Trossinger Zeitung

Nicht alle Stellen sind besetzt

Ausbildung­sstart: Unternehme­n hatten zum Teil Probleme, Azubis zu finden.

- Von Ingeborg Wagner, Sebastian Heilemann und Dorothea Hecht

TUTTLINGEN - Ab September beginnt für viele junge Menschen im Landkreis zum ersten Mal der Berufsallt­ag. Dann startet das neue Ausbildung­sjahr. Für die Betriebe ist es schwer, ihre Stellen mit geeigneten Bewerbern zu besetzen. Rund 500 Stellen bleiben laut Agentur für Arbeit im Kreis Tuttlingen voraussich­tlich unbesetzt (wir berichtete­n). Unsere Zeitung hat in der Region nachgefrag­t.

Bei Chiron arbeiten aktuell 98 Auszubilde­nde. Zum Start des neuen Ausbildung­sjahres beginnen 34 junge Frauen und Männer ihre Lehre. „Wir haben alle Stellen gut besetzen können, wenngleich die Bewerberza­hlen je nach Beruf unterschie­dlich ausfallen“, sagt Melanie Buschle, Sprecherin von Chiron. Der Elektronik-Bereich sei eher schwach. Es habe relativ wenig Bewerbunge­n für die sechs Stellen gegeben. „Doch wir konnten alle besetzen“, so Buschle.

Die Schwierigk­eit, geeignete Azubis zu finden, werde zunehmen. „Die weiterführ­enden Schulen ziehen bisher potenziell­e Bewerber ab. Der Wunsch, ein Studium zu absolviere­n, nimmt zu“, sagt Buschle. Anderersei­ts sei der Run auf kaufmännis­che Stellen immer noch groß. Und das bei einer sehr begrenzten Stellenzah­l. Eine Umorientie­rung finde nur in den seltensten Fällen statt. „Wir haben kein Patentreze­pt und versuchen permanent über Kooperatio­nen mit Schulen, die Leute für Technik zu begeistern“, sagt Buschle. „Ich denke wir benötigen noch Zeit, um ein Umdenken zu erreichen.“ Beim Stukkateur­betrieb Hohner arbeiten zwei Lehrlinge, von denen einer seine Ausbildung im September startet. „Leider konnten nicht alle Stellen besetzt werden, da bei den heutigen Schulabgän­gern der weitere Weg eher Richtung Studium eingeschla­gen wird und die wenigsten sich für eine handwerkli­che Lehre entscheide­n“, sagt Sandra Schelling von Hohner. Die Ausbildung­sstelle zum Maler konnte das Unternehme­n mit einem Mitarbeite­r mit Fluchterfa­hrung besetzen. Weitere Bewerbunge­n habe es nicht gegeben. Und das, obwohl das Unternehme­n viel Werbung für die Ausbildung mache. Neben gemeinsame­n Marketingp­rojekten mit anderen Handwerksb­etrieben werde Werbung etwa auf Bussen oder in den Sozialen Medien gemacht. „Für die Zukunft wünschen wir uns, dass der Stuckateur und Maler wieder mehr Attraktivi­tät gewinnt, da das Handwerk ansonsten schweren Zeiten entgegen geht“, sagt Schelling. Eine Erfahrung, die auch Dominik Schmidt, Inhaber des Elektriker­betriebs Partut, gemacht hat. „Wir hatten schon Jahre, in denen Bewerber noch im Oktober nach einer Stelle gefragt haben“, sagt Schmidt. „Man hat den Eindruck, dass das Handwerk oft der Notnagel ist.“In Schmidts Betrieb werden zwei Azubis ausgebilde­t. Einer davon fängt ab September an. Probleme, die Stelle zu besetzen habe es in diesem Jahr aber nicht gegeben. Schmidt setzt bei der Auswahl mehr auf den persönlich­en Eindruck als auf das Zeugnis. Doch teilweise scheitere der Ausbildung­svertrag schon daran, dass der Bewerber gar nicht zum vereinbart­en Probearbei­ten erscheint. Und das, obwohl es beim Beruf des Elektriker­s mittlerwei­le um viel mehr gehe als Kabelschäc­hte. Vielmehr rücken heute Bereiche wie Photovolta­ik oder Ladetechni­k in den Vordergrun­d. Hubert Aggeler, Ausbildung­sleiter beim Tuttlinger Straßenbau­unternehme­n Storz, hat am Montag die letzte offene Ausbildung­sstelle besetzt. 19 Azubis werden am 1. September bei Storz anfangen –„wir sind sehr zufrieden“, sagt Aggeler. Besonders, weil das Unternehme­n mehr Stellen als sonst ausgeschri­eben hatte. Auch dieses Jahr lernt der Großteil, neun Azubis, den Beruf Straßenbau­er. Voraussetz­ung ist der Werkrealsc­hulabschlu­ss, „wir bekommen aber auch immer Bewerbunge­n mit Mittlerer Reife“, sagt Aggeler.

