschen leben. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass das Southside auch dieses Jahr sehr friedlich war. Vier Körperverletzungsdelikte registrierte die Polizei – bei 60 000 Besuchern extrem wenig. Da gibt es Dorffeste, die die Ordnungshüter mehr fordern. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass man im Süden zwar durchaus ein großes Kulturangebot hat, aber große und angesagte Namen sich nicht inflationär hier tummeln. Das SouthsidePublikum ist extrem dankbar und lässt sich bei Auftritten von Bands wie den kanadischen Alternativerockern Billy Talent nicht lange bitten, sondern tanzt, springt und singt lauthals zu energetischen Songs wie „Surprise Surprise“, „Red Flag“oder „Fallen Leaves“mit. Der Süden zeigt sich von seiner besten Seite. Jede Menge Eindrücke vom Festival gibt es unter www.schwäbische.de/southside2018 Heute um 18 Uhr startet der Vorverkauf für 2019, dann findet das Southside-Festival vom 21. bis 23. Juni statt.