Zumutungen des Rechtsstaats
Eigentlich, so dachte man sich zu Beginn, könne es ein kurzer Prozess werden: Der Täter stand fest, ebenso die Tat, das Tatgeschehen und das Motiv.
Dann aber wurde es ein sehr langer Prozess, und ständige Beobachter fragten sich manchmal: Muss man jetzt wirklich auch noch das letzte Steinchen umdrehen? Muss man von jedem Anwohner wissen, dass er eigentlich nichts weiß und dass sie alle dachten, bei den Schüssen handle es sich um die ortsüblichen Freudenknaller bei Geburtstagsfeiern.
Von Menschen auf der Straße hörte man Fragen wie: Warum sind die Opfer nur Randfiguren, während man das Seelenleben des Täters für viel Geld nach allen Regeln der Kunst durchleuchtet?
Man musste nur den Mann hören, dessen Frau der Täter brutal erschossen hat und der jetzt allein mit seinen beiden Kleinkindern dasteht, um zu zweifeln, ob die Verhältnisse noch stimmen: Für den Täter gebe man zehntausende von Euro aus, klagte er bitter, aber die Opfer überlasse man ihrem Schicksal.
Doch je länger dieser Prozess dauerte und je mehr man sich Gedanken machte über diesen komplizierten Fall im Grenzbereich, umso mehr wuchs die Überzeugung: Ja, die akribische Aufklärung des Gerichtes ist richtig und nötig.
Dieser Prozess war ein Musterbeispiel dafür, wie der Rechtsstaat funktioniert. Aber er war auch ein Musterbeispiel für die Zumutungen, ohne die die es diesen Rechtsstaat nicht gäbe.
Es stand viel auf dem Spiel: das Vertrauen in die Ermittler und die Justiz, ein angemessenes, rechtlich gut begründetes Urteil für einen Dreifachmord, die Vermeidung von Revisionsgründen und nicht zuletzt der sensible Umgang mit den Opfern.
Das ist nicht wenig. Aber diesem Anspruch wurde – in sehr emotional geladener und oft genug tragischer Atmosphäre - das Gericht mit souveräner Verhandlungsführung ebenso gerecht wie die Staatsanwaltschaft und die Polizei mit professioneller Ermittlung sowie die Nebenkläger und die Verteidiger, jeweils mit der gebotenen Zurückhaltung.
Eine große Frage bleibt: Hätte die Polizei diesen Dreifachmord verhindern können, wenn sie schon im Vorfeld so professionell gehandelt hätte wie nach der Tat? Zweifel sind angebracht, weil es Indizien für ein Ja zuhauf gibt. Deshalb müssen diese Fragen ebenso akribisch aufgearbeitet werden wie in den vergangenen Wochen der Dreifachmord vor Gericht. Sonst nimmt der Rechtsstaat Schaden. Und es fängt schon mit der Frage an, ob es eine gute Idee ist, dass die Staatsanwaltschaft Rottweil diese Ermittlungen übernimmt – gegen Beamte, mit denen sie tagtäglich eng zusammenarbeitet.
Die Suche nach Schuldigen und Gerechtigkeit darf jetzt, nach dem Urteil, nicht enden. redaktion.stadt. tuttlingen@schwaebische.de