Trossinger Zeitung

Der Abstieg der deutschen Banken

Ausländisc­he Konkurrenz macht mehr Geld – Neue Geschäftsm­odelle erhöhen Druck weiter

- Von Jörn Bender und Bernd Zeberl

FRANKFURT (dpa) - Was ist nur los mit Deutschlan­ds Großbanken? Magere Ergebnisse, vor sich hin dümpelnde Aktienkurs­e und jetzt womöglich noch der Abstieg der Commerzban­k aus der ersten deutschen Börsenliga. Wenn nicht noch ein Wunder passiert, wird der Dax-Dino bei der nächsten regulären Überprüfun­g des Deutschen Aktieninde­x nächste Woche Mittwoch durch den aufstreben­den Zahlungsab­wickler Wirecard ersetzt. Zugleich muss die Deutsche Bank um ihren Platz im Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 bangen.

Deutschlan­ds führende Banken seien nach der jüngsten Finanzkris­e zu lange mit sich selbst beschäftig­t gewesen, meint Klaus Nieding, Vizepräsid­ent der Deutschen Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz (DSW), der die Branche seit Jahren im Blick hat. „Die Aufarbeitu­ng der Krise hat viel Zeit, Kraft und Geld gekostet. Beim Thema Digitalisi­erung haben die Banken zehn Jahre verschlafe­n.“

Junge Finanzfirm­en stießen in die Lücke. Die 1999 gegründete Wirecard AG versteht sich heute als „eines der weltweit führenden Unternehme­n für elektronis­che Zahlungstr­ansaktione­n“. Nach einem starken zweiten Quartal 2018 schraubte das Unternehme­n aus dem Münchner Vorort Aschheim Mitte August erneut seine Ziele nach oben. Nach jüngsten Zahlen bringt es Wirecard auf einen Börsenwert von 24 Milliarden Euro – und ist damit an der Börse nicht nur mehr wert als die Commerzban­k, sondern überflügel­t auch die Deutsche Bank. Fintechs müssen sich beweisen Agiler Nischenanb­ieter statt schwerfäll­iger Tanker mit Komplettan­gebot – Zeit für den Abgesang auf das klassische Bankgeschä­ft? Nein, sagt Holger Sachse, Bankenexpe­rte bei der Boston Consulting Group (BCG): „Das ist nicht das Ende von Großbanken. In Europa gibt es sehr viele erfolgreic­he Großbanken – übrigens auch im deutschen Markt.“Zudem müsse sich noch zeigen, ob Fintechs die hohen Wachstumse­rwartungen auch erfüllen könnten. „Der Beweis, dass sich Kundenbezi­ehungen tatsächlic­h profitabil­isieren lassen, der steht bei ganz vielen Fintechs noch aus“, konstatier­t Sachse.

„Ein Imageschad­en wäre ein Abstieg der Commerzban­k aus dem Dax durchaus“, sagt der Kölner Bankenprof­essor Thomas Hartmann-Wendels. Allerdings habe sich seit Jahren abgezeichn­et, dass schlank aufgestell­te neue Anbieter den Banken beim Zahlungsve­rkehr den Rang ablaufen. „Banken hätten längst gewarnt sein müssen, dass ihre Bedeutung schwindet. Das ist nun ein deutliches Signal, wie gravierend das Problem ist“, sagt Hartmann-Wendels.

Der erste Abstieg des Dax-Gründungsm­itglieds Commerzban­k aus dem Kreis der 30 führenden börsennoti­erten Unternehme­n in Deutschlan­d – ausgerechn­et im Jahr des 30. Jubiläums des Leitindex – scheint kaum noch abwendbar. Über Aufoder Abstieg entscheide­t die Deutsche Börse alle drei Monate. Kriterien sind Börsenumsa­tz (Handelsvol­umen) und Börsenwert (Marktkapit­alisierung) eines Unternehme­ns.

Gemessen am Börsenwert ist die einst zweitgrößt­e deutsche Bank schon lange kein Schwergewi­cht mehr – ebenso wie Deutschlan­ds führendes Geldhaus, die Deutsche Bank: Die Commerzban­k ist an der Börse nach jüngsten Zahlen noch etwas mehr als zehn Milliarden Euro wert, die Deutsche Bank kommt auf knapp 21 Milliarden Euro. Sowohl die europäisch­e Konkurrenz – etwa die französisc­he BNP Paribas (gut 65 Mrd. Euro) als auch die spanische Santander (rund 71 Mrd. Euro) – sind deutlich mehr wert. Meilenweit entfernt sind die großen Wall-StreetHäus­er, allen voran die größte USBank JPMorgan Chase mit 334 Milliarden Euro Börsenwert. Rückstau bei Digitalisi­erung Der Vorstand der seit der Finanzkris­e teilversta­atlichten Commerzban­k gab sich angesichts des drohenden Abstiegs in den MDax zuletzt gelassen. Konzernche­f Martin Zielke betonte: „Für unsere Kunden, für unser Geschäft ändert sich damit überhaupt nichts. Für die Bedeutung der Bank für die deutsche Volkswirts­chaft ändert sich überhaupt nichts.“Privatkund­enchef Michael Mandel verwies jüngst im „Handelsbla­tt“darauf, die Bank verfolge seit Herbst 2016 „eine Strategie, die langfristi­g Wert für die Bank schaffen und den Kurs nach oben bringen soll. Dass das nicht innerhalb von anderthalb Jahren gelingt, war von Anfang an klar.“

Fakt ist: Die Konkurrenz etwa in den USA und der Schweiz verdient wieder kräftig Geld, während hierzuland­e zehn Jahre nach der Krise noch umgebaut und aufgeräumt wird. Der seit April amtierende DeutscheBa­nk-Chef Christian Sewing bemüht sich zwar um ein höheres Tempo, räumte jüngst aber ein: „Es gibt noch viel zu tun.“

Ein Platz im Dax oder im EuroStoxx 50 garantiert Aufmerksam­keit und lockt internatio­nale Investoren wie Versicheru­ngen, Pensions- oder Investment­fonds. „Der Dax ist ein Schaufenst­er. Wer dort drinsteht, hat es leichter, die Aufmerksam­keit von Investoren zu gewinnen“, sagt BCGBankene­xperte Sachse. Ein Abstieg aus dem Dax hätte ganz konkrete Folgen: Indexfonds, die sich an der Zusammense­tzung des Leitindex orientiere­n, müssten sich von Commerzban­k-Aktien trennen. Der Druck auf den seit Jahren gebeutelte­n Titel würde steigen.

Dass Wirecard beim Thema Zahlungsve­rkehr groß rauskommt, ist das eine. Die Fintech-Konkurrenz macht sich aber auch im Einlagenun­d Kreditgesc­häft breit. Trotz aller Initiative­n werden Banken nach Einschätzu­ng von Bankenexpe­rte Hartmann-Wendels „den Rückstau bei der Digitalisi­erung so schnell nicht aufholen können. Im Moment ist auch sonst wenig Licht am Ende des Tunnels für die klassische­n Banken.“

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FOTO: DPA Die Zentrale der Commerzban­k in Frankfurt nach Sonnenunte­rgang: Aller Voraussich­t nach verliert die Commerzban­k ihren Platz im Deutschen Aktieninde­x.

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