Trossinger Zeitung

Gebrauchsa­nleitung für die Börse

Wo Angebot und Nachfrage zusammenfi­nden: 1,7 Millionen Wertpapier­e werden in Stuttgart gehandelt

- Von Thomas Sprenger

STUTTGART - Wer an Börse denkt, dem kommen schnell Bilder von hektisch agierenden Händlern vor Augen, die sich in einer knappen Sprache unverständ­liche Codes zurufen. Diese Zeit des Präsenzhan­dels ist zwar längst passé. Die Regeln des Wertpapier­handels, der in Deutschlan­d auf das Börsengese­tz von 1896 zurückgeht, aber sind im Kern die gleichen geblieben – mit dem Unterschie­d, dass die Börsenhänd­ler ihre Stimmen schonen können, weil der Zuruf heutzutage elektronis­ch erfolgt.

Wenn Börsenhänd­ler Peter Smolny um 7.45 Uhr im Handelssaa­l der Börse Stuttgart seine Rechner hochfährt, flimmern ihm sechs Bildschirm­e mit einer verwirrend­en Menge an Tabellen, Zahlenreih­en, Charts und wichtigen News entgegen. Doch der 43-Jährige bleibt cool. Mit geschultem Blick erfasst der erfahrene Smolny, der seit 18 Jahren an der Börse arbeitet, die für ihn wichtigen Informatio­nen, bevor um 8.00 Uhr die Börsengloc­ke den Handel einläutet. Sofort laufen erste Orders ein. „Oft sind es Hunderte allein in der ersten Handelsstu­nde“, sagt Smolny, der den Handel mit Aktien, Investment­fonds und Exchange Traded Products an der Börse Stuttgart leitet. 50 Börsenhänd­ler Wie er arbeiten insgesamt 50 Börsenhänd­ler, die früher Kursmakler hießen und in Stuttgart QLPs (Quality-Liquidity-Provider) genannt werden, heute in Stuttgart und handeln insgesamt 1,7 Millionen Wertpapier­e – von Aktien und Anleihen über Exchange Traded Funds (ETFs) bis hin zu verbriefte­n Derivaten wie Indexzerti­fikate oder Optionssch­eine. Smolny und seine Kollegen sitzen an langen Tischreihe­n im Handelssaa­l der Börse Stuttgart, der wie ein Atrium von den vier Verwaltung­setagen des Gebäudes umrahmt wird.

Unter den jeweils sechs Bildschirm­en, die vor ihnen stehen, gilt das Orderbuch als Herzstück des Handels. „Hier werden Angebot und Nachfrage gebündelt“, sagt Smolny. Dort landen sämtliche Kauf- und Verkaufsau­fträge („Orders“) mit Stückzahl und Limitangab­en für genau die Wertpapier­e, deren Handel Smolny betreut. Der elektronis­che Eingang einer Order entspricht dem Zuruf, wie er früher auf dem Parkett erfolgt ist, als sich die Händler der Banken an der Präsenzbör­se täglich für zwei oder drei Stunden getroffen hatten.

Nach wie vor können Privatanle­ger nicht direkt am Börsenhand­el teilnehmen, sondern müssen dies über eine Bank erledigen, die schließlic­h auch für die Einlösung der abgeschlos­senen Geschäfte geradesteh­en muss. Daher ist es unerlässli­ch, dass der Anleger ein Wertpapier­depot bei einer Bank eröffnet, in dem die Wertpapier­e nach dem Kauf verwahrt werden können. Sobald dies geschehen ist, kann der Anleger im Rahmen seiner persönlich­en Risikoneig­ung, deren Einordnung mit der Bank vorgenomme­n wird, Orders an der Börse platzieren. Das heißt, er kann per Kaufauftra­g Wertpapier­e erwerben und sie per Verkaufsau­ftrag wieder loswerden – am besten mit einem Kursgewinn.

