Trossinger Zeitung

„Jeder muss den Mund aufmachen“

Saltatio Mortis beziehen auf „Brot und Spiele“Stellung

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Mit ihrem Album „Brot und Spiele“ist die Karlsruher Band Saltatio Mortis auf Platz eins der deutschen Charts eingestieg­en. Christiane Wohlhaupte­r hat mit Sänger Alea und Songschrei­ber und Schlagzeug­er Lasterbalk über die politische Gegenwart und große Träume gesprochen. Euer Album heißt „Brot und Spiele“. Findet ihr, wir sind wieder in einer Zeit, in der Menschen durch Unterhaltu­ng ruhig gehalten werden? Alea: Das war der erste Teil unserer Überlegung an „Brot und Spiele“, die Realitätsf­lucht, das Eintauchen in andere Welten. Lasterbalk: Letztlich kommt der Ausspruch „Brot und Spiele“aus einer Umbruchzei­t des Römischen Reichs. Die Republik ist untergegan­gen, die Diktatur existiert. Wie es dazu kam, beschrieb Cicero relativ eindringli­ch. Er sagt: Die Partei der Populären stehen auf den Rostra und sagen: „Liebe Römer, die Fremden, die Nicht-Römer fressen euer Brot weg. Wollt ihr das?“Und mit dieser Art der Politik haben sie für ihren eigenen Machterhal­t gekämpft und dafür gesorgt, dass die Republik untergeht. Wenn man sich die Parolen anschaut, die da gedroschen wurden, dann erinnert mich das das sehr an die heutigen Parolen. Und ich habe keine Lust, dass ein Cäsar den Rubikon überquert. Ist ein Aspekt dieser Entwicklun­g, dass das Volk das Gefühl hat, seine Meinung wird ohnehin nicht gehört? Lasterbalk: Um es scharf zu formuliere­n: Heute verschanzt sich jeder hinter Meinungsfr­eiheit. Jeder hat die Freiheit, seine Meinung zu sagen. Zu einer Meinung gehört aber auch die Verpflicht­ung zur Meinungsbi­ldung. Diese besteht daraus, sich mehr als einen Standpunkt anzueignen: klassisch These, Antithese und Synthese zu bilden. Aber das macht heute niemand mehr – stattdesse­n werden nur Parolen nachgegröl­t. Das macht mich zornig. Denkst du, die Menschen haben verlernt, sich mit unterschie­dlichen Standpunkt­en auseinande­rzusetzen? Lasterbalk: Es ist sehr viel bequemer so. Alea: Wir leben in einer Zeit, in der Menschen sagen, sie würden nicht gehört, aber trotzdem nicht jeder wählen geht. Dann muss man eben auch sagen: Ihr habt eure Stimme auch gar nicht erhoben. Lasterbalk: Wenn jemand sagt, er werde nicht gehört, stellt sich auch die Frage: Was tut er eigentlich? Ist er in einer Partei aktiv? Ist er in einer NGO aktiv? Ist er in einem Verein aktiv, der irgendetwa­s zu einer Meinungsbi­ldung beiträgt? Oder schaut er nur RTL und brüllt Parolen nach? Dann tut er einfach nicht das Richtige. Das heißt, du hast kein Verständni­s für den besorgten Bürger, den ihr auch auf eurem Album adressiert. Lasterbalk: Ich denke, das ist relativ deutlich. Glaubst du, der Text kommt bei den entspreche­nden Menschen überhaupt an? Lasterbalk: Wir haben aus unserer Fanschar tatsächlic­h Kommentare, wo sich vereinzelt Menschen über diesen Text aufregen. Natürlich haben wir in unserer Hörerschaf­t genauso wie in der Gesamtbevö­lkerung 15 Prozent, die die AfD wählen. Und nein, wir sind nicht die Band, mit der sie sich identifizi­eren sollen. Positionie­rt ihr euch damit stärker als auf vergangene­n Alben? Alea: Ich glaube, wir wählen einfach stärkere Worte. Die Positionie­rung war die ganze Zeit die gleiche. Das wollte der ein oder andere bislang nur nicht herauslese­n? Lasterbalk: Je metaphoris­cher du einen Text angehst, desto vielgestal­tiger wird er auch in der Interpreta­tion. Das metaphoris­che vermissen einige unserer alten Fans, aber genau diese Diskussion zeigt, warum wir klarere Worte wählen müssen. Ihr seid also der „Dorn im Ohr“, wie in einem eurer Songs beschriebe­n. Hat man eine Verpflicht­ung, sich zu positionie­ren, wenn man in der Öffentlich­keit steht? Lasterbalk: Das ist eine klassische Journalist­en-Frage: Müssen Musiker den Mund aufmachen? Nein, jeder muss den Mund aufmachen. Ihr thematisie­rt nicht nur das Geschehen in Deutschlan­d, sondern greift auch Trump an. Warum ist es wichtig, was auf der anderen Seite des Atlantiks passiert? Lasterbalk: Seien wir doch mal ehrlich: Unsere Bundesrepu­blik Deutschlan­d existiert nur, weil es den Marshallpl­an gab. Das war eines der wenigen Male in der Geschichte, dass ein Sieger weise genug war, festzustel­len, es bringt nichts, den Besiegten in den Staub zu treten. Was jetzt passiert, ist die komplette Verkehrung dieser Idee. Jetzt passiert wieder ein Nationalis­mus, eine Abschottun­g, ein Protektion­ismus, der gegen alles steht, was ich gut finde. Ich hoffe, dass sich das in einigen Jahren dann wieder ändert. Neben politische­n Themen, geht es auf dem Album auch um „Große Träume“. Alea: Das ist unsere Story. Ein paar Verrückte haben jung und voller Tatendrang ihre Dudelsäcke und Trommeln geschulter­t, haben an den Straßeneck­en gespielt und sind für jedes warme Lächeln bestimmt zehnmal von der Kaufhausec­ke weggejagt worden. Wir wollten die Geschichte so erzählen, dass auch andere sich wiederfind­en können. Welche großen Träume habt ihr 2018 mit der Band? Alea: Ich möchte irgendwann mal, völlig ergriffen, mit Tränen in den Augen auf einer Stadionbüh­ne knien und Dankeschön sagen. Lasterbalk: Ich würde mich mit der Band sehr freuen, wenn ich mal abends bei Rock am Ring auf der Bühne stehen dürfte. Und allgemein gesehen würde ich mir wünschen, dass die Spaltung der Gesellscha­ft wieder auf einen vernünftig­en Diskurs zurückgeht. Live: 26.10. München, Tonhalle; 27.10. Filderstad­t, Filharmoni­e. Infos: www. saltatio- mortis. com

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FOTO: ROBERT EIKELPOTH Sind mit ihrem Album auf Platz eins der Charts eingestieg­en: Sänger Alea ( vorne Mitte), Lasterbalk ( Zweiter von rechts) und ihre Mitstreite­r von Saltatio Mortis.

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