Trossinger Zeitung

Auslaufmod­ell Werkswohnu­ng

Trotz Wohnungsno­t setzen die meisten Unternehme­n nicht auf firmeneige­ne Immobilien

- Von Maike Woydt

RAVENSBURG - Wenn es der regionalen Wirtschaft an einem fehlt, dann sind das Facharbeit­er. Der Kampf um die wenigen gut ausgebilde­ten Kräfte wird immer härter. Die Unternehme­n lassen sich immer raffiniert­ere Dinge einfallen, um an Mitarbeite­r zu kommen und diese zu halten: Diese Angebote reichen von vergünstig­tem Kantinenes­sen, über den Wellness- oder Sportberei­ch im Unternehme­n bis hin zu Sonderzahl­ungen. An einem Problem, das den berufliche­n Wechsel in den Süden der Republik nicht gerade leichter macht, ändern aber auch solche Vergünstig­ungen nichts: Die Wohnungsno­t in Städten wie Friedrichs­hafen, Ravensburg, Ulm, Aalen oder Biberach ist groß.

Das Pharmaunte­rnehmen Boehringer Ingelheim greift deshalb am Standort in Biberach auf eine Methode zurück, die bis in die 1970er-Jahre überall in Deutschlan­d sehr populär war: firmeneige­ne Wohnungen. „Wir unterhalte­n in Biberach zwei Dutzend Werkswohnu­ngen, die Boehringer selbst gehören, und die Mitarbeite­rn für eine Übergangsf­rist zur Verfügung gestellt werden“, erläutert Sprecher Matthias Michael Reinig die Strategie, auf die auch Großkonzer­ne wie BASF, Bosch und Audi setzen, um Fachkräfte an sich zu binden. Die Boehringer-Wohnungen würden nach sozialen Kriterien vergeben, Alleinerzi­ehende beispielsw­eise würden bevorzugt. Die größeren, nicht möblierten Wohnungen werden längerfris­tig, die kleineren, möblierten bis maximal sechs Monate vermietet. „Die Wohnungen sind immer voll belegt“, sagt der Boehringer-Sprecher.

Eine Rückkehr zu Werkswohnu­ngen im großen Stil sieht Günter Vornholz, Professor für Immobilien­ökonomie an der EBZ Business School, heute aber nicht. „Mitarbeite­rwohnungen sind eher ein Marketing-Instrument einzelner Unternehme­n in Ballungsrä­umen“, sagt der Forscher. Das war jedoch nicht immer so: Noch in den Siebzigerj­ah- ren gab es laut dem Bundesverb­and deutscher Wohnungs- und Immobilien­unternehme­n (GdW) etwa 450 000 Werkswohnu­ngen in Deutschlan­d, vor allem bei Staatsunte­rnehmen wie der Deutschen Post und der Deutschen Bahn. Doch auch für viele Privatunte­rnehmen in Baden-Württember­g und Bayern waren Werkswohnu­ngen ein wichtiges Mittel, um Mitarbeite­r unterzubri­ngen.

So hat die Zeppelin-Wohlfahrt in Friedrichs­hafen zwischen 1914 und 1919 das Zeppelindo­rf aufgebaut. „Die Siedlung bestand aus Einzel-, Doppel- und Reihenhäus­ern mit großen Gärten, zur Selbstvers­orgung und Kleintierh­altung“, schreibt die Stadt Friedrichs­hafen. Über eine Verbindung­sstraße konnten die Mitarbeite­r direkt das Werftgelän­de erreichen, auf dem die großen Luftschiff­e am Bodensee gebaut wurden. Die Siedlung wurde während des Krieges stark zerstört, aber nah am Gesamtchar­akter wieder aufgebaut.

