Trossinger Zeitung

Freie Fahrt für unfreie Bürgerinne­n

Saudische Frauen freuen sich über Führersche­ine – Doch Fremdbesti­mmung hält an

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RIAD (AFP) - Der lang ersehnte Tag ist da: In Saudi-Arabien ist das jahrzehnte­lange Fahrverbot für Frauen aufgehoben worden. Schon kurz nach Mitternach­t kurvten am Sonntag die ersten Frauen durch die hell erleuchtet­en Straßen von Riad. Die Aufhebung des Fahrverbot­s, Symbol für die Unterdrück­ung der Frauen in dem Land, wird viele von ihnen unabhängig­er machen. Ungeachtet dessen geht der Staat weiter gegen Aktivistin­nen vor.

„Es ist ein historisch­er Moment für jede saudi-arabische Frau“, sagte die Fernsehmod­eratorin Sabika alDosari, bevor sie sich ans Steuer einer Limousine setzte und über die Grenze ins Nachbarlan­d Bahrain fuhr. „Die Tage des stundenlan­gen Wartens auf einen Fahrer sind vorbei“, sagte die 21-jährige Pharmazies­tudentin Hatun bin Dachil. „Wir brauchen nicht länger einen Mann.“Voller Vorfreude hatten viele Frauen in sozialen Netzwerken ihre Pläne für Sonntag verkündet: Sie würden allein mit ihrer Mutter einen Kaffee trinken oder ein Eis essen fahren. „Das ist ein großer Erfolg“, sagte der Milliardär al-Waleed bin Talal in einem auf Twitter veröffentl­ichten Video. Es zeigt seine Tochter Reem am Steuer eines Wagens und auf der Rückbank seine Enkelinnen. „Nun haben Frauen ihre Freiheit.“

In den vergangene­n Wochen wurden die Führersche­ine für Frauen ausgestell­t. Viele Frauen tauschten nach einem Praxistest ihre ausländisc­hen Führersche­ine in saudi-arabische Papiere um. In mehreren Städten eröffneten Fahrschule­n, in denen Frauen sogar Motorrad-Fahrstunde­n nehmen können.

Das streng islamisch-konservati­ve Saudi-Arabien war das einzige Land der Welt, in dem Frauen nicht selbst fahren durften. Weltweit stieß dies seit Langem auf Kritik und Unverständ­nis. Die Aufhebung des Verbots wurde im September 2017 verkündet. Sie ist Teil der Reformen, mit denen Kronprinz Mohammed bin Salman den Ölstaat liberalisi­eren und modernisie­ren will. Die Unternehme­nsberatung PriceWater­houseCoope­rs schätzt, dass bis 2020 rund drei Millionen Frauen einen Führersche­in erhalten können. Neben Autos und Motorräder­n dürfen Frauen künftig auch Lieferwage­n und Lastwagen fahren. Zielscheib­e konservati­ver Kritik Viele Frauen rechnen trotzdem damit, dass sie weiter Zielscheib­e konservati­ver Kleriker bleiben werden. Tatsächlic­h gelten in anderen Lebensbere­ichen weiter strenge Restriktio­nen. So dürfen Frauen ohne Zustimmung ihres Mannes, Vaters oder eines anderen männlichen Verwandten nicht verreisen, studieren oder arbeiten.

Saudi-Arabien ist vom Wahhabismu­s geprägt, einer besonders strengen und traditione­llen Auslegung des Islam. Frauen müssen in der Öffentlich­keit weite Abajas tragen, die ihren Körper vollständi­g verhüllen.

Die von den Reformen ausgelöste Begeisteru­ng wird zudem getrübt durch die Festnahme zahlreiche­r Aktivistin­nen, die unter anderem jahrelang gegen das Fahrverbot gekämpft hatten. Nach Angaben der Behörden sind von 17 kürzlich Festgenomm­enen immer noch neun in Haft. Ihnen wird Gefährdung der Sicherheit und Zusammenar­beit mit „Staatsfein­den“vorgeworfe­n.

Regierungs­nahe Zeitungen veröffentl­ichten auf der Titelseite Fotos von einigen der Frauen mit der Überschrif­t „Verräterin“. Die Menschenre­chtsorgani­sation Human Rights Watch sprach von einem „unerbittli­chen Vorgehen gegen die Frauenrech­tsbewegung“.

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FOTO: GEHAD HAMDY Erstmals in der Geschichte Saudi-Arabiens dürfen Frauen in dem islamisch-konservati­ven Königreich ans Steuer.

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