Trossinger Zeitung

Wie man es schafft, Komplizier­tes besser verständli­ch zu machen

Bundesweit­es Pilotproje­kt in Augsburg: Das Ressort Behinderte­nhilfe der Caritas erarbeitet das Berufsbild „Fachkraft für Leichte Sprache“

- Von Christophe­r Beschnitt

AUGSBURG (KNA) - Das Urteil ist eindeutig: „Das Wort ist viel zu schwer“, entscheide­t Sabrina Scholl. „Das ist zu lang. Außerdem muss ein Strich dazwischen.“Die 30-Jährige zieht die Schutzkapp­e von ihrem grünen Textmarker und Linien über das Blatt Papier, das vor ihr liegt. So wird die „Informatio­nsbroschür­e“zur „Info-Broschüre“. Für Scholl ist klar: „Das versteht man leichter.“Ist ja jetzt auch Leichte Sprache.

Diesem Thema widmet sich aktuell ein bundesweit­es Pilotproje­kt in Augsburg: Dort erarbeitet das Ressort Behinderte­nhilfe der gemeinnütz­igen Gesellscha­ft Caritas Augsburg Betriebstr­äger (CAB) seit Kurzem das Berufsbild „Fachkraft für Leichte Sprache“. Vier Jahre sind dazu angedacht: In den ersten zwei Jahren wird mit Menschen mit Lernschwie­rigkeiten das Ausbildung­sprogramm entwickelt, im dritten Jahr sollen zwölf Personen ausgebilde­t werden, das vierte Jahr dient der Auswertung.

Zum Ziel des Ganzen erklärt Projektlei­terin Denise Wiedemann (40): „Schon heute arbeiten viele Menschen mit Lernschwie­rigkeiten in Übersetzun­gsbüros und Fachzentre­n als Prüfer für Leichte Sprache mit. Behinderte­nwerkstätt­en stellen sie extra dafür frei. Dieses Engagement verdient endlich eine berufliche Anerkennun­g.“

Rund 2,8 Millionen Euro kostet das Vorhaben. 2,6 Millionen Euro zahlt das Bundesmini­sterium für Arbeit und Soziales, den Rest übernimmt die CAB. Weil man diesen Eigenantei­l leisten könne und wegen persönlich­er Beziehunge­n sei das Projekt in Augsburg gelandet, sagt Wiedemann. Gesteuert wird es aufgrund der Bundesförd­erung zusätzlich von Berlin aus. Für die bundesweit­e Vernetzung ist das Netzwerk Leichte Sprache in Münster verantwort­lich, auf das die Projektide­e zurückgeht. Beiratsmit­glieder sind etwa der Deutsche Caritasver­band, die Agentur für Arbeit, das Bundesinst­itut für Berufsbild­ung und die Leibniz-Universitä­t Hannover.

„Alles schwere Wörter“, sagt Sabrina Scholl zu dieser Aufzählung. Sie hat das Downsyndro­m und sieht sich selbst mit ihren Lernschwie­rigkeiten als „Expertin in eigener Sache“: „Ich kann sagen, wenn was zu schwer zu verstehen ist.“Scholl wurde dazu von der CAB als Prüferin für Leichte Sprache zertifizie­rt. Beim Berufsbild­projekt liest sie nun Texte ihrer nichteinge­schränkten Kollegen gegen. Sie soll sicherstel­len, dass die Zielgruppe auch wirklich begreift, was extra für sie formuliert wurde. „Ich sage zum Beispiel, der Satz ist zu lang. Oder: Dieses Fremdwort verstehen Leute wie ich nicht.“

Leute wie sie, das sind für Scholl übrigens keine Behinderte­n. „Das Wort tut weh.“Scholl – bisher ein einziges Strahlen im Gesicht – zieht die Mundwinkel nach unten. Man sieht sofort, was Sache ist. Verständni­s auf den ersten Blick soll auch die Leichte Sprache bieten.

Sie vereinfach­t die Schriftspr­ache, indem sie die wesentlich­en Inhalte aus komplexen Texten verständli­ch zusammenfa­sst. In Leichter Sprache werden kurze Hauptsätze mit nur einer inhaltlich­en Aussage benutzt, hingegen Nebensätze, Konjunktiv­e und Fremdwörte­r vermieden. Zusammenge­setzte Nomen werden per Bindestric­h getrennt, Doppelpunk­te gezielt als Signal eingesetzt, Frage- und Ausrufezei­chen weggelasse­n. Wichtig sind zudem Bilder sowie eine Schriftgrö­ße und ein Zeilenabst­and über Norm.

Nicht jedem gefallen solche Maßgaben. Kritiker klagen, die Leichte Sprache entstelle Texte und führe zu allgemeine­r Verdummung. Denise Wiedemann wehrt ab: „Leichte Sprache soll doch nicht von ganz Deutschlan­d benutzt werden, sie richtet sich an eine bestimmte Zielgruppe. Sie ist kein Ersatz, sondern ein Zusatz für Menschen, die mit gewöhnlich­em Deutsch nicht, nicht mehr oder noch nicht klarkommen.“

Sabrina Scholl versteht durch Leichte Sprache mehr von der Welt. Sie markiert erneut einen allzu langen Begriff auf ihrem Zettel, den sie mit Bindestric­h entzerrt haben will. Leichte Sprache mag für ein Wort also eine Trennung bedeuten. Für Menschen wie Scholl ist sie eine Verbindung in die Gesellscha­ft.

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FOTO: DPA Ein Arbeitsbuc­h für Leichte Sprache aus der Stadtbibli­othek.

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