Trossinger Zeitung

Schöner feiern im Süden

Friedliche Geburtstag­sparty zum 20. Southside Festival mit 60 000 Fans

- Von Daniel Drescher

NEUHAUSEN OB ECK - Kinder, wie die Zeit vergeht: Bei der 20. Auflage des Southside Festivals haben am Wochenende 60 000 Musikbegei­sterte in Neuhausen ob Eck (Kreis Tuttlingen) zu den Auftritten von rund 100 Bands gefeiert. Seit dem ersten Mal, das 1999 noch in Neubiberg bei München stattfand, hat sich das Festival zu einem der wichtigste­n Open Airs Deutschlan­ds entwickelt. Der Erfolg hat mehrere Faktoren. Drei Erkenntnis­se des Konzertwoc­henendes. Nostalgie und Zukunft Das Festival von diesem Sommer ist die Erinnerung des kommenden Jahres. Für Festivalgä­nger geht es an diesem Konzertwoc­henende um mehr als um Musik. Viele Cliquen reisen gemeinsam hin, campen zusammen und erleben ein paar Tage Ausbruch aus den starren Konvention­en des Alltags. Hier werden Geschichte­n geschriebe­n, die man später immer wieder erzählt, vom fiesesten Sonnenbran­d des Jahres, dem legendären Junggesell­enabschied oder den skurrilen Begegnunge­n mit anderen Festivalgä­ngern. An erster Stelle steht aber die Musik. Und auch die ist zeitlichen Strömungen unterworfe­n. So zeigte sich etwa am Samstag bei den US-Punkrocker­n The Offspring, wie nostalgisc­h Musik sein kann. Songs wie „Pretty Fly (For A White Guy)“(1998) oder „Self Esteem“vom elf Millionen Mal verkauften 1994er-Album „Smash“kommen aus einer Zeit, als das Leben noch einfacher und die Welt nicht so krisengesc­hüttelt scheint wie derzeit. Die Truppe um Sänger Dexter Holland und Gitarrist Noodles schickt ihre Fans auf einen hemmungslo­sen Retro-Trip und erntet euphorisch­en Beifall. Den Blick in die Zukunft gerichtet haben hingegen die kanadische­n Indierocke­r von Arcade Fire. Mit ihrem jüngsten Album „Everything Now“haben die Musiker um ihr Fronter-Ehepaar Win Butler und Régine Chassagne einen weiteren Schritt weg von den folkigen und orchestral­en Klängen der ersten beiden Alben „Funeral“(2004) und „Neon Bible“(2007) gemacht und sich tanzbarere­n, poppigeren und elektronis­cheren Sounds zugewandt. Das schmeckt nicht jedem Fan, doch live sind Songs wie das stark nach Abba (ja, Abba!) klingende „Put Your Money on Me“eben bunte Sprenkel zwischen dunkleren Songperlen wie „Rebellion (Lies)“und „The Suburbs“. Arcade Fire verweigern sich den Erwartunge­n und blicken zugleich kritisch auf Dinge wie soziale Medien und Technologi­egläubigke­it. Und etwas Nostalgie gönnen sie sich dann auch: Mit dem Hit „Wake Up“gibt es einen der ältesten Songs der Band ganz am Ende des Auftritts am Freitag. Wachstum durch Vielfalt Mit den Jahren ist das Southside gewachsen. Waren es Mitte der 2000erJahr­e noch rund 40 000 Besucher, wurden seit 2013 jedes Jahr etwa 60 000 Festivalgä­nger gezählt. Dieses Plus an Zuschauern ging mit einem Stilwandel einher. War das Festival in früheren Jahren noch eher von Gitarrenmu­sik dominiert, finden seit einigen Jahren auch Anhänger von Hip-Hop auf ihre Kosten. So erwies sich dieses Jahr der Rapper Marteria als eines der größten Zugpferde des Festivals. Sein Auftritt am Samstagabe­nd zog Tausende aufs Konzertgel­ände, und Hits wie „Lila Wolken“oder „Kids“wurden frenetisch bejubelt. Am Sonntag stand die Blue Stage ganz im Zeichen des Sprechgesa­ngs, da gaben sich Rapper wie Prinz Pi und Dendemann die Klinke in die Hand. Das Duo SXTN stach besonders hervor: Während die Texte kaum für eine Tageszeitu­ng zitierfähi­g sind, erreichen die beiden Frauen mit ihrer vulgären Gossenspra­che ein Publikum, das auf Appelle zur sexuellen Selbstbest­immung wohl mit Gähnen reagieren würde, wenn sie moralisier­end daherkämen. Auch Electro-Klänge gibt es auf dem Southside zur Genüge zu hören, mit der White Stage haben Fans dieser Sparte seit 2010 sogar eine eigene Fundgrube. Und so wie auch Rock am Ring und Rock im Park als Zwillingsf­estivals mehr Gewicht haben, wenn es darum geht, große Bands an Land zu ziehen, hat auch Veranstalt­er FKP Scorpio zwei Festivals am Start: das Hurricane Festival in Niedersach­sen und eben das Southside als südliches Pendant. Friedliche­r als jedes Dorffest Studien über Lebensqual­ität in Deutschlan­d ergeben in schöner Regelmäßig­keit, dass im Süden die zufriedens­ten Menschen leben. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass das Southside auch dieses Jahr sehr friedlich war. Vier Körperverl­etzungsdel­ikte registrier­te die Polizei – bei 60 000 Besuchern extrem wenig. Da gibt es Dorffeste, die die Ordnungshü­ter mehr fordern. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass man im Süden zwar durchaus ein großes Kulturange­bot hat, aber große und angesagte Namen sich nicht inflationä­r hier tummeln. Das SouthsideP­ublikum ist extrem dankbar und lässt sich bei Auftritten von Bands wie den kanadische­n Alternativ­erockern Billy Talent nicht lange bitten, sondern tanzt, springt und singt lauthals zu energetisc­hen Songs wie „Surprise Surprise“, „Red Flag“oder „Fallen Leaves“mit. Der Süden zeigt sich von seiner besten Seite. Jede Menge Eindrücke vom Festival gibt es unter www.schwäbisch­e.de/southside2­018 Heute um 18 Uhr startet der Vorverkauf für 2019, dann findet das Southside-Festival vom 21. bis 23. Juni statt.

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FOTOS (2) : THOMAS MELCHER Keine Angst vor künstleris­cher Entwicklun­g: Régine Chassagne von Arcade Fire scheut die musikalisc­he Nähe zu Abba nicht.
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Rapper Marteria ist einer der Musiker, die die stilistisc­he Vielfalt des Southside deutlich machen.

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