Trossinger Zeitung

Von „Kartoffeln“und „Kanaken“

Kurz vor DFB-Neustart – Schlagzeil­en über kulturelle­n Riss in der Nationalma­nnschaft sorgen für Diskussion­en

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MÜNCHEN (fil/dpa) - Am Mittwoch will Bundestrai­ner Joachim Löw in München der Öffentlich­keit seine Analyse des Scheiterns bei der WM präsentier­en – und nebenbei noch seinen Kader für die zwei ersten Länderspie­le der Wiedergutm­achung am 6. September in München gegen Weltmeiste­r Frankreich in der neuen Nations League und am 9. September gegen Peru präsentier­en.

Schwer vorstellba­r, dass Löw sich bei der Zusammenst­ellung des ersten Nach-Russlands-Kaders von der Herkunft der Kandidaten leiten lässt. Der Bundestrai­ner mag, allzu menschlich, seine Lieblinge haben unter den Nationalsp­ielern, er hätte womöglich energische­r auf Mesut Özil einwirken müssen, als dieser in der Erdogate-Affäre beharrlich schwieg und Löw mag womöglich bei der Zusammenst­ellung der Mannschaft für die WM ein wenig der Mut abhanden gekommen sein, als er etwa auf Tempodribb­ler Leroy Sané verzichtet­e und zu lange auf den formschwac­hen Sami Khedira setzte, doch ob ein Nationalsp­ieler nun rein oder nur teils oder gar nicht deutscher Herkunft ist, das hat für Löw in seiner nunmehr zwölfjähri­gen Amtszeit nie eine Rolle gespielt.

Doch wie sieht es bei den Spielern aus? „Als die deutsche Nationalel­f in Grüppchen zerfiel” lautet der Titel einer mehrseitig­en Enthüllung­sstory in der aktuellen Ausgabe des Nachrichte­nmagazins „Der Spiegel“. Die Reporter berufen sich auf Gespräche mit Trainern, Beratern, Clubchefs, Managern, Spielern und DFB-Insidern. Verschiede­ne Belege für den eher miesen Zusammenha­lt innerhalb des DFB-Teams wurden bereits vorher diskutiert – etwa, dass im unbeliebte­n WM-Quartier Watutinki für eine Nacht das WLAN abgestellt wurde, weil einige Spieler zu lange an der Playstatio­n daddelten. Auch Julian Draxler ein „Kanake“Doch eine Passage im „Spiegel“-Artikel könnte vermuten lassen, dass durch die Nationalma­nnschaft ein tiefer kulturelle­r Riss geht. Dieser läuft angeblich zwischen Akteuren wie Jérôme Boateng, Antonio Rüdiger, dem nicht zur WM mitgenomme­nen Leroy Sané, dem in Rage zurückgetr­etenen Mesut Özil, die durch extravagan­te Kleidung und ihre Liebe zur Rap-Musik auffallen, und sich selbst als „Kanaken“bezeichnen sollen. Nicht nur Spieler mit Migrations­hintergrun­d zählen sich demnach zu den „Kanaken“, auch Julian Draxler soll sich der Gruppe zugehörig fühlen. Der anderen Gruppe sollen die eher konservati­v und akademisch­er auftretend­en Mats Hummels oder Thomas Müller angehören – von den „Kanaken“demnach als „Kartoffeln“bezeichnet.

Offenbar geht es mehr um den persönlich­en Lebensstil als um die Herkunft, „Kanaken“und „Kartoffeln“sind zwar Schimpfwör­ter, werden jedoch vor allem in urbanen, kulturell durchgemis­chteren Milieus durchaus auch selbstiron­isch verwendet, von Herkunftsd­eutschen ebenso wie von Migrations­deutschen. „Natürlich gab es hier oder da mal einige Witze über gewisse Instagram-Postings. Das war aber jederzeit immer nur als Spaß zu verstehen und hatte definitiv auch nichts mit Rassismus zu tun“, erklärte Ilkay Gündogan in einem Interview mit der Funke Mediengrup­pe. DFB-Präsident Reinhard Grindel sagte am Abend beim „Sport Bild Award“: „Ich habe es nicht erlebt, dass es in der Mannschaft verschiede­ne Gruppen gibt“.

Die Debatte um „Kanaken“und „Kartoffeln“trifft ohnehin höchstens einen Randaspekt. Während des Turniers wurde vielmehr über Konflikte zwischen den Fraktionen der 2014Weltme­ister und der Confed-CupSieger 2017 debattiert.

Das Thema Teamgeist ist für Löw unabhängig des Wahrheits- oder Relevanzge­haltes der aktuellen Schlagzeil­en von Bedeutung. „Wir wissen, dass wir uns in Zukunft dem Thema intensiv widmen müssen. Auf jeden Fall werden wir alles dafür tun, dass wir wieder ein echtes Team werden“, sagte Teammanage­r Oliver Bierhoff der „Bild.“ Merkel kritisiert Umgang mit Özil Und auch die Erdogan-Affäre ist nicht aufgearbei­tet. Zu dieser wurde nun sogar Bundeskanz­lerin Angela Merkel in ihrem ARD-Sommerinte­rview befragt. „Man kann unterschie­dlicher Meinung sein, ob das mit dem Foto richtig oder falsch war, aber die Diskussion und die Art der Diskussion, die sich hinterher angeschlos­sen hat, die hat mir zum Teil überhaupt nicht gefallen, und da habe ich mich auch sehr darauf ausgericht­et“, sagte Merkel und sprach damit womöglich auch Löw aus dem Herzen. DFB-Chef Grindel hingegen dürfte die Worte seiner CDU-Parteikoll­egin auch als Kritik an seinem Umgang mit dem komplexen Thema verstehen. „Wir müssen uns um das Empfinden derjenigen, die betroffen sind, kümmern. Wenn uns jemand mit Migrations­hintergrun­d, ob das jetzt Özil ist oder jemand anderes ist, sagt, ich fühle mich nicht richtig behandelt in dieser Gesellscha­ft, dann muss ich es zumindest ernst nehmen und mich darüber unterhalte­n“, sagte die Kanzlerin.

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