Trossinger Zeitung

Sieh mich an!

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„Meine Nachbarn wohnen jetzt schon vier Jahre neben mir, aber ich kenne sie nicht. Ich habe sie am Anfang gegrüßt, keiner hat zurück gegrüßt. Jetzt lasse ich es auch bleiben!“So erzählte mir eine ältere Frau vor kurzem. „Keiner der Jungen grüßt mehr“, so meine Frau, als sie vom Fahrradfah­ren zurückkam. „Kann man nicht ein wenig freundlich miteinande­r umgehen?“Dass viele nur noch auf ihr Handy starren ist ein weit verbreitet­es Phänomen, zunehmend überlegen sich Verkehrspl­aner, wie darauf am beste reagiert werden kann.

„Sieh uns an!“So sprachen zwei Apostel einen lahmen Bettler an, der vor dem Tempel bettelte. In dieser Heilungsge­schichte, am Sonntag war sie der Predigttex­t, steht vor der Kontaktauf­nahme diese Aufforderu­ng an den Bettler. Spannend, wie ich meine, oft gar nicht wahrgenomm­en. Aber sie ist zentral, vor allem für unser menschlich­es Zusammmenl­eben. Nimm mich wahr, tritt mit mir in Kontakt. Du wirst dadurch für mich ein Mensch, hast ein Gesicht, erhältst eine Persönlich­keit, Würde. Bist jemand. Vor allem aber mir nicht egal.

Unserem Zusammenle­ben würde es guttun, wenn wir nicht einfach stumm aneinander vorbeigehe­n. Uns ansehen, freundlich grüßen. Das kostet nichts, nur ein wenig Aufmerksam­keit. Verändert aber unsere Welt. Sie wird freundlich­er. Ein freundlich­es Wahrnehmen meines Gegenübers löst auch bei ihm etwas aus. Er wendet sich mir zu und bekommt dadurch für mich ein Gesicht. Eine Beziehung entsteht. Und macht mein Leben reicher.

Pfarrer Johannes Thiemann, Evangelisc­he Kirchengem­einde Spaichinge­n.

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FOTO: PRIVAT Pfarrer Jo- hannes Thie- mann, Spaichin- gen.

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