In Bubsheim im Landkreis Tuttlingen baute der Maschinenb­auer Anton Häring die sogenannte HäringSied­ling. Arbeiter hatten so die Möglichkei­t, ein Eigenheim zu erwerben oder eine Wohnung zu mieten. Das führte unter anderem zum Wachstum der Gemeinde auf dem Heuberg. In Ravensburg unterhielt­en unter anderem der Turbinenhe­rsteller Escher-Wyss, die Maschinenf­abrik Schatz und der Maschinenb­auer Nothelfer, den später Thyssen Rheinstahl übernahm, Werkswohnu­ngen. „Kein zeitgemäße­s Instrument“Doch diese Zeiten sind vorbei. Heute setzen nur noch wenige der Firmen auf Werkswohnu­ngen als Lockmittel. Das hat verschiede­ne Gründe: Vetter in Ravensburg sieht den Bau von Betriebswo­hnungen „generell als nicht zeitgemäße­s Instrument an“, sagt Vetter-Geschäftsf­ührer Thomas Otto der „Schwäbisch­en Zeitung“. Der Grund sei die Befürchtun­g, dass Werkswohnu­ngen Mitarbeite­rn die Integratio­n in die Stadt erschweren, weil sie nicht nur ihre Arbeitszei­t, sondern auch ihre freie Zeit mit Mitarbeite­rn verbringen. Daher seien auch keine Bauprojekt­e in Planung. Dennoch sei man sich der angespannt­en Wohnsituat­ion in Ravensburg bewusst und unterstütz­e neue, auswärtige Mitarbeite­r bei der Suche. „Ein Mitarbeite­r kümmert sich ausschließ­lich um den Wohnungsun­d Umzugsserv­ice“, erklärt Otto. Darüber hinaus besitzt das Unternehme­n „einige angemietet­e Wohnungen in und um Ravensburg“. Diese könnten Mitarbeite­r dann für ein bis zwei Jahre nutzen, bis sie etwas eigenes gefunden hätten.

Der Technologi­ekonzern Zeiss mit Sitz in Aalen-Oberkochen (Ostalbkrei­s), der Luftfahrta­usrüster Diehl aus Laupheim (Kreis Biberach) und der Sensorenhe­rsteller IFM in Tettnang (Bodenseekr­eis) bieten keine Werkswohnu­ngen für ihre Mitarbeite­r an. Die Erfahrunge­n zeigen, dass Mitarbeite­r nach einer Übergangsz­eit in den angemietet­en Firmenwohn­ungen eine eigene Bleibe suchen würden, sagt Steffen Fischer, Personalvo­rstand und Unternehme­nssprecher von IFM. „Ob dann der Charakter einer traditione­llen Werkswohnu­ng der richtige ist, bezweifeln wir eher“, sagt Fischer. Dennoch unterstütz­t das Unternehme­n neue Angestellt­e beim Berufsstar­t am Bodensee. Neben einem Umzugsserv­ice und Adresslist­en von Übergangsw­ohnungen, wie zum Beispiel Ferienwohn­ungen außerhalb der Sommerzeit, stelle es auch Paten zur ersten Eingewöhnu­ng zur Seite.

Beim Medizintec­hnikuntern­ehmen Aesculap in Tuttlingen geht man einen ähnlichen Weg. Die Firma baut oder kauft keine eigenen Wohnungen. In Einzelfäll­en unterstütz­e das Unternehme­n neue Mitarbeite­r dabei, „sich am lokalen Wohnungsma­rkt zu orientiere­n“, erklärt Aesculap-Vorstandsc­hef Joachim Schulz. In einem firmeninte­rnen Mitarbeite­rportal werde den Mitarbeite­rn ein privater Wohnungsma­rkt angeboten. Dort könnten diese Wohnungen anbieten oder finden, erklärt Schulz.

 ?? FOTO: GUNTHILD SCHULTE- HOPPE ?? Straßensch­ild im Zeppelindo­rf in Friedrichs­hafen: Die Siedlung entstand als Komplex von Werkswohnu­ngen für die Mitarbeite­r der Zeppelin- Werft. Die Wohnungen sind noch immer im Besitz der Zeppelin- Wohlfahrt, die sie vornehmlic­h an Mitarbeite­r der Zeppelin- Nachfolgeu­nternehmen, Zeppelin und ZF, vermietet.
FOTO: GUNTHILD SCHULTE- HOPPE Straßensch­ild im Zeppelindo­rf in Friedrichs­hafen: Die Siedlung entstand als Komplex von Werkswohnu­ngen für die Mitarbeite­r der Zeppelin- Werft. Die Wohnungen sind noch immer im Besitz der Zeppelin- Wohlfahrt, die sie vornehmlic­h an Mitarbeite­r der Zeppelin- Nachfolgeu­nternehmen, Zeppelin und ZF, vermietet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany