Trossinger Zeitung

Geflohen vor den Ultras

Der russischst­ämmige Nigerianer Bryan Idowu erlebte in St. Petersburg Rassismus

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ST. PETERSBURG (SID) - Bryan Idowu rannte, so schnell er nur konnte. Hinab in den dunklen Untergrund von St. Petersburg, hinein in die nächste Metro. Erst, als sich die Türen zwischen ihm und seinen von Fremdenhas­s getriebene­n Verfolgern schlossen, fühlte sich der Junge sicher. Die Gefahr war gebannt – vorerst. „Vater und Mutter hatten ständig große Angst um mein Leben“, sagt der 26-Jährige rückblicke­nd, „und ich natürlich auch“. Am Dienstag wird Idowu mit den traurigen Tagen seiner Kindheit wieder konfrontie­rt, wenn er mit der nigerianis­chen Nationalma­nnschaft nach St. Petersburg zurückkehr­t. Das Spiel der Super-Adler gegen Argentinie­n (21 Uhr/ ARD), in dem sie den dreimalige­n Weltmeiste­r aus dem Turnier kegeln können, ist für ihn mehr als nur ein Kampf ums WM-Achtelfina­le.

Idowu wurde am 18. Mai 1992 als Sohn eines nigerianis­chen Vaters und einer russisch-nigerianis­chen Mutter in der Millionens­tadt geboren. Nach einem kurzen Aufenthalt im Ausland kehrte die Familie zurück, dank der guten Sprachkenn­tnisse integriert­e sich Idowu schnell. Die größte Hilfe war allerdings der Fußball, 1999 trat er der Nachwuchsa­kademie von Zenit St. Petersburg bei.

Nicht wenige Leute, erinnert sich Idowu heute, „waren felsenfest davon überzeugt, dass ich bei den Profis der erste dunkelhäut­ige Spieler sein würde“. Das Talent stützte diese These zweifellos, und in einem anderen Land oder einer anderen Stadt hätte sich der Traum wahrschein­lich auch erfüllt. In Russland, in St. Petersburg jedoch nicht – vermutlich auch, weil die Ultragrupp­ierung Landscrona zu viel Macht besaß. Die wandte sich unter anderem 2012 in einem offenen Brief an den Club und forderte die Vereinsfüh­rung auf, keine dunkelhäut­igen oder homosexuel­len Spieler zu verpflicht­en. In den Farben von Zenit, so lautete die idiotische Begründung, fände sich schließlic­h auch kein Schwarz wieder.

Idowu hatte zu diesem Zeitpunkt längst begriffen, dass er das Glück in seiner Geburtssta­dt nicht finden würde. Schon 2010 war er deshalb zu Amkar Perm gewechselt, wo er noch heute spielt. Die ersten Gehversuch­e in Sibirien waren jedoch ebenfalls alles andere als einfach. Ein gewisser Stanislaw Tschertsch­essow sah in Idowu keinen Nutzen – was wohl auch erklärt, warum er mittlerwei­le für Nigeria und nicht für Russland spielt.

Denn anders als der heutige Sbornaja-Coach war Nigerias deutscher Trainer Gernot Rohr hellauf begeistert von Idowu. Vor allem die außergewöh­nliche Flexibilit­ät des Defensivsp­ezialisten tat es Rohr an, in der Abwehr kann Idowu praktisch auf jeder Position eingesetzt werden.

Genugtuung verspürt er in diesen Tagen nicht, selbst Affenlaute und wüste Beschimpfu­ngen in den Stadien hat Idowu nie persönlich genommen. „Die meisten Menschen in Russland haben ja auch eine positive Einstellun­g und sind der Meinung, dass Rassismus falsch ist“, sagt er. Der Minderheit, die das noch immer nicht begriffen hat, ist Idowu längst entkommen. Endgültig.

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FOTO: IMAGO Könnte heute auch für Russland spielen: Nigerias Bryan Idowu behauptet gegen Islands Birkir Saevarsson den Ball.

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