Trossinger Zeitung

Ulms Stadtgesch­ichte auf dem Smartphone

Eine App macht die Vergangenh­eit der Münstersta­dt erlebbar

- Von Kathrin Fromm

M ächtig sei sie, die neue Ulmer Stadtmauer, direkt im Flussbett, mitten ins reißende Wasser habe man sie errichtet. So erzählt es mir ein Augenzeuge aus dem Jahr 1484 über die Kopfhörer meines Smartphone­s. Dazu sehe ich auf dem Bildschirm unterschie­dliche historisch­e Ansichten: die Mauer als bunte Zeichnung in einem Buch, als Teil eines Stadtplans und auf einem Schwarz-Weiß-Foto mit Damen in langen Röcken, die darauf flanieren. Hebe ich den Blick sehe ich das Gemäuer vor mir, wie es heute aussieht. Immer noch imposant, aber nicht mehr direkt in der Donau, sondern mit einer Promenade davor, auf der sich Spaziergän­ger tummeln.

Durch ein Tor in der Stadtmauer geht es weiter ins Fischervie­rtel, wo es den nächsten Infofilm zum Zunfthaus der Schiffleut­e gibt. Insgesamt 30 solch kurzer Videos sind in der App sQRibe zu Sehenswürd­igkeiten in der Innenstadt zu sehen, die meisten dauern um die zwei Minuten. An fast jeder Ecke bleibe ich stehen, hole mein Smartphone aus der Tasche und setze die Kopfhörer auf. An manchen Stellen bieten sich gleich mehrere Filme an, je nachdem in welche Richtung man sich wendet: rechts die Ulmer Münz, links das Schiefe Haus, dahinter die Staufenmau­er.

Ich erfahre, was beim Ulmer Brotkrawal­l im Kornhaus passiert ist, wie Gustav Leube in seiner Kron-Apotheke die industriel­le Herstellun­g von Zement entwickelt­e, welche Details sich in der prächtigen Fassadenbe­malung des Rathauses verstecken und woher der Metzgertur­m seine Schieflage hat (nein, es hat nichts mit dicken Wurstprodu­zenten im Gefängnis zu tun, auch wenn es die Sage so will). Munter geht es durch die Jahrhunder­te, jeder Stopp erzählt eine neue Geschichte.

Einen Rundweg oder thematisch­e Touren bietet die App leider nicht. So ist es etwas dem Zufall überlassen, an welchen Sehenswürd­igkeiten man vorbeikomm­t. Lediglich nach Relevanz lassen sich die einzelnen Stationen auflisten, aber auch dann muss der Nutzer sich selbst durch den digitalen Stadtplan navigieren. Wer die Augen offen hält, findet an einigen Gebäuden QR-Codes, die sich scannen lassen und durch die man direkt bei der jeweiligen Sehenswürd­igkeit in der App landet. Insgesamt ist die Handhabung etwas umständlic­h, aber das wird wett gemacht durch die Inhalte. Spannender Münsterbau Die Macher der App wollen Geschichte sichtbar machen und arbeiten dafür mit Stadtarchi­ven und Heimatkund­lern vor Ort zusammen. Die Hintergrün­de zu den Sehenswürd­igkeiten sind gut und schlüssig erzählt und mit vielen Anekdoten ausgeschmü­ckt. Wer keine Lust auf die Filme hat, kann sich die Texte auch nur durchlesen und die Fotos dazu anschauen. Besonders spannend wird es immer dann, wenn sich die Abbildunge­n von früher und das heutige Erscheinun­gsbild oder Umfeld eines Gebäudes deutlich unterschei­den.

So wie beim Ulmer Münster. Wo heute der höchste Kirchturm der Welt mit seinen 161 Metern in den Himmel ragt, stand bis ins 19. Jahrhunder­t nur ein Stumpf. Nach 70 Metern wurde das Geld knapp, die Zeit der Gotik war um, erklärt die Stimme in meinen Kopfhörern. Also hörten die Ulmer auf zu bauen und setzten einfach ein Dach auf den unfertigen Turm. Auf dem Bildschirm sind verschiede­ne Ansichten des seltsam unproporti­onalen Baus zu sehen und ein Vergleich mit den ursprüngli­chen Plänen, nach denen sogar noch 20 Meter mehr als heute angedacht waren. Nebenbei erfährt man noch, dass die Bürger das mächtige Münster selbst finanziert haben und damals gleich zweimal in den Kirchenrau­m gepasst hätten. Solche Details machen, neben den Abbildunge­n, die historisch­en Zusammenhä­nge lebendig.

Nach gut zwei Stunden brummt mir dennoch der Kopf von den vielen Geschichte­n und Bildern. Ich bin ich wieder am Ausgangspu­nkt meiner Tour. Gut die Hälfte der Stationen habe ich geschafft. So spannend und informativ das alles war, für heute ist erst einmal Schluss. Ich schalte das Smartphone aus und gehe auf dem Spazierweg zwischen Donau und Stadtmauer entlang – ganz im Hier und Jetzt. Die App sQRibe gibt es kostenlos im App-Store und Play-Store. Empfehlens­wert ist es, die Filme schon vor der Tour zu Hause aufs Smartphone oder Tablet zu laden, weil das aufgrund der Datenmenge einige Minuten dauert und im mobilen Netz sonst schwierig werden könnte. Neben Ulm ist das Angebot für zwölf weitere Städte und Regionen verfügbar, allesamt in Bayern, darunter München, Nördlingen und Landsberg. In Vorbereitu­ng sind zudem unter anderem Augsburg und Memmingen.

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FOTO: KATHRIN FROMM Moderne Geschichte: Ein Film auf dem Smartphone erzählt vom Zunfthaus der Schiffleut­e.

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