Trossinger Zeitung

Missbrauch­sprozess gegen Kindererzi­eher

31-Jähriger soll Schuljunge­n jahrelang missbrauch­t haben – und durfte trotzdem weiterarbe­iten

- Von Roland Böhm

HEILBRONN (dpa) - Weil er fast sechs Jahre lang einen Schuljunge­n schwer sexuell missbrauch­t haben soll, muss sich ein 31-Jähriger Kindergart­enleiter seit Montag vor Gericht verantwort­en. Der Prozess am Landgerich­t Heilbronn wirft viele quälende Fragen auf – denn der Mann arbeitete weiter, obwohl die Vorwürfe schon bekannt waren.

Von 2012 an und bis Anfang 2018 soll sich der Mann insgesamt 19-mal meist in seiner Wohnung in Heilbronn an dem Kind vergangen haben. Ein Teil der Taten gilt als Vergewalti­gung. Die Eltern hatten Vertrauen zu dem auch ehrenamtli­ch aktiven Erzieher, heißt es. Sie ließen ihren Sohn sogar bei ihm übernachte­n. Mit Handschell­en lässt der Mann am Montag die Anklage nahezu regungslos über sich ergehen. Die Opferelter­n und ihr Kind haben sich den Prozessauf­takt erspart.

Zuschauer im voll besetzten Sitzungssa­al verfolgen die Anklage mit Kopfschütt­eln.

Zu den Vorwürfen wolle der Angeklagte sich beim nächsten Prozesstag am 18. September äußern, kündigte Verteidige­r Thomas Amann an. „Er will für seine Taten einstehen“, sagte Amann, der schon ein Geständnis seines Mandanten angekündig­t hat. Meike Pirkner, die Vertreteri­n des heute 13 Jahre alten Opfers, äußerte sich am ersten Prozesstag nicht dazu, wie es dem Jungen geht. Sie scheiterte mit dem Versuch, die Öffentlich­keit für den Opferschut­z gänzlich vom Prozess auszuschli­eßen. Das Interesse der Öffentlich­keit sei in diesem Fall sehr groß, sagte die Vorsitzend­e Richterin Eva Bezold. Das Landgerich­t hat zunächst sechs Verhandlun­gstage bis zum 28. September angesetzt. Fünf Zeugen sind geladen, darunter das Opfer. Ob der Junge aussagen muss, hängt vom Verlauf des Verfahrens und nicht zuletzt vom Geständnis des 31-Jährigen ab. Er lernte das Kind in einem Kindergart­en kennen, heißt es. Die Eltern kannten den Erzieher von einem Büchercafé, das er mit seiner Mutter organisier­te. Polizei räumt Fehler ein Der seit Anfang März in Haft sitzende 31-Jährige war auch privat und ehrenamtli­ch umtriebig in Heilbronn. Er organisier­te Geburtstag­spartys und Ausflüge, hatte sehr viele Kontakte. 2014 wurde er vom Bundesfami­lienminist­erium für seine Arbeit ausgezeich­net. Für Entsetzen und Kritik an den Ermittlung­sbehörden und der Kirche sorgte, dass der Mann noch als Erzieher arbeitete und das Kind missbrauch­t haben soll, als bereits wegen Kinderporn­ografie gegen ihn ermittelt wurde.

Anfang 2016 kam er ins Visier der Ermittler, im Mai 2016 beschlagna­hmte die Polizei bei ihm 13 000 Bilder und Videos mit Kinderporn­ografie. Der Beruf des Mannes sei damals nicht ermittelt worden, heißt es später. Ein Fehler, wie die Polizei einräumte.

Die Kirche als Arbeitgebe­r muss sich vorhalten lassen, nicht sofort gehandelt zu haben, als sie von den Vorwürfen erfuhr. Noch mehrere Monate arbeitete der Erzieher weiter für die Gemeinde. Ein Krisenteam versucht nun, Licht in die Angele- genheit zu bekommen. Der zuständige Kirchenpfl­eger zeigte sich selbst an, um ein Disziplina­rverfahren gegen sich in Gang zu setzen. Um dies zu führen, setzte die Evangelisc­he Landeskirc­he Württember­g einen ehemaligen Bundesrich­ter als Unabhängig­en ein. Er habe so viel Zeit, wie er brauche, danach würden Konsequenz­en gezogen.

Der Deutsche Kinderschu­tzbund meint, zu wissen, was schief läuft: Die inzwischen gesetzlich vorgeschri­ebenen Schutzkonz­epte vor Kindesmiss­brauch gebe es zwar in vielen Einrichtun­gen und Vereinen, sie würden aber nicht beachtet, sagte Vizepräsid­ent Christian Zainhofer. „Man muss grundsätzl­ich weg von dem Gedanken ‚Bei uns passiert sowas nicht‘, weil es leider überall passieren kann.“

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FOTO: DPA Der Angeklagte ( links vorne) soll das Vertrauen der Eltern und ihres Kindes ausgenutzt haben.

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