„Weltgemeinschaft hat hier große Verantwortung“
Gisela Schneider, Direktorin des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission, über den Ebola-Ausbruch im Kongo
RAVENSBURG - Nach dem erneuten Ausbruch des Ebola-Virus im Kongo mit bisher 59 Toten stehen die Helfer dort vor einem großen Problem: Das betroffene Gebiet im Osten der Demokratischen Republik Kongo ist Konfliktgebiet. Auch Gesundheitsfachkräfte wurden bereits mit der tödlichen Krankheit infiziert. Das Deutsche Institut für Ärztliche Mission will Mitarbeiter der kirchlichen Gesundheitseinrichtungen vor einer Ansteckung schützen und verhindern, dass sich das Virus in Richtung der Flüchtlingscamps im Kongo ausbreitet. Difäm-Direktorin Dr. Gisela Schneider ist im Rahmen einer Projektreise bis Ende nächster Woche in der Region, um die dortigen Helfer in Infektionsschutz und für den richtigen Umgang mit dem Virus zu schulen. Im Interview mit Daniel Drescher spricht sie über die Herausforderungen des Einsatzes. Frau Schneider, was erwartet Sie im Kongo? Das Difäm, das Deutsche Institut für Ärztliche Mission, arbeitet seit langer Zeit mit kirchlichen Gesundheitsdiensten im Osten der Demokratischen Republik Kongo zusammen. Wir hatten im April eine Reise geplant, um einem Partner vor Ort beim Aufbau von lokalen Krankenversicherungen zu helfen. Nun kam der 1. August und damit der neuerliche Ausbruch der Ebola-Epidemie. Damit ist aus der Reise ein NotfallResponse-Einsatz geworden. Was bedeutet das konkret für Sie? Es gibt bis jetzt bereits rund 100 Ebola-Fälle. Das klingt nicht dramatisch, aber wenn man davon ausgeht, dass jeder dieser Fälle zwischen zehn bis 30 Kontakte hat, ist einem schnell bewusst: In einer Gegend, in der Menschen auf der Flucht sind, weil sie sich etwa vor Rebellen verstecken müssen, können diese Zahlen sehr gefährlich sein. Aus dem großen Ebola-Ausbruch 2014 hat man aber gelernt: Die WHO hat schnell reagiert, Ärzte ohne Grenzen hat ein Behandlungszentrum in der Region aufgemacht. Unsere Aufgabe ist es jetzt nicht, die Ebola-Patienten zu behandeln, das machen die Spezialisten vor Ort. Wir müssen die lokale Gesundheitsversorgung, wie sie von den Kirchen betrieben wird, aufrechterhalten, also so sicher wie möglich gestalten. Das ist wichtig, damit das Vertrauen der Bevölkerung in die Gesundheitseinrichtungen nicht zerstört wird, wie das damals in Westafrika passiert ist. Da sind so viele Menschen gestorben, dass die Menschen sich erst gar nicht mehr in die Hände der Mediziner begeben haben. Ich werde Teams von Ärzten und Krankenpflegenden ausbilden, die dann in ihren Regionen eine sichere Versorgung gewährleisten. Welches Wissen vermitteln Sie den Helfern vor Ort? Wenn ein Ebola-Ausbruch eintritt, muss man eine sogenannte Triage einrichten. Wenn Patienten zum Krankenhaus kommen, muss man erst mal checken, ob es ein Infektionsfall sein könnte. Erst wenn das ausgeschlossen ist, darf die Person überhaupt ins Krankenhaus – ansonsten gefährdet man alle anderen Patienten. Es geht um Vorsorgemaßnahmen und Hygienestandards. Das ist das A und O. Ebola fliegt einem ja nicht zu, ich kann niemanden mit Ebola anhusten. Das Virus wird mit Körperflüssigkeiten übertragen. Aber genau das ist die Gefahr bei den Behandelnden. Wir wissen jetzt schon, dass eine Reihe Pflegender infiziert sind und jetzt ums Überleben kämpfen. Das passiert immer