Wenn Bauernkinder gemobbt werden
Der Nachwuchs von Landwirten hat es an Schulen schwer – Auch Lehrer zählen zu den Tätern
RAVENSBURG - Sylvia Meisner (Name geändert), Kind einer Bauernfamilie, wurde schon in der Tagesstätte von anderen Kindern ausgelacht und gehänselt, zum Außenseiter gestempelt. In der Grundschule setzte sich das Martyrium fort: „Du stinkst nach Schweinescheiße!“Am Bus wurde sie weggeschubst: „Du darfst nicht mitfahren.“Die Attacken auf das kleine Mädchen blieben nicht ohne Folgen, es bekam fast täglich Bauchschmerzen, musste sich übergeben, die Noten waren schlecht. Der Arzt warnte vor Bulimie. „Wir haben es nur durch einen Schulwechsel geschafft“, berichtet die Mutter. „Ich muss heute noch weinen, wenn ich daran zurückdenke.“
Sylvia Meisners Leid liegt Jahre zurück, andere Kinder von Landwirten werden heute gemobbt. Und es drängt sich der Eindruck auf, dass die Zahl der Mobbingopfer unter Bauernkindern zunimmt (siehe auch „Schwäbische Zeitung“vom 4. September 2017, Seite 3, „Bauernopfer“). Um eine bessere Datenlage zu erhalten, hat der Landfrauenverband Württemberg-Hohenzollern unter Präsidentin Juliane Vees mehr als 300 Landwirte befragt. Gut 50 Prozent der Teilnehmer gab an, dass sie als Bauernkind von Mobbing betroffen waren. Gar 75 Prozent berichteten, sie würden Kinder kennen, die aufgrund ihres landwirtschaftlichen Hintergrundes gemobbt werden oder wurden. „Wir wissen, dass die Umfrage nicht repräsentativ ist“, räumt Juliane Vees ein, „ der Trend ist jedoch eindeutig.“Und hinsichtlich der Täter ebenso erschreckend wie überraschend.
So gaben mehr als 90 Prozent der Befragten als Täter die Mitschüler an, was kaum verwundert. Jedoch rund ein Drittel der Mobbingopfer benannte Lehrer und Erzieher als Täter. Kann das sein?
„Konfrontiert man Lehrer mit den Ergebnissen, reagieren diese meist verblüfft und mit Unverständnis“, berichtet Vees. Die Auswertung sei jedoch eindeutig, vor allem im Zusammenhang mit den Kommentaren der Mobbingopfer: „Unser Landschullehrer wiederholte oft, dass er sich sein Leben anderes vorgestellt hat, als dumme Bauernkindern zu unterrichten.“Über ein anderes Opfer: „Bei meiner Tochter fing es in der 6. Klasse an. Ein Lehrer mobbte sie und lachte sie aus.“Später: „Zusammenbruch, Depression, Therapie, zwei Jahre Pause.“Und: „Am schlimmsten ist es, wenn Lehrer nichts gegen Mobbing unternehmen, sondern selber mitmachen und die Schüler animieren, weiterzumachen. Das habe ich leider selber erleben müssen – und leide bis heute darunter.“ Ideologie statt Pädagogik Ein weiterer Teilnehmer der Umfrage fordert: „Lehrer sollten ihre eigenen ideologischen Vorstellungen und Äußerungen über eine ,gute’ Landwirtschaft hinterfragen. Von Schülern wird ein breites Denken und korrektes Recherchieren ja auch gefordert.“Genau hier sieht Juliane Vees das Problem. „Viele Lehrer engagieren sich für die Umwelt, für Nichtregierungsorganisationen, für ein bestimmtes Weltbild. Das ist o.k. Aber der Unterricht darf nicht ideologisch gefärbt sein. Lehrer dürfen nicht Neutralität vermissen lassen und konventionelle Landwirtschaft gegen Bio ausspielen.“
Das geschehe aber immer wieder. Von ihrem eigenen Sohn weiß sie von einem Text der Umweltschutzorganisation Greenpeace, den die Schüler im Englischunterricht übersetzen mussten – und der unkommentiert blieb. Von einer anderen Schule in Stuttgart weiß sie, dass dort Tierschutzaktivisten eine komplette Unterrichtseinheit gestalten durften und dabei den Kindern grausame Bilder aus fehlerhafter Tierhaltung zeigten. Und eine große Tierrechtsorganisation bietet Lehrern kostenlos Unterrichtsmaterial an für zehn komplette Schulstunden, was auf nicht weniger als Propaganda hinausläuft. Sogar manch offizielle Schulbücher würden den Kindern ein Schwarz-Weiß-Bild der Landwirtschaft vermitteln.
„Natürlich gibt es schwarze Schafe und die müssen auch benannt werden. Aber man kann nicht alle Landwirte über einen Kamm scheren“, sagt Vees, die sowohl bei Lehrern wie bei Schülern eine bessere Aufklärung fordert, wo unsere Nahrung herkommt und wie sie entsteht. Deshalb und wegen der Mobb ing problematik haben die Land frauen sowie Vertreter des Landes bauernverband es Ende Juli in Stuttgart einen Termin mit Kultusminister in Susanne Eisenmann. Die blieb in einer Stellungnahme auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“äußerst vage: Mobbing, so die Ministerin, dürfe „an unseren Schulen keinen Platz haben, unabhängig davon, gegen wen es sich richtet. Kinder von Landwirten haben, wie alle Mitglieder einer jeden Schul gemeinschaft, das Recht au feinen respektvollen Umgang und Wertschätzung“. Darüber hinaus wies die Ministerin aufPrävent ions programme gegen Mob bingh in und die Bedeutung der Landwirtschaft für Land schafts pflege und Lebensmittel produktion, die„Bil dungs pläne liefern hier vielfältige Anknüpfungs punkte “.
Selbstkritisch äußern sich dagegen die Landfrauen selber: „Wir haben das Problem sehr spät erkannt“, ge st eh tVe es, deren Verband gemeinsam mit anderen Landwirt schafts institutionen, Anlaufstellen für Mobbingopfer sowie Info veranstaltungen für Pädagogen ins Leben rufen will. Allerdings in Abgrenzung zu den oben genannten Aktivisten. „Ich hab anonyme Post bekommen und in deren Pressemitteilungen wurden wir beschuldigt, Kinder zu instrumentalisieren, um von den eigentlichen Problemen abzulenken“, erzählt Vees. „Dabei sollten diese Leute sich fragen, wie viel Schuld sie selber am Mobbing an Bauernkindern tragen.“