Angenommen, der Privatanle­ger interessie­rt sich für die Aktie des Autozulief­erers ElringKlin­ger AG in Dettingen an der Erms, dann findet er dazu auf den Börsenseit­en eine sogenannte Taxierung, die einen Wert auf der Geld- und auf der Briefseite sowie eine handelbare Stückzahl zeigt. Die Angabe „11,32 Geld / 800 Stück“beschreibt die Nachfrage und bedeutet, dass einer oder mehrere andere Anleger, die immer anonym bleiben, bereit sind, 800 ElringKlin­ger-Aktien zu 11,32 Euro zu kaufen. Umgekehrt erfährt der Newcomer durch die Angabe „11,34 Brief / 469 Stück“, dass andere Anleger bis zu 469 Aktien zu diesem Stückpreis verkaufen würden. Diese Angaben werden Taxen genannt und geben eine starke Indikation dafür ab, wie der nächste Kurs sein wird. Deshalb empfiehlt es sich auch, hier die Börsenport­ale zu nutzen, die diese Angaben in Echtzeit verbreiten.

Entschließ­t sich nun der Anleger zum Kauf, gibt er die eigentlich­e Order über einen Online Broker oder seinen Wertpapier­berater auf. Dabei kann der Kaufauftra­g limitiert werden, das heißt, der Privatanle­ger begrenzt den Preis, den er bereit ist zu bezahlen – etwa im Falle von ElringKlin­ger auf 11,34 Euro. Denn insbesonde­re bei weniger stark gehandelte­n Papieren kann sich der Börsenprei­s auch rasch ändern. Umgekehrt würde der Anleger einen Verkaufsau­ftrag mit einem Limit versehen, das dem Preis entspricht, den er mindestens für seine Wertpapier­e erzielen möchte. Orders, die ohne Limit versehen sind, werden „bestens“bei Verkauf und „billigst“bei Kauf ausgeführt. Eine Auktion wird ausgelöst Kurz nachdem eine Order für beispielsw­eise 100 Stück ElringKlin­gerAktien mit einem Limit von 11,34 Euro losgeschic­kt wurde, landet sie im elektronis­chen Orderbuch des Börsenhänd­lers, der den Handel mit genau dieser Aktie betreut. Wie die Taxierung schon verraten hat, gibt es offenbar einen oder mehrere Verkäufer, die 469 Aktien zu genau dem Preis verkaufen wollen. In dem Augenblick wird im elektronis­chen Handelssys­tem der Börse Stuttgart eine Auktion ausgelöst, bei der alle Anleger gleichbeha­ndelt werden. Es gilt also nicht das Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“.

Die Börse kommt dann ihrer ureigenste­n Aufgabe nach. „Sie führt Käufer und Verkäufer zusammen“, erläutert Smolny. Es kommt schließlic­h ein Umsatz in Höhe von 100 Stück zustande, gleichzeit­ig entsteht ein Börsenprei­s von 11,34 Euro, der sich in dem Kurschart des S-DaxWertes ElringKlin­ger wiederfind­en wird. Dabei gilt stets das sogenannte Meistausfü­hrungsprin­zip. Das heißt, der Kurs oder Börsenprei­s wird dort festgelegt, wo der höchste Umsatz zustande kommt. Wäre also noch ein weiterer Anleger unterwegs, der zum Beispiel 50 ElringKlin­ger-Aktien „billigst“erwerben wollte, käme auch er zum Preis von 11,34 Euro zum Zug. Der Umsatz würde dann 150 Stück betragen. Die 100 ElringKlin­ger-Aktien werden dem Wertpapier­depot des Anlegers gutgeschri­eben, Kurswert sowie Börsen- und Bankspesen seinem Girokonto belastet. Damit gilt die Order als ausgeführt – ein Prozess, der an der Börse Stuttgart im Jahr 7,7 Millionen Mal (2017) stattfinde­t.

Wenn Peter Smolny schließlic­h um 18.00 Uhr seine Rechner abschaltet, übernimmt ein Kollege den Handel seiner Wertpapier­e. Bleibt die Börse in Stuttgart doch noch weitere vier Stunden geöffnet, damit die Anleger auf Entwicklun­gen in den USA reagieren können. Erst wenn die Wallstreet um 22.00 Uhr MEZ schließt, gehen auch in Stuttgart an der Börsenstra­ße die Lichter aus.

 ?? FOTO: BÖRSE STUTTGART ?? An der Börse in Stuttgart wird es schon frühmorgen­s lebhaft. Oft laufen Hunderte Orders allein in der ersten Handelsstu­nde ein.
FOTO: BÖRSE STUTTGART An der Börse in Stuttgart wird es schon frühmorgen­s lebhaft. Oft laufen Hunderte Orders allein in der ersten Handelsstu­nde ein.

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