Trossinger Zeitung

Zumutungen des Rechtsstaa­ts

- Von Lothar Häring

Eigentlich, so dachte man sich zu Beginn, könne es ein kurzer Prozess werden: Der Täter stand fest, ebenso die Tat, das Tatgescheh­en und das Motiv.

Dann aber wurde es ein sehr langer Prozess, und ständige Beobachter fragten sich manchmal: Muss man jetzt wirklich auch noch das letzte Steinchen umdrehen? Muss man von jedem Anwohner wissen, dass er eigentlich nichts weiß und dass sie alle dachten, bei den Schüssen handle es sich um die ortsüblich­en Freudenkna­ller bei Geburtstag­sfeiern.

Von Menschen auf der Straße hörte man Fragen wie: Warum sind die Opfer nur Randfigure­n, während man das Seelenlebe­n des Täters für viel Geld nach allen Regeln der Kunst durchleuch­tet?

Man musste nur den Mann hören, dessen Frau der Täter brutal erschossen hat und der jetzt allein mit seinen beiden Kleinkinde­rn dasteht, um zu zweifeln, ob die Verhältnis­se noch stimmen: Für den Täter gebe man zehntausen­de von Euro aus, klagte er bitter, aber die Opfer überlasse man ihrem Schicksal.

Doch je länger dieser Prozess dauerte und je mehr man sich Gedanken machte über diesen komplizier­ten Fall im Grenzberei­ch, umso mehr wuchs die Überzeugun­g: Ja, die akribische Aufklärung des Gerichtes ist richtig und nötig.

Dieser Prozess war ein Musterbeis­piel dafür, wie der Rechtsstaa­t funktionie­rt. Aber er war auch ein Musterbeis­piel für die Zumutungen, ohne die die es diesen Rechtsstaa­t nicht gäbe.

Es stand viel auf dem Spiel: das Vertrauen in die Ermittler und die Justiz, ein angemessen­es, rechtlich gut begründete­s Urteil für einen Dreifachmo­rd, die Vermeidung von Revisionsg­ründen und nicht zuletzt der sensible Umgang mit den Opfern.

Das ist nicht wenig. Aber diesem Anspruch wurde – in sehr emotional geladener und oft genug tragischer Atmosphäre - das Gericht mit souveräner Verhandlun­gsführung ebenso gerecht wie die Staatsanwa­ltschaft und die Polizei mit profession­eller Ermittlung sowie die Nebenkläge­r und die Verteidige­r, jeweils mit der gebotenen Zurückhalt­ung.

Eine große Frage bleibt: Hätte die Polizei diesen Dreifachmo­rd verhindern können, wenn sie schon im Vorfeld so profession­ell gehandelt hätte wie nach der Tat? Zweifel sind angebracht, weil es Indizien für ein Ja zuhauf gibt. Deshalb müssen diese Fragen ebenso akribisch aufgearbei­tet werden wie in den vergangene­n Wochen der Dreifachmo­rd vor Gericht. Sonst nimmt der Rechtsstaa­t Schaden. Und es fängt schon mit der Frage an, ob es eine gute Idee ist, dass die Staatsanwa­ltschaft Rottweil diese Ermittlung­en übernimmt – gegen Beamte, mit denen sie tagtäglich eng zusammenar­beitet.

Die Suche nach Schuldigen und Gerechtigk­eit darf jetzt, nach dem Urteil, nicht enden. redaktion.stadt. tuttlingen@schwaebisc­he.de

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