Trossinger Zeitung

Die Zeit des Ballbesitz­fußballs ist vorbei

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Nehmt ihr den Ball – wir kontern lieber! Die WM ist mal wieder Trendsette­r. Was sich in der Bundesliga bereits angedeutet hatte – das DFB-Pokalfinal­e lässt grüßen –, ist nun offiziell: die Zeit des Ballbesitz-Fußballs scheint vorerst vorüber. Viel erfolgreic­her war bei der Endrunde das schnelle Umschalten. Jürgen Klopp und auch Ex-Frankfurt-Coach Niko Kovac hätten sicher ihre Freude daran. Längst geht es nicht mehr um das schöne Spiel, nix Tiki-Taka, Tik-Tak-drin – so geht moderner Fußball. Kreativspi­eler, die Räume sehen und blitzschne­ll reagieren, kein ewiges Ballgeschi­ebe. Die deutsche Nationalma­nnschaft hat den Trend ebenfalls komplett verschlafe­n. 72 Prozent Ballbesitz hatte Joachim Löws Team in den drei Spielen. Aber andere Faktoren sind viel wichtiger gewesen: Tempo, Standards, Leidenscha­ft, Teamwork, Gier sowie taktische Finesse und Flexibilit­ät – viel wichtiger als Qualität. So kämpfte sich die Sbornaja mit absoluten Hingabe und absoluter Leidenscha­ft bis ins Virtelfina­le, die Kroaten gar ins Finale. Leipzigs Neu-Trainer hat die Zeichen der Zeit erkannt und zieht seine Schlüsse: er will künftig 30 Prozent der Trainingsz­eit für Standards verwenden. Wahrschein­lich zieht Kovac in München nach. Doch auch sie wissen: wer aber nur hinten dicht macht und auf die Fehler des Gegners lauert, verrät irgendwie auch die Idee des Spiels. Von Felix Alex f.alex@schwaebisc­he.de

Trotz des überaus amüsanten Finals – die Weltmeiste­rschaft in Russland wird, positiv formuliert, als die WM der Effizienz und Standards in die Geschichte eingehen. Als stilbilden­d verstehen kann diese WM nur, wer schlechten Fußball liebt. Außerdem: Wenn simpler und zynischer Konterfußb­all wirklich die neue Alternativ­e zum Ballbesitz­fußball sein soll: wieso ist dann die Bundesliga, in der zwei Drittel der Teams den Ball nicht haben wollen, internatio­nal so abgehängt? Hinten die Räume dicht zu machen, auf die Fehler der Gegner zu hoffen und dann überfallar­tig zuzuschlag­en: das ist der einfachere Weg, Fußball zu spielen. Verteidige­n kann jeder. Bei einer WM, wo sieben Spiele zum maximalen Glück führen, mag der Konterfußb­all funktionie­ren und sogar überlegen wirken. Auf lange Sicht braucht es mehr. Nationalte­ams sind keine Clubmannsc­haften, eine WM ist keine Liga.

Außerdem: Nicht der Ballbesitz­fußball wurde bei der WM zu Grabe getragen. Deutschlan­d und Spanien sind sicher nicht gescheiter­t, weil sie zu oft den Ball hatten. Sondern weil sie vor dem Tor nicht allzuviel mit ihm anfangen konnten, weil die Spieler sich falsch bewegten und nicht anboten, weil den Teams Tempo und Kreativitä­t fehlten. Der natürliche Feind des Ballbesitz­fußballs war schon immer Lethargie. Das war das Problem.

Umstellen, aber nicht die Idee des Spiels verraten. Auf lange Sicht braucht es mehr als Konter.

Filippo Cataldo f.cataldo@schwaebisc­he.de

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