Trossinger Zeitung

Keine Engpässe bei Blutdrucks­enkern

Was Betroffene nach dem massenhaft­en Rückruf von Blutdrucks­enkern jetzt wissen müssen

- Von Daniel Drescher

RAVENSBURG (dre) - Die groß angelegte Rückrufakt­ion von verunreini­gten Blutdrucks­enkern mit dem Wirkstoff Valsartan hat in den vergangene­n Wochen Patienten, Ärzte und Apotheker beschäftig­t. Nach Angaben der Landesapot­hekerkamme­r Baden-Württember­g gibt es im Südwesten aber keine Engpässe. Apotheker und Ärzte kritisiere­n indes die Verlagerun­g von Medikament­enprodukti­on ins Ausland. Die betroffene­n Hersteller hatten den verunreini­gten Wirkstoff aus China bezogen.

RAVENSBURG - Die massenhaft­e Rückrufakt­ion von Blutdrucks­enkern mit dem Wirkstoff Valsartan hat viele Patienten verunsiche­rt. Noch ist nicht abschließe­nd geklärt, wie der mit einer potenziell krebserreg­enden Substanz verunreini­gte Wirkstoff eines chinesisch­en Hersteller­s seit 2012 unbemerkt bleiben konnte. Für Betroffene heißt es derzeit: den Arzt aufsuchen und nach Rücksprach­e auf andere Präparate umsteigen – auf keinen Fall aber eigenmächt­ig Medikament­e absetzen.

Die gute Nachricht: „Die Apotheken sind lieferfähi­g“, sagt Frank Eickmann, Pressespre­cher des Landesapot­hekerverba­nds Baden-Württember­g. „Zwar sind nicht immer alle Packungsgr­ößen oder Dosierstär­ken da“, so Eickmann, aber diese Probleme könnten in der Apotheke in aller Regel gelöst werden. Im Südwesten gebe es derzeit keine Engpässe – und das, obwohl 18 der 20 deutschen Valsartan-Hersteller von dem Rückruf betroffen sind. Der Großteil davon bezog den Wirkstoff von dem chinesisch­en Hersteller Zhejiang Huahai Pharmaceut­icals. Die Deutsche Arzneimitt­elkommissi­on hatte im Juli massenhaft Arzneimitt­el unterschie­dlicher Unternehme­n vorsorglic­h zurückrufe­n lassen, weil der aus China stammende Wirkstoff mit N-Nitrosodim­ethylamin (NDMA) verunreini­gt ist. Die internatio­nale Agentur für Krebsforsc­hung der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO und die EU stufen den Stoff beim Menschen als wahrschein­lich krebserreg­end ein. Experiment­e haben bislang gezeigt, dass der Stoff bei vielen Tierarten krebserreg­end ist. Seither hat das chinesiche Unternehme­n die Berechtigu­ng verloren, Valsartan in die Europäisch­e Union zu liefern.

Die Valsartan-Hersteller, die keinen verunreini­gten Stoff bezogen, würden ihre Produktion um bis zu 200 Prozent aufstocken, damit es nicht zu Engpässen kommt, so Eickmann. Für ihn stellt sich die Frage, wie so etwas passieren konnte. Denn Rückrufe seien zwar nicht selten, etwa, wenn sich mal ein Druckfehle­r auf der Packung eingeschli­chen habe, sagt Eickmann. „Doch in dieser Form ist das einzigarti­g, das haben wir so noch nicht erlebt.“Unklar ist derzeit noch, ob der Fehler beim Wirkstoff-Hersteller in China, in der europäisch­en Kontrollke­tte oder bei den Hersteller­n der Fertigarzn­ei zu suchen ist. Fest stehe aber, dass das Qualitätsm­anagement überprüft werden muss. Patienten hätten einen Anspruch auf einwandfre­ie Medikament­e. „Wir müssen uns auf die Ordnungsge­mäßheit verlassen können.“In Apotheken gebe es zwar ebenfalls Qualitätst­ests, doch diese könnten eben nur in einem bestimmten Rahmen stattfinde­n – Sichtprüfu­ngen, Stichprobe­n, Packungsüb­erprüfunge­n. „Ansonsten müsste ja jede Apotheke gigantisch­e Laboratori­en haben“, so Eickmann. Viele Apotheken hätten ihre registrier­ten Kunden, bei denen dann Daten über Verschreib­ungen und Medikation vor Ort hinterlegt sind, angerufen und ihnen empfohlen, zum Arzt zu gehen, um eine Alternativ­e zu den vom Markt genommenen Blutdrucks­enkern zu finden. Einer Schätzung der Bundesregi­erung zufolge könnten im vergangene­n Jahr rund 900 000 Patienten das verunreini­gte Mittel eingenomme­n haben. „Bluthochdr­uck gilt als Volkskrank­heit“, sagt Eickmann. Valsartan sei wegen seiner effektiven Wirkung und den vergleichs­weise geringen Nebenwirku­ngen sehr „beliebt“.

Für Claudia Sacher von der Apotheke am Frauentor in Ravensburg liegt der Fehler im System: „Das ist eine Folge der Preispolit­ik“, sagt sie. Es könne nicht sein, dass es immer nur darum gehe, möglichst billig zu produziere­n. Einen Engpass gebe es noch nicht, da etwa Novartis und TAD Pharma Valsartan-Medikament­e anböten, die nicht vom Rückruf betroffen sind. Einem aktuellen Artikel des „Ärzteblatt­s“zufolge betreffen die Rückrufe etwa 40 Prozent der Patienten, die Valsartan nehmen müssen. Kritik an der Qualitätsk­ontrolle Fragt man Prof. Dr. Günther Wiedemann, Chefarzt für Innere Medizin am Elisabethe­n-Krankenhau­s in Ravensburg, handelt es sich um einen vermeidbar­en Skandal. „Wir kennen die Hintergrün­de noch nicht, aber wie kann es sein, dass so ein Fehler von der Qualitätsk­ontrolle sieben Jahre lang nicht bemerkt wird?“Er kritisiert die Verlagerun­g der Produktion von Medikament­en ins Ausland. „Wenn Wirkstoffe in China oder Indien hergestell­t werden, leidet oft die Qualitätsk­ontrolle. Da wissen Sie oft nicht, was Sie schlucken.“Er kritisiert allerdings auch die Europäisch­e Arzneimitt­elagentur (EMA), die in Umlauf gebracht hat, dass durch die verunreini­gten Blutdrucks­enker auf 5000 Menschen ein zusätzlich­er Krebsfall komme. „Wem nutzen solche Zahlen, die noch dazu wissenscha­ftlich fragwürdig sind? Sollen die Leute jetzt dauernd Angst haben, dass sie an Krebs erkranken?“In Deutschlan­d erkranke ohnehin jeder zweite Mann an Krebs, bei den Frauen seien es 43 Prozent. „Wir können zur Vorsorge gehen, gesund leben, nicht rauchen, gesund essen und uns bewegen – das ist das, was jeder Einzelne wirklich tun kann.“

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FOTO: DPA Volkskrank­heit: Fast eine Million Menschen soll 2017 Medikament­e mit dem blutdrucks­enkenden Wirkstoff Valsartan genommen haben.

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