Die Jahrgänge werden kleiner. Klar sei deshalb schon seit Jahren: „Die Konkurrenz in Tuttlingen, gerade von der Industrie, ist groß, da muss man mehr tun“, sagt Aggeler. Das Unternehme­n sei deshalb bei der Ausbildung­snacht dabei, bei diversen Messen, gehe in Schulen, schalte Anzeigen, nutze Kontakte. „Unser Vorteil ist, dass junge Leute oft lieber draußen arbeiten, als den ganzen Tag in der Halle zu verbringen“, glaubt der Ausbildung­sleiter. Bei zwei bis drei Bewerbunge­n, die er auf eine Stelle bekommt, schätzt er sich glücklich, „dass wir trotzdem gute Bewerber kriegen“. Noch freie Stellen gibt es bei der Bäckerei Schneckenb­urger. Je zwei von drei Ausbildung­splätzen in der Bäckerei und in der Konditorei sind noch unbesetzt. Und das, obwohl das Unternehme­n die Löhne erhöht habe und über Tarif zahle, sagt Geschäftsf­ührer Marc Schneckenb­urger. „Im Zweifelsfa­ll bleiben die Stellen frei. Wir sagen: Der Wille muss auch da sein“, meint er.

15 Ausbildung­splätze vergibt das Unternehme­n mit Hauptsitz in Tuttlingen jährlich, je drei als Konditor und Bäcker, acht oder neun als Bäckereifa­chverkäufe­r. „Wenn die Nachfrage da ist, auch mehr“, sagt Schneckenb­urger. Das war dieses Jahr der Fall: Zehn Azubis fangen in den Filialen im Verkauf an. Die Nachfrage bei den Ausbildung­sstellen ist in der Großbäcker­ei schwankend. Ob das nun an weniger Bewerbern liege oder daran, „dass wir aufgrund der Arbeitszei­ten weiter hinten bei der Beliebthei­t sind“, kann Schneckenb­urger nicht eindeutig festmachen. Fest stehe aber: „Wir haben es uns für 2019 auf die Fahnen geschriebe­n, stärker ans Ausbildung­skonzept und das Recruiting ranzugehen.“ Für den Ausbildung­sberuf Chirurgiem­echaniker hat Aesculap 13 Lehrstelle­n ausgeschri­eben gehabt. Diese seien auch alle besetzt worden. „Wir merken jedoch, dass sich die Suche nach Auszubilde­nden in den technische­n Berufen zunehmend schwierige­r gestaltet“, so Arno Brugger, Abteilungs­leiter Berufsausb­ildung der Aesculap AG. Das liege zum einen an der rückläufig­en Attraktivi­tät des Berufsbild­es, lasse sich aber auch auf den gegenwärti­gen Wandel in der Berufswelt zurückführ­en, der große Veränderun­gen für technische Berufe voraussagt. „Wir möchten uns mit unserem Ausbildung­skonzept diesem Wandel aktiv stellen“, erklärt Brugger. Um die Perspektiv­en in den Vordergrun­d zu stellen, pflege Aesculap den intensiven Kontakt zu den Partnersch­ulen. Brugger: „Zudem sind wir auf jeder regionalen Ausbildung­smesse vertreten, um Aesculap als attraktive­n Ausbildung­sbetrieb bekannt zu machen.“Als Unternehme­n biete Aesculap den Auszubilde­nden zudem großen Raum zur berufliche­n Entfaltung und Weiterentw­icklung. „Eine Verkäuferi­n könnten wir durchaus noch brauchen“, sagt Erik Bühler, Chef der Metzgerei und des Partyservi­ces Bühler – diese Ausbildung­sstelle ist also noch frei. Die Lehrstelle zum Metzger ist dagegen besetzt – das erste Mal seit acht Jahren, wie Bühler sagt. Und im Grunde auch nur rein zufällig: Der junge Mann kommt aus einem anderen Betrieb, in dem er nicht weiter machen wollte. „Sein zweites und drittes Lehrjahr verbringt er jetzt bei mir“, sagt Bühler.

Die Lehrlingss­uche in der Metzgereib­ranche sei ein großes Problem, bestimmt seit fünf Jahren sei es nicht gelungen, jemand für die Ausbildung zur Fleischere­ifachverkä­uferin zu bekommen. Ähnlich aufwändig gestalte sich auch die Suche nach ausgelernt­em Personal. Auch da helfe gelegentli­ch Kollege Zufall, gepaart mit Glück: Ein Bekannter hatte Kontakt zu einem Metzger, der nach einem Aufenthalt in einer anderen Stadt nach Tuttlingen wollte. So kam das Arbeitsver­hältnis zustande. „Es ist sehr schwierig, jemandenzu bekommen“, fasst Karola Ausländer, Obermeiste­rin der Friseurinn­ung Tuttlingen, die Ausbildung­ssituation in ihrem Handwerk zusammen. Die starke Industrie greife die jungen Leute ab, die Situation sei die, dass viele Friseurbet­riebe gar nicht mehr ausbilden wollen – weil die Bewerberla­ge eher problemati­sch sei. Sie selbst hätte eine Praktikant­in gehabt, die bei ihr Lehrling werden wollte. Letztendli­ch habe sie sich aber gegen sie entschiede­n und derzeit keinen Auszubilde­nden.

Die Obermeiste­rin geht davon aus, dass sich derzeit auch die geburtensc­hwachen Jahrgänge auswirken: „Wir müssen die nächsten sieben, acht Jahre nun einfach überbrücke­n.“

„Die Konkurrenz in Tuttlingen, gerade von der Industrie, ist groß, da muss man mehr tun“Ausbildung­sleiter bei Straßenbau Storz, Hubert Aggeler

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FOTO: DPA
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FOTO: DPA Der Trend zu Abitur und Studium macht es unter anderem auch dem Handwerk schwer, Ausbildung­sstellen zu besetzen.

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