EU setzt neuer Gentechnik Schranken
Produkte müssen im Supermarkt gekennzeichnet werden – Urteil löst Koalitionsstreit aus
LUXEMBURG/BERLIN - Gentechnik bleibt Gentechnik: Der Europäische Gerichtshof hat am Mittwoch entschieden, dass die schärferen Regeln auch für die neuen Züchtungsverfahren gelten. Betroffene Lebensmittel müssen ab sofort im Supermarkt gekennzeichnet werden. Sie fallen unter die entsprechende EU-Richtlinie aus dem Jahr 2001 für Gentechnisch Veränderte Organismen (GVOs). Mit ihrem Urteil haben die EU-Richter ein geteiltes Echo ausgelöst. Grüne, Linke und Umweltschützer begrüßten die Entscheidung, während FDP und Bauernverband Kritik übten. Auch in der Regierungskoalition hat das Urteil einen Zwist ausgelöst – zwischen dem SPD-geführten Umweltressort und dem CDU-geführten Landwirtschaftsministerium.
Dies sei „eine gute Nachricht“für die Verbraucher, sagte ein Sprecher von Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) am Mittwoch. „Es darf keine Gentechnik durch die Hintertür geben.“Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) dagegen forderte, dass das Urteil nun „sorgfältig ausgewertet“werde. „Ich sehe deutliche Herausforderungen: Wir wollen einerseits weniger Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Andererseits gleiche Ernteerträge.“
Bei der Entscheidung der Richter ging es um biologische Details: Bei der neuen Methode, der so genannten Mutagenese, werden keine fremden Gene in Pflanzen eingebaut, sondern zielgerichtete Veränderungen im eigenen Erbgut vorgenommen. Französische Verbände hatten geklagt, weil sie fürchteten, dass solche Verfahren für den Menschen schädlich sein könnten. Die EU-Richter folgten diesem Argument.
Die SPD fordert nun schnelle Klarheit. Klöckner habe „unverzüglich“die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag, ein bundesweites Gentechnikanbau-Verbot, umzusetzen, forderte Fraktionsvize Matthias Miersch. Die CDU-Politikerin verwies jedoch am Mittwoch auf die internationale Konkurrenz: In bestimmten Ländern außerhalb der EU seien Mutagenese-Pflanzen und die Erzeugnisse zugelassen, betonte sie. Ähnlich äußerte sich der Deutsche Bauernverband. „Europa läuft Gefahr, den Anschluss an andere Weltregionen zu verpassen“, warnte Verbandschef Joachim Rukwied. Mehr Freiheit für die Gentechnik-Forschung forderte auch mehrere FDPPolitiker.
BERLIN - Professor Detlef Bartsch (Foto: BVL/Marcus Gloger), Abteilungsleiter Gentechnik im Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), sagt im Gespräch mit Petra Sorge, das Urteil habe ihn überrascht. Wie bewerten Sie das Urteil? Für uns kam die Entscheidung überraschend. Die Schlussanträge des Luxemburger Generalanwalts gingen in eine ganz andere Richtung. Das müssen wir erst einmal genau prüfen. Das Bundesumweltministerium spricht von einem „guten Tag für die Umwelt und die Verbraucher“, Ministerin Svenja Schulze (SPD) lehnt Gentechnik strikt ab. Warum nicht auch das Bundesamt für Verbraucherschutz? Wir hatten aus fachlichen Gründen eine andere Position als das Umweltministerium. Nun hat der Europäische Gerichtshof Klarheit geschaffen. Mittelfristig wird man mit den bestehenden gesetzlichen Regeln nicht auskommen. Die Gentechnik-Definition, um die es hier geht, ist fast 30 Jahre alt und angesichts des technischen Fortschritts nicht mehr zeitgemäß. Die bisherigen sehr restriktiven Zulassungsregeln stehen im Widerspruch zu den gemachten Erfahrungen der Chancen und Risiken. Die langwierigen Verfahren begünstigen oft nur die wenigen multinationalen Konzerne. Dagegen werden die kleinen und mittelständischen Unternehmen große Schwierigkeiten haben, die jetzt vollumfängliche gentechnikrechtlichen Verfahren durchzuführen, vor allem bei Projekten mit Nischenprodukten. Der Bereich ökologische Landwirtschaft ist vollständig ausgenommen. Dafür haben die Verbraucher aber mehr Sicherheit, oder? Nicht für den Bereich der gezielten Mutagenese, Verfahren also, bei denen das Erbgut gezielt und punktgenau verändert wird, ohne fremde DNA einzufügen. Der Verbraucher hat nun sogar eher den Nachteil, dass er länger auf gute Produkte verzichten muss. Es besteht weitgehender Konsens, dass neue Züchtungsverfahren der Punktmutagenese genauso sicher oder sicherer sind wie die konventionellen Methoden der Strahlenoder chemischen Mutagenese. Die neuen Techniken stellen aber einen enormen Fortschritt hinsichtlich der Herstellungskosten, Schnelligkeit und Präzision des Eingriffs dar. Das wäre eine Chance gewesen, krankheits- und dürreresistente Pflanzen zu erzeugen. Die wird nun erst einmal zugeschüttet.