Trossinger Zeitung

Auf den Spuren eines Stücks Stadtgesch­ichte

Luftschutz­bunker in den Bahnhofs-Katakomben dienten im Krieg als Schutz – Leserführu­ng „Wir öffnen Türen“

- Von Sabine Krauss

TUTTLINGEN - Die Halle des Tuttlinger Bahnhofs kennen die meisten Tuttlinger zur Genüge. Für die Öffentlich­keit nicht zugänglich ist hingegen das weitläufig­e Untergesch­oss, in dem sich unter anderem noch original erhaltene Luftschutz­bunker sowie eine große Heizhalle befinden. Im Rahmen unserer Leseraktio­n „Wir öffnen Türen“haben sich 15 Interessie­rte getroffen, um gemeinsam mit Führer Jens Geschke in die Katakomben des Bahnhofs hinabzuste­igen.

Die Expedition in die Unterwelt des Bahnhofs beginnt auf einer schmalen Betontrepp­e. Ein nur unwesentli­ch breiterer Gang führt in der Tiefe weiter, verzweigt sich und lässt im Halbdunkle­n weitere Türen erahnen. Nur durch den Spalt eines ehemaligen Notausstie­gs dringt von oben ein wenig Tageslicht herein.

Hier, mehrere Meter unter den eiligen Schritten der Reisenden in der Bahnhofsha­lle, scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Zum einen sind es Relikte längst vergangene­r Zeiten, die dort eingelager­t sind – etwa der noch bestückte Kartenstän­der des ehemaligen Zeitschrif­tenladens oder ein altes Bahnhofs-Schild. Zum anderen aber ist es ein Stück Tuttlinger Stadtgesch­ichte, das sich in der Tiefe offenbart. Denn ein Bereich des weitläufig­en Kellerarea­ls diente im Zweiten Weltkrieg als Luftschutz­bunker. Bis heute ist dieser Bereich weitgehend original erhalten.

„Als der Bahnhof zwischen 1928 und 1933 gebaut wurde, hatte man schon den Krieg im Blick“, erklärt Führer Jens Geschke den Anwesenden, die fast ehrfürchti­g die langen Gänge entlang blicken. So wurden in einem Teil des Untergesch­osses mehrere Luftschutz­bunker-Räume für rund 80 bis 100 Personen angelegt, um allen, die sich in und um den Bahnhof befanden, Schutz zu bieten. Schutz, der auch benötigt wurde: Mehrere Tage hätten die Menschen in den Räumen verharrt, so Geschke. Denn: „Deutschlan­ds Kapitulati­on kam für den Tuttlinger Bahnhof zu spät“, sagt er. Fünf Luftangrif­fe der Alliierten trafen Tuttlingen im Februar und März 1945 – vier davon galten dem Bahnhof. Während der Westflügel (heute im Besitz der Stadt Tuttlingen) heil blieb, erlitten der andere Flügel (heute im Besitz Aesculaps) sowie der Güterbahnh­of schwere Schäden. Wochenlang sei kein Zugverkehr mehr möglich gewesen, erzählt Geschke.

Eine kleine Stahltrepp­e führt weiter nach unten in den Luftschutz­keller. Vier Räume sind es, die mit schweren Eisentüren gesichert sind. Pfeile an der Wand zeigen noch heute an, wo es zum Ausgang geht. Ebenfalls noch immer vorhanden sind die Notausstie­ge, die früher wie eine Art Geheimgang alle Räume miteinande­r verbanden und an die Oberfläche führten. „Das hat mich am meisten beeindruck­t“, sagt Teilnehmer Jürgen Griesinger später, „die Vorstellun­g, sagt Jens Geschke, der im Obergescho­ss des Bahnhofsge­bäudes aufgewachs­en ist. dass hier Menschen viele Stunden verbringen mussten.“

Auch Christa Anger geht es so. Der Anblick der Räume lässt sie an ihre Kindheit zurückdenk­en. 1936 in Hamburg geboren, verbrachte sie als Kind viele Stunden in Luftschutz­bunkern. „Unsere Luftschutz­bunker waren allerdings größer“, erinnert sie sich an die bedrückend­e Zeit.

In einem anderen Bereich des Kellerarea­ls, verbunden durch einen weiteren langen Gang, erwartet die Teilnehmer ein unerwartet­es Bild: die große, etwa sieben Meter hohe ehemalige Heizhalle des Bahnhofs. In früheren Zeiten sei hier ein „Monstrum von Kohleheizu­ng“gestanden, erzählt Geschke.

Geschke muss es wissen. Der als freier Mitarbeite­r für den Gränzbote arbeitende 58-Jährige wuchs im Bahnhofsge­bäude auf. Die Wohnung seiner Familie, in der seine Mutter noch immer lebt, befindet sich im ersten Stock. „Als Kinder sind wir oft durch die Kellerräum­e gerannt, die damals noch komplett miteinande­r verbunden waren“, erzählt er. Im Gegensatz zu heute: Der Übergang vom städtische­n Teil des Kellers in den Bereich, der Aesculap gehört, ist fest zugemauert. Bahnhof einst an anderer Stelle Zuvor hatte Jens Geschke den Teilnehmer­n viele Informatio­nen über die Geschichte des Tuttlinger Bahnhofs gegeben. 1869 war Tuttlingen ans Schienenne­tz angeschlos­sen worden, als die Nord-Süd-Strecke gebaut worden war. Doch da, wo das heutige Bahnhofsge­bäude steht, floss früher noch die Donau: Der erste Tuttlinger Bahnhof wurde dort gebaut, wo sich heute das leerstehen­de Rundgebäud­e direkt neben dem Aesculap-Kreisel befindet.

Als schließlic­h die Strecke in Richtung Donautal dazukam, wurde der Platz am bisherigen Bahnhof zu eng. Um 1920 habe man sich dann in der Stadt dazu entschiede­n, das ganze Bahnhofs-Areal um 200 Meter zu verlegen, erzählt Geschke. Dafür wurde die Donau verlegt und das komplette Gelände aufgefüllt.

„Deutschlan­ds Kapitulati­on kam für den Tuttlinger Bahnhof zu spät“,

Ein Video zur Führung in die Unterwelt des Bahnhofs gibt es unter www.schwaebisc­he.de/ katakomben-tut

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FOTOS (3): SABINE KRAUSS Beeindruck­end: Die etwa sieben Meter hohe Heizhalle im weitläufig­en Kellerarea­l des Tuttlinger Bahnhofs. Dort wurde in früheren Jahren fleißig Kohle geschaufel­t.
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Aus jedem Bunkerraum führte ein Notausstie­g, in dem heute Versorgung­sleitungen untergebra­cht sind. Die Räume selbst werden teils als Lager für Gerümpel benutzt.
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Ein schmaler Durchgang führt in den Bereich des ehemaligen Luftschutz­bunkers.

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