dann, wenn sie nicht gut vorbereitet sind und dann mit Körperflüssigkeiten in Kontakt kommen. Das Wichtigste ist, sich richtig zu verhalten. Viel Hände waschen, Handschuhe tragen, Schutzkleidung tragen oder auch die No-Touch-Policy: Man fasst die Patienten nicht ohne Handschuhe oder Schutzkleidung an, sondern stellt ihnen Fragen, um Verdachtsfälle schnell zu erkennen. Ich versuche, meine Erfahrungen von 2014 und 2015 mit einzubringen, als ich in Westafrika im Einsatz war. Mit welchen Gefahren sind die Helfer im Kongo konfrontiert? Das ist sehr unterschiedlich. In der Region Ituri, in der wir unterwegs sein werden, ist das Gefahrenrisiko sehr niedrig. Aber schon in der Nachbarregion im Nord-Kivu ist es gefährlicher. Viele Menschen fliehen vor bewaffneten Konflikten und der anhaltenden Gewalt durch Rebellengruppen. Dadurch hat sich auch die Gesundheitsversorgung verschlechtert. Ebenso wird jetzt die Behandlung von Ebola-Infizierten und auch die Gesundheitsaufklärung der Bevölkerung erschwert. Aber unsere lokalen Partner können die Situation vor Ort gut einschätzen. Sie wissen, was geht und was nicht geht. Und wir bewegen uns nur in Regionen, die sicher sind. Aber viele derer, die wir ausbilden, arbeiten in entlegenen und zum Teil unsicheren Regionen. Daher sind diese Trainings sehr wichtig für sie. Im Kongo wurde erst im Juni ein Ebola-Ausbruch für beendet erklärt, nun gibt es neue Probleme mit der Krankheit. Man muss sich einfach klarmachen, wie groß der Kongo ist. In der Gegend, in der der Ausbruch für beendet erklärt wurde, ist es auch tatsächlich vorbei. Das ist etwa 2000 Kilometer von den Regionen entfernt, in denen der neuerliche Ebola-Ausbruch aufgetreten ist. Das ist ungefähr die Entfernung zwischen Frankfurt und Madrid. Wenn in Frankfurt beispielsweise eine EHEC-Infektion ausbricht, ist diese noch lange nicht in Madrid. Und umgekehrt, wenn in Madrid der Ausbruch einer Erkrankung beendet wird, dann kann sie morgen trotzdem in Frankfurt auftauchen – ohne, dass es etwas miteinander zu tun hat. So ist es auch im Kongo: Man weiß inzwischen – das hat die WHO auch bestätigt –, dass es sich zwar um den gleichen Virustyp handelt, aber um eine andere unabhängige Infektion. Welche Faktoren begünstigen die Ausbreitung des Virus? Man muss sich das so vorstellen: Der Regenwald ist in dieser Region sehr dicht. Wenn Menschen dann etwa vor den Rebellen in den Regenwald fliehen und dort jagen, haben sie ein viel größeres Risiko, dass sie dort mit Tieren in Berührung kommen, die das Virus übertragen. Flughunde sind Träger und sie infizieren Affen oder Antilopen, die gejagt werden. Man geht davon aus, dass das Virus über Wildfleisch, etwa von Antilopen, übertragen wird. Wenn das geschlachtete Tier infiziert ist, erkranken die Personen auch, die mit dem ungekochten Fleisch in Berührung kommen. Deshalb ist die Arbeit, die wir machen, nicht nur kurzfristig gedacht. In dieser Gegend muss man immer wieder mit Ebolaausbrüchen rechnen. Der Kongo hat 1976 die erste Ebola-Epidemie gehabt. Bis 2012 gab es neun weitere Epidemien in fast 40 Jahren. In den letzten drei Jahren gab es schon wieder vier Epidemien. Die Intervalle werden kürzer. Es ist nicht nachgewiesen, aber es scheint plausibel zu sein, dass die Menschen immer tiefer in den Wald vordringen. So auch die Schürfer, die nach Koltan und anderen Rohstoffen suchen. Die