Trossinger Zeitung

Deutschlan­d gibt Knochen und Schädel an Namibia zurück

- Von Ulrich Mendelin

s ist eine makabere Sammlung, die an diesem Mittwoch in Berlin den Besitzer wechseln wird: 25 Knochen, Schädel, eine Kopfhaut und andere menschlich­e Überreste werden nach einem Gottesdien­st in der Französisc­hen Friedrichs­tadtkirche von der Bundesregi­erung an eine Delegation aus dem südwestafr­ikanischen Namibia übergeben. Außen-Staatsmini­sterin Michelle Münteferin­g (SPD) wird die Gebeine anschießen­d in die namibische Hauptstadt Windhoek begleiten, wo für Freitag ein Staatsakt geplant ist.

Namibia war unter dem Namen Deutsch-Südwestafr­ika von 1884 bis zum Ersten Weltkrieg Kolonie des Deutschen Kaiserreic­hs – die einzige, in die eine nennenswer­te Zahl von Siedlern auswandert­e. Diese kamen vor allem im Süden und im Zen- trum des Landes zunehmend in Konflikt mit afrikanisc­hen Völkern, insbesonde­re mit den Herero und Nama. Zwischen 1904 und 1907 brach ein Kolonialkr­ieg aus, den die kaiserlich­e Schutztrup­pe erbarmungs­los führte und der heute von Historiker­n als Völkermord eingestuft wird – die Kolonialhe­rren waren von der Überlegenh­eit der weißen Rasse überzeugt. Vermessung von Schädeln Dieses rassistisc­he Überlegenh­eitsgefühl bewirkte auch, dass deutsche Anthropolo­gen keinerlei Skrupel hatten, die Gebeine von Afrikanern ohne Respekt vor kulturelle­n und religiösen Überzeugun­gen ihrer Angehörige­n nach Europa zu verschiffe­n. Dort wollten sie – wie später die Nationalso­zialisten – anhand der Vermessung etwa von Schädelumf­ängen die angebliche Überlegenh­eit der eigenen Rasse belegen. Anschließe­nd kamen die Knochen in die Depots völkerkund­licher Sammlungen – und liegen dort zum Teil noch heute. Die aktuelle Rückgabe von Gebeinen an die ehemalige Kolonie ist bereits die dritte Zeremonie dieser Art. Auch namibische Kulturgüte­r lagern nach wie vor in Deutschlan­d. So besitzt etwa das Stuttgarte­r Linden-Museum die Familienbi­bel des namibische­n Nationalhe­lden Hendrik Witbooi.

Staatsmini­sterin Münteferin­g räumte ein, Deutschlan­d habe Nachholbed­arf in der Aufarbeitu­ng seiner kolonialen Vergangenh­eit. Tatsächlic­h spielte die Kolonialze­it für deutsche Historiker lange nur eine untergeord­nete Rolle, gerade im Vergleich zur Aufarbeitu­ng des Nationalso­zialismus. Auch die Politik tut sich schwer mit dem Thema. Während der Bundestag den Massenmord an den Armeniern 2016 als Genozid anerkannte, obwohl das Deutsche Reich daran allenfalls mit- telbar beteiligt war, gibt es eine solche Resolution mit Blick auf den Kolonialkr­ieg in Südwestafr­ika bislang nicht. Entschuldi­gung steht aus Zwar verhandeln Regierungs­delegation­en beider Länder seit mehreren Jahren über eine Wiedergutm­achung für Untaten während der Kolonialze­it. Eine ausdrückli­che offizielle Entschuldi­gung Deutschlan­ds steht bislang aber aus. Das hat auch mit der Angst vor Entschädig­ungszahlun­gen zu tun. Entspreche­nde Klagen betreiben Herero-Vertreter in den USA. Die Bundesregi­erung will kein Geld an Nachkommen der Genozidopf­er zahlen, sondern setzt auf gemeinsame Entwicklun­gsprojekte. Ein Teil der Herero fürchtet aber leer auszugehen, wenn mögliche Zahlungen an den namibische­n Staat und nicht an Vertreter der eigenen Volksgrupp­e fließen.

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