Mehr Beratungen wegen unsicherer Job-Lage
Gesundheitsamt macht Schwangerenkonfliktberatung – Probleme wegen Zeitverträgen
TUTTLINGEN - Um die einhundert Frauen suchen die Schwangerenkonfliktberatung des Gesundheitsamtes Tuttlingen pro Jahr auf. Martha Gassner, die die Gespräche mit den Schwangeren führt, hat festgestellt, dass die unsichere Arbeitssituation durch befristete Verträge immer öfter ein Grund ist, warum sich Frauen über einen Abbruch Gedanken machen. Generell gilt: „Leichtfertig kommt niemand zu mir“, sagt sie.
Die Anfragen von Schwangeren sind seit Jahren etwa gleichbleibend, erklärt Siegfried Eichin, Leiter des Gesundheitsamtes im Kreis. Das hat seinen Grund auch in der Anzahl der Stunden, die Martha Gassner für ihre Arbeit zur Verfügung hat. Neben der Schwangerenberatung – und dazu gehören auch die Bereiche Mutterschutz, Elternzeit und Fragen zur Geburt – ist sie mit der anderen Hälfte ihres Stundenumfangs für HIV-Beratung und sexuelle Gesundheit zuständig. Der Anteil an Konfliktberatung wiederum nimmt rund 95 Prozent ihrer Arbeit mit Schwangeren ein. Vielfalt der Kulturen „Die Problemlagen ändern sich“, erklärt die Sozialarbeiterin. In den vergangenen Jahren sei der Anteil an Migrantinnen gestiegen und dadurch teilweise auch die Schwierigkeit, sich zu verständigen. Auch die Vielfalt der Kulturen spiele eine Rolle. „Das beeinflusst teilweise auch die Entscheidungen“, sagt Gassner. So gelten Abtreibung nach herrschender islamischer Lehre zum Beispiel erst nach vierzig embryonalen Entwicklungstagen als Kindstötung.
In Deutschland kann ein Schwangerschaftsabbruch bis zur zwölften Woche straffrei vorgenommen werden. Bei einer Pränataldiagnostik und der Feststellung einer möglichen Missbildung des Embryos ist ein Abbruch bis zur 22. Woche möglich. Tatsächlich gebe es nur wenige Frauen, die erst kurz vor Verstreichen dieser Fristen in die Beratungsstellen kommen würden. Gassner: „Ich bin immer froh, wenn noch Zeit bleibt.“Denn es gelte, die Notlage der betroffenen Frau zu erfassen und anhand der persönlichen Situation jeder einzelnen zu überlegen, was helfen kann. Viele Frauen suchen deshalb öfters das Gespräch, und in etlichen Fällen verweist die Beraterin an andere Institutionen: das Frauenhaus, die Schuldnerberatung, einen Psychotherapeuten. Denn Gewalt in der Beziehung, die Aussicht, alleinerziehend zu sein sowie eine ungewisse finanzielle Situation würden oft als Gründe zur Überlegung eines Abbruchs angeführt. Die meisten Frauen sind alleine Ein häufiges Problem, das in den Gesprächen mit den ungewollt Schwangeren auftaucht, seien Unsicherheiten am Arbeitsplatz: gerade eine neue Stelle angetreten, noch in der Probezeit oder aber endlich von einem befristeten in eine unbefristetes Beschäftigungsverhältnis gewechselt. Mehr als zwei Drittel der Frauen kämen alleine zu ihr, sagt Martha Gassner. Der Rest mit dem Partner, einer Freundin, aber auch Lehrerin oder Sozialarbeiterin einer Schule. „Auch 15-jährige Mädchen hatte ich in den vergangenen Jahren zum Gespräch“, so die Sozialarbeiterin. 2017 sei der Anteil an Frauen über 40 Jahren recht hoch gewesen: Etwa sieben bis acht Frauen dieser Altersgruppe suchten Beratung auf. Ein Zufall – denn dieses Jahr sieht es wieder ganz anders aus. Oft sehr belastend seien die Gespräche mit werdenden Müttern, die anhand einer Pränataldiagnostik einen Abbruch erwägen würden. „Das sind Wunschkinder, geplant und erhofft. Das macht es sehr schwierig“, sagt Gassner.
„Was ist passiert?“In der Regel eröffnet Martha Gassner die Gespräche mit diesen Worten. Vorwürfe seien völlig fehl am Platz, denn die Beraterin hat festgestellt, dass die meisten Frauen verhütet haben, aber es dabei Pannen gegeben habe.
Wie sich die Konfliktberatung entwickelt, das weiß die Beraterin nie. Tatsächlich bekommt sie die Entscheidung in Einzelfällen mit. Und hin und wieder auch Babyfotos mit persönlicher Widmung der Mütter zugeschickt. „Das freut uns immer“, sagen Gassner und Eichin. Das Wichtigste ist ihnen aber, dass die Frauen sich in der Beratung angenommen fühlen und nicht verurteilt werden, für das was war und für das, wofür sie sich entscheiden.