Jagd nach Ressourcen oder die Vertreibung trägt zur Ausbreitung der Krankheit bei, weil man in Kontakt mit Dingen kommt, die früher in der freien Natur vorkamen, aber mit denen der Mensch nicht in Berührung kam. Wie lässt sich das Problem langfristig in den Griff bekommen? Das Gesundheitssystem muss so aufgestellt sein, dass man schnell reagieren kann. Sobald der erste Fall auftritt, muss dieser erkannt werden, damit es nicht zur Epidemie kommt. Wenn jeder Arzt und jeder Gesundheitsmitarbeiter so sensibilisiert ist, dass im Verdachtsfall die Alarmglocken läuten, kann man die Ausbreitung des Virus verhindern. Ich glaube aber, dass der Friede im Kongo das Allerwichtigste ist. Es ist offiziell zwar kein Krieg, aber solange die politischen Unruhen so massiv weitergehen, Dörfer niedergebrannt, Frauen vergewaltigt und Menschen in die Flucht getrieben werden – so lange werden wir auch Ebola nicht in den Griff bekommen. Die Menschen müssen sicher in ihren Dörfern leben können, dann können sie sich auch schützen. Im Februar sind rund 50 000 Menschen aus ihren Dörfern in die nächste Stadt Bunia und Umgebung geflohen, wo ich jetzt hinreisen werde. Die Geflüchteten sind nun in Zeltcamps untergebracht. Die Vorstellung, dass das Ebola-Virus in die Nähe von so einem Camp kommt, ist ganz furchtbar. Deshalb ist es extrem wichtig, den Menschen dort beispielsweise genügend gechlortes Wasser zur Verfügung zu stellen. Es sind zum Teil ganz einfache Maßnahmen, aber man muss sie eben machen. Was müsste passieren, dass die Konflikte im Kongo aufhören? Die Konflikte sind sehr vielschichtig. Je öfter ich dort bin und je mehr ich erfahre, desto weniger nehme ich mir raus, sie wirklich zu verstehen. Ich glaube, es wäre wichtig, für die Welt, die UN, die EU und auch die Regierungen, zu sagen: Wir wollen darauf drängen, dass eine gute Regierung die Geschicke des Landes lenkt – und es nicht mit korrupten Führungsköpfen weitergeht. Man könnte das etwa an Bedingungen für finanzielle Hilfen knüpfen. Die Menschen warten seit zwei Jahren auf Wahlen, jetzt sollen sie im Dezember stattfinden. Aber das geht sehr mühsam voran. Es wäre auch wichtig, den illegalen Rohstoffhandel einzudämmen, von dem der Welthandel profitiert. Wenn das unterbunden wird und beispielsweise Koltan legal ausgeführt wird und bei den Menschen vor Ort etwas hängenbleibt, sie also mit den Einnahmen über Zölle etwa Schulen und Krankenhäuser bauen könnten, dann wäre schon ganz viel gewonnen. Der Kongo leidet unter seinem Ressourcenreichtum, der seit über 200 Jahren ausgebeutet wird. Die Menschen dort sind traumatisiert und kennen gar nichts anderes als Krieg. Die Weltgemeinschaft hat hier eine große Verantwortung. Solange wir nicht an die Grundprobleme herangehen, bleibt uns immer wieder nur, wenigstens als Partner Hilfe zu leisten. Mit welchen Gefühlen gehen Sie auf diese Reise? Ich habe Respekt vor der Aufgabe, aber ich denke, es ist wichtig, weil unsere Partner vor Ort unsicher sind. Einige sagen: Mit Rebellen kann ich umgehen – aber das Virus sehe ich nicht kommen. Für sie ist es von großer Bedeutung, dass jemand von außen kommt, sie ernst nimmt und mit ihnen über Lösungen nachdenkt. Wenn wir von Partnerschaft reden, ist es eben nicht damit getan, ein paar Schutzkittel zu schicken. Uns geht es darum, gemeinsam mit den Menschen vor Ort über gute Lösungswege nachzudenken.