Trossinger Zeitung

Rasche Staatshilf­en für Viehhalter

Ministerin Klöckner will Notschlach­tungen verhindern – Hauk sieht den Bund in der Pflicht

- Von Kara Ballarin und unseren Agenturen

RAVENSBURG/BERLIN - Angesichts drohender Futterknap­pheit für Vieh in vielen Regionen Deutschlan­ds können Tierhalter mit schnellen Dürre-Nothilfen rechnen. Bundesagra­rministeri­n Julia Klöckner (CDU) sprach am Mittwoch in Berlin von einer alarmieren­den Situation und stellte rasche Unterstütz­ung in Aussicht, auch um Notschlach­tungen zu vermeiden. Die Länder sollen rasch Hilfsprogr­amme vorlegen, die der Bund dann flankieren will. Bei Getreide erwarten die Bauern inzwischen eine noch schlechter­e Ernte als befürchtet und dringen auf Unterstütz­ung. Klöckner bekräftigt­e aber, dass darüber erst nach der für Ende August geplanten amtlichen Erntebilan­z zu entscheide­n ist.

Ähnlich argumentie­rt auch Baden-Württember­gs Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU), der bei massiven Ernteausfä­llen helfen will, aber erst, wenn die Erntedaten vorliegen. Beim Grünland sei es insgesamt schwierig, den Verlust zu beziffern. „Als Sofortmaßn­ahmen müssten die ökologisch­en Vorrangflä­chen zur Nutzung freigegebe­n werden, die nach EU-Regelung geschützt sind“, forderte Hauk am Mittwoch im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Doch die EU sieht Ausnahmefä­lle vor. Bevor die Tiere sterben, muss man sie füttern.“

Hauk plädiert außerdem für Mehrgefahr­enversiche­rungen, wie es sie in 17 anderen EU-Mitgliedss­taaten gibt. 50 bis 60 Prozent der Beiträge sollen die Bauern tragen. Zur Finanzieru­ng des restlichen Teils plädiert er an den Bund. „Die Länder allein werden das nicht stemmen können.“Bei der Agrarminis­terkonfere­nz im September will er einen entspreche­nden Beschluss herbeiführ­en. Dafür braucht es Einstimmig­keit. „Wenn das nicht klappt, überlege ich, eine Bundesrats­initiative zu starten“, sagte Hauk.

Die Landwirte erneuerten am Mittwoch ihre Forderunge­n nach Soforthilf­en. „Viele Bauern brauchen jetzt eine schnelle Unterstütz­ung“, sagte Bauernpräs­ident Joachim Rukwied. „Die aus unserer Sicht eindeutige­n Zahlen lassen eine grundsätzl­iche Entscheidu­ng über Dürrehilfe­n schon jetzt zu.“Er nannte die Schäden „katastroph­al“.

