Scharfe Kritik am Haushalt
Opposition rügt planloses Geldausgeben der Koalition
BERLIN (dpa/sal) - Erneut ohne neue Schulden und mit Gesamtausgaben von 343,6 Milliarden Euro steht der erste Haushalt der neuen Regierung. Dennoch kritisiert die Opposition planloses Geldausgeben der Großen Koalition und die Kosten des umstrittenen Baukindergeldes. Es wird mit Aufwendungen von 2,7 Milliarden bis 2021 und von insgesamt zehn Milliarden Euro gerechnet. Martin Gerster, SPD-Haushaltsexperte aus Biberach, verteidigte die Pläne. „Ich denke, dass die Ausgaben nicht so exorbitant hoch werden, dass man sie nicht verantworten kann“, sagte er der „Schwäbischen Zeitung“.
Gesine Lötzsch (Linke) übte scharfe Kritik: „Ich habe selten so chaotische Haushaltsberatungen erlebt.“Mit Blick auf das Baukindergeld sagte sie: „Was man dafür an Kitas und Kindergärten bauen könnte.“Der AfD-Politiker Volker Münz sagte: „Die Regierung plant Ausgaben, als ob es kein Morgen gäbe.“
ISTANBUL - Die 32. Kammer des Istanbuler Schwurgerichts hat wieder viel zu tun an diesem Donnerstag. Anwälte, Angeklagte und Angehörige warten auf dem Flur darauf, dass der Gerichtsdiener sie aufruft. Gut sechs Verfahren sind auf dem Terminzettel genannt, der vor dem Gerichtssaal im vierten Stock des Justizpalastes im Istanbuler Stadtteil Caglayan hängt. In allen Prozessen geht es um mutmaßliche Terrorverbrechen. Angeklagter im Fall Nummer Vier ist Deniz Yücel.
Seit über vier Monaten ist Yücel nicht mehr in der Türkei, und er ist auch nicht zum Auftakt seines Prozesses nach Caglayan gekommen. Nach einem Jahr Untersuchungshaft, während der er von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan als „Agent“bezeichnet wurde, war der ehemalige Türkeikorrespondent der „Welt“im Februar plötzlich auf freien Fuß gesetzt und nach Hause geschickt worden. Doch die türkische Justiz will nicht von ihm lassen.
Im Gerichtssaal verschwinden die drei Richter fast hinter ihren großen Computerbildschirmen. „Gerechtigkeit ist die Grundlage des Staates“, steht hinter ihnen auf der Stirnwand unter einem Bild von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk. Auf einem Tisch vor der Richterbank türmen sich Akten. Dünne Anklageschrift „Sehr geehrter Vorsitzender“, beginnt Yücels Anwalt Veysel Ok, doch damit sind die Nettigkeiten auch schon beendet. In einer 20-minütigen Rede nimmt er die dünne Anklageschrift gegen Yücel auseinander, die keinen einzigen stichhaltigen Beweis enthalte. Im Grunde wolle die Anklage den Reporter wegen dessen journalistischer Arbeit ins Gefängnis bringen. Ansonsten habe die Staatsanwaltschaft nichts in der Hand, und das sehe man der dreiseitigen Anklageschrift auch an: Eine halbe Seite davon gehe schon mit Angaben zur Person drauf. „Diese Anklageschrift ist kein juristisches Dokument“, sagt Ok und fordert sofortigen Freispruch für seinen Mandanten.
Die Anklage wirft Yücel wegen seiner „Welt“-Berichte die Unterstützung für Terrororganisationen und Volksverhetzung vor. Sie fordert bis zu 18 Jahre Haft. Seltsamerweise sei es bei der Festnahme des Journalisten Anfang 2017 noch um gehackte E-Mails von Berat Albayrak gegangen, dem türkischen Energieminister und Erdogan-Schwiegersohn, sagt Ok. In der Anklageschrift sei davon aber nicht mehr die Rede. Er verlangt die Entfernung von Yücels HandyKontaktliste aus den Gerichtsakten, denn damit würden Politiker, Menschenrechtler und Journalisten in der Türkei zu Terrorhelfern erklärt und gefährdet.
Großen Eindruck auf den Vorsitzenden Richter Ömer Günaydin macht der Anwalt damit nicht. Günaydin lehnt Oks Antrag auf Freispruch aufgrund der „Schwere der Vorwürfe“ab, die Kontaktliste bleibt in den Akten. Außerdem würde das Gericht den Angeklagten gerne vernehmen, per Video aus Deutschland oder schriftlich per Aussage von Yücel vor einem deutschen Gericht. Erst am 20. Dezember soll das Verfahren weitergehen. Mindestens bis dahin bleibt Yücel in den Augen der türkischen Justiz ein mutmaßlicher Terrorhelfer und Volksverhetzer. Das Gericht habe eine Chance vertan, der Willkür im Umgang mit Medienvertretern ein Ende zu setzen, sagt Erol Önderoglu, der Türkei-Vertreter der Organisation Reporter ohne Grenzen, der Yücels Prozess beobachtet hat.
Nicht nur Journalisten wie Yücel stehen auch weiterhin im Visier der Justiz. Mit Haftbefehlen gegen mehr als hundert Soldaten und andere mutmaßliche Anhänger des Predigers Fethullah Gülen hatte die Justiz schon in den Tagen vor Beginn des Yücel-Prozesses gezeigt, dass es nach den Wahlen vom vergangenen Sonntag keine innenpolitische Entspannung gibt. In der Nacht vor Yücels Prozess durchsuchte die Polizei in Istanbul die Büros einer regierungskritischen Internetseite.