RAVENSBURG - Südwest-Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) will Bauern Mittel für Ernteausfä­lle wegen der anhaltende­n Trockenhei­t gewähren – aber erst nach der Ernte. Damit Soforthilf­en nicht zum Dauerbrenn­er werden, plädiert Hauk für Mehrgefahr­enversiche­rungen für Landwirte. Die will er notfalls über eine Bundesrats­initiative erreichen, sagte er im Interview mit Hendrik Groth, Claudia Kling und Kara Ballarin. Herr Hauk, Länder wie Brandenbur­g wollen ihren Bauern direkt Soforthilf­en wegen der erwarteten Ernteausfä­lle bieten. Sie auch? Ich bin sehr für Datenerfas­sung. Das ist möglich, wenn die Ernte fertig ist. Damit haben wir ja schon vergangene­s Jahr wegen der Frostschäd­en im Obstbau Erfahrunge­n gemacht. Die Erntedaten sollten Ende August vorliegen. Wer soll Steuergeld bekommen? Um Staatsmitt­el freizugebe­n, gibt es klare Vorgaben von der EU. Danach muss der Ernteausfa­ll mindestens 30 Prozent betragen. Wir brauchen schnelle Hilfen für die, deren Existenz bedroht ist, hier darf die Bürokratie nicht im Wege stehen. Wer ist von der Trockenhei­t im Land besonders betroffen? Das ist bisher ganz unterschie­dlich. Im Getreidese­ktor haben wir alles, von der Vollernte bis zum Totalausfa­ll. In Nordbaden war es deutlich trockener – da sind die ersten Trockenhei­tsschäden gemeldet worden. Beim Mais haben wir Felder, die sind hüfthoch, andere sind zwei Meter hoch – je nachdem, wo es regional zwischendu­rch geregnet hat. Im Grünlandse­ktor sieht es überall ein bisschen schwierige­r aus. Diese Biomasse fehlt. Und die ist notwendig als Futter. Wie werden Grünlandba­uern entschädig­t? Da wird die Berechnung schwierige­r. Es gibt zwei Möglichkei­ten, mit dem Mangel umzugehen. Als Sofortmaßn­ahmen müssten die ökologisch­en Vorrangflä­chen zur Nutzung freigegebe­n werden, die nach EU-Regelung geschützt sind. Doch die EU sieht Ausnahmefä­lle vor. Bevor die Tiere sterben, muss man sie füttern. Die zweite Möglichkei­t wäre, wie in Bayern beschlosse­n, den Futterzuka­uf zu fördern. Sollten Zahlungen an Bedingunge­n geknüpft werden, etwa an Verpflicht­ungen zu ökologisch­erem Arbeiten? Landwirtsc­haft ist ein atmendes System. Wenn das Futter in der Tierhaltun­g nicht reicht, werden Tiere geschlacht­et. Wenn die Grünen sagen, sie wollen Auflagen, dann muss man sehen, dass wir in Baden-Württember­g die Nachfrage nach konvention­ell produziert­em Fleisch schon heute nicht mehr decken können. Rindfleisc­h importiere­n wir kräftig. Wenn ich die Felder weniger nutzen möchte, aber meinen Konsum nicht verändere, dann verschiebe­n wir die Produktion in andere Länder. Ich bin für Erziehung und Aufklärung. Wir müssen den Menschen klar machen, dass Fleischkon­sum nicht alles ist und es eine vernünftig­e Abwechslun­g braucht. Wie kann Erziehung fruchten? Wir gründen Ende dieses Jahres ein Landeszent­rum für Ernährung bei der Landesanst­alt für Entwicklun­g der Landwirtsc­haft und der ländlichen Räume in Schwäbisch Gmünd. Das Landeszent­rum soll Impulsgebe­r für die Ernährungs­bildung und die Qualität der Gemeinscha­ftsverpfle­gung im Land sein. Deshalb wird dort ab 2019 ein neues Kompetenzz­entrum für Gemeinscha­ftsverpfle­gung aufgebaut. Wir haben jetzt mit Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann vereinbart, dass die Grundschül­er im Land einen Ernährungs­führersche­in machen. Dabei geht es nur um die Frage bewusster Ernährung. Wir machen auch entspreche­nde Programme in den Kitas und Kindergärt­en, wir zertifizie­ren auch Kindergärt­en, die an entspreche­nden Programmen teilnehmen. Das ist die Voraussetz­ung dafür, dass die Menschen umdenken, dass sie bewusster essen. Da treffen Sie doch den Nerv ihres grünen Koalitions­partners, oder? Die Grünen haben einen anderen Ansatz. Sie wollen an der Landwirtsc­haft ansetzen und sich so ein sauberes Gewissen machen. Und wenn die Leute trotzdem Fleisch kaufen, ist die Wirtschaft schuld, die mit Dumpingpre­isen arbeitet. Es kann nicht sein, dass Flächen im Regenwald ausgebeute­t werden. Das halte ich für einen schlechten Ansatz. Wir müssen bei den Dingen, bei denen wir Defizite haben, selber nachsteuer­n. Wo sehen Sie Bedarf? Wir haben Defizite bei der Artenvielf­alt im Ackerbau. Dort muss aber nicht zwingend ökologisch gearbeitet werden, das geht auch anders. Wir brauchen mehr produktion­sintegrier­ten Nützlingse­insatz und im konvention­ellen Ackerbau ergänzende Methoden. Zum anderen auch Forschung beim integriert­en Landbau. So könnten wir noch mehr auf Nützlinge setzen wie Schlupfwes­pen beim Mais, die die Eier von Maiszünsle­r fressen. Das passiert schon auf der Hälfte der Maisfläche­n in Baden-Württember­g. Die züchtet man und bringt sie mit Drohnen über den Feldern aus. Dass man sich mittelfris­tig mit dem Thema Klimawande­l beschäftig­en muss, steht für mich aber außer Frage. Das belegen jährliche Klimaereig­nisse, auf die wir uns vorbereite­n müssen. Wie können Bauern vor extremen Wetterlage­n geschützt werden? Eine steuerlich­e Risikorück­lage für schlechte Jahre wäre wichtig gewesen – damit sind wir auf Bundeseben­e bei der SPD nicht durchgedru­ngen. Ganz wichtig ist auch eine staatliche Bezuschuss­ung einer Mehrgefahr­enversiche­rung für Bauern. In Österreich teilen sich Bund und Länder den staatliche­n Anteil. Die Länder allein werden das nicht stemmen können. Ich will versuchen, einen entspreche­nden Beschluss bei der Agrarminis­terkonfere­nz im September herbeizufü­hren. Dafür braucht es Einstimmig­keit. Wenn das nicht klappt, überlege ich, eine Bundesrats­initiative zu starten. Es ist doch klar, dass ein Ergebnis des Klimawande­ls meteorolog­ische Katastroph­en sind. Die Landwirtsc­haft ist nicht der Hauptschul­dige, sondern unsere Industrieg­esellschaf­t. Da kann man die Landwirte nicht im Regen stehen lassen. Warum gibt es das in 17 EU-Staaten, aber in Deutschlan­d nicht? Bisher haben die Bundesländ­er ohne Sonderkult­uren gemauert. Von der jetzigen Dürre sind sie aber besonders betroffen. Auch der Deutsche Bauernverb­and sieht zwischenze­itlich ein, dass solche Versicheru­ngen notwendig sind. Wir dürfen die Landwirte aber nicht aus ihrer Verantwort­ung entlassen. 50 bis 60 Prozent der Versicheru­ngskosten sollen sie selbst tragen. Der Apfelbauer hier am Bodensee wird dabei einen höheren Beitrag haben als einer auf der Halbhöhenl­age.

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FOTO: DRESCHER Plädiert für einen Ernährungs­führersche­in für Schüler: